Nach einer erfolgreichen Spielerkarriere beim FC Bayern München und fast 15 Jahren in verschiedenen Funktionen bei RB Salzburg ist Alexander Zickler seit Sommer 2019 Co-Trainer von Borussia Mönchengladbach. Im Interview mit SPOX und Goal spricht der 46-Jährige über seine aktuelle Aufgabe und lässt seine bisherige Karriere Revue passieren.
Zickler berichtet vom WG-Leben mit Marco Rose, von Gesprächen mit seinen Kindern über Hassbekundungen gegnerischer Fans und seiner Zeit mit Hansi Flick.
Außerdem erzählt er von Frühstücken mit Thomas Helmer, Stadtbesuchen mit Lothar Matthäus, Abenden mit Christian Ziege und der schönsten Party seines Lebens - der nach dem verlorenen Champions-League-Finale 1999.
Herr Zickler, Sie sind im vergangenen Sommer von RB Salzburg zu Borussia Mönchengladbach gewechselt. Wo liegt in der alltäglichen Arbeit der größte Unterschied zwischen den beiden Klubs?
Alexander Zickler: In Salzburg sind der Profi- und der Nachwuchsbereich örtlich strikt getrennt, hier in Gladbach ist alles vermischt - und das finde ich richtig cool. Dadurch ist der Austausch zwischen den Profi- und Nachwuchstrainern viel intensiver. Außerdem sehen die Nachwuchsspieler die Profimannschaft regelmäßig. Das ist eine zusätzliche Motivation, denn damit ist das Ziel immer präsent.
Allein für den Profibereich sind auf der Klubhomepage 24 Betreuer gelistet. Behalten Sie da überhaupt den Überblick?
Zickler: Schon, aber das hat sich im Vergleich zu meiner Zeit als Aktiver sehr geändert. Damals gab es Cheftrainer und Co-Trainer, heute haben wir Ernährungsberater und Konditions-Trainer - nicht nur einen, sondern zwei - und was weiß ich wie viel Physiotherapeuten. Aber das braucht man heutzutage auch, weil die Belastung für die Spieler mittlerweile viel höher ist als damals.
Kann es Ihrer Meinung nach zu viele Betreuer geben?
Zickler: Bei uns gibt es jedenfalls keinen, der nur Däumchen dreht und nichts macht. Jeder ist voll beschäftigt und das heißt, dass jeder gebraucht wird. Es gibt keine Limits, man kann überall noch mehr ins Detail gehen und noch mehr rausholen.
Teil des Trainerteams ist auch der ehemalige Taktik-Blogger Rene Maric. Was zeichnet ihn aus?
Zickler: Am meisten beeindruckt mich seine generelle Arbeitsweise: Er schaut sich gleichzeitig ein Video an, telefoniert und schreibt einen Analyse-Roman in seinen Laptop. Das ist der absolute Wahnsinn, damit wäre ich völlig überfordert.
In Ihrem Aufgabenberiech liegt es angeblich, im Training absichtlich falsch zu pfeifen, um die Spieler auf Ungerechtigkeiten in Spielen vorzubereiten. Zumindest hat das Stefan Lainer mal in einem Interview erzählt.
Zickler: Ich bin mittlerweile 46 Jahre alt. Meine Augen sind nicht mehr so gut wie früher und deshalb sehe ich manche Dinge leider nicht mehr so genau. Wenn dadurch offenbar ganz zufällig Fehlentscheidungen passieren, dann müssen die Jungs eben damit umgehen und fokussiert bleiben, statt wild herumzuschimpfen.
imago images / Team 2Zickler über sein WG-Leben mit Marco Rose
Cheftrainer Marco Rose kennen Sie schon sehr lange, 2012 wurden Sie bei der U16 von RB Salzburg sein Co-Trainer. Wie eng ist Ihr Verhältnis?
Zickler: Wir haben von Anfang an gemerkt, dass wir gut zueinander passen. Wir sind beide in Sachsen aufgewachsen und liegen auch in Sachen Fußballphilosophie auf einer Wellenlänge. Nach den zwei gemeinsamen Jahren bei der U16 haben wir uns um unterschiedliche Mannschaften gekümmert, aber trotzdem weiterhin engen Kontakt gehalten. Seit unserem Wechsel nach Gladbach wohnen wir sogar gemeinsam in einer WG.
Wie kam das zustande?
Zickler: Es war relativ schnell klar, dass unsere Familien nicht mit uns nach Gladbach ziehen werden. Dann hat Marco zu mir gesagt: "Was bringt es, wenn jeder für sich etwas organisiert und dann am Abend allein in seiner Wohnung hockt?" Dann haben wir eben gemeinsam gesucht und gefunden. Bisher bereue ich es nicht. Unsere WG funktioniert top und ist komplett unkompliziert.
Wie läuft die Arbeitsaufteilung?
Zickler: Ich kümmere mich um die Einkäufe und die Rasenpflege im Garten, den Rest macht Marco. Leider habe ich den Rasen im Sommer aber etwas vernachlässigt. Weil es so heiß war und ich nicht regelmäßig gegossen habe, ist er komplett verbrannt. Da hat er mich völlig zurecht hart kritisiert.
Gab es abgesehen vom verbrannten Rasen bisher noch weitere Konflikte?
Zickler: Spontan fällt mir nichts ein. Wir kennen uns sehr gut und wissen miteinander umzugehen. Ich merke beispielsweise genau, wenn Marco Ruhe braucht und umgekehrt ist es genauso.
Wie kann man sich einen gemeinsamen Abend in der WG vorstellen?
Zickler: Da sitzen wir gemütlich am Sofa und schauen fern. Wenn mal kein Fußball läuft - was sehr selten der Fall ist - dann zappen wir um 20.15 Uhr durch die Programme und suchen uns was Cooles aus. Zum Glück liegen wir in dieser Hinsicht ebenfalls auf einer Wellenlänge. Oft reden wir aber auch einfach. Ich kann mich nicht nur über Fußball sehr gut mit Marco unterhalten, sondern über jedes Thema.
Wenn Sie Ihre bisherige Zeit in Gladbach Revue passieren lassen: Was war das positivste, was das negativste Erlebnis?
Zickler: Das positivste auf jeden Fall der herzliche Empfang aller Klubmitarbeiter und Fans. Es wurde uns von allen Beteiligten sehr einfach gemacht, uns wohlzufühlen und zurechtzufinden. Negativ in Erinnerung bleibt mir jede einzelne Verletzung eines Spielers.
0000112588Zickler: "Glaube nicht, dass ich ein unguter Mensch war"
Als aktiver Spieler waren Sie selbst äußerst verletzungsgeplagt. Zwischen 2002 und 2005 fielen Sie wegen eines Tumors in der Wade und drei Schienbeinbrüchen fast drei Jahre am Stück aus. Profitieren Sie beim Umgang mit verletzten Spielern von diesen Erlebnissen?
Zickler: Ich habe schon das Gefühl, dass es den Spielern hilft, wenn ich von meiner eigenen Verletzungsvergangenheit erzähle. Ich versuche ihnen das Gefühl zu geben, dass Verletzungen normal sind und sie sich keine Gedanken darüber machen müssen. Am wichtigsten ist es bei Verletzungen, sich bei der Reha genügend Zeit zu nehmen. Der Körper ist das Kapital eines jeden Spielers und das sollte er besser nicht kaputtmachen, indem er beim Heilungsprozess überhastet.
Wie haben Sie Ihre Leidenszeit als aktiver Spieler gemeistert?
Zickler: Am schwierigsten sind die Tage direkt nach einer Verletzung. Da fragt man sich: Warum immer ich? Und ist es das wirklich wert, den ganzen Reha-Weg noch einmal zu gehen? Diese Gedanken sind bei mir aber immer relativ schnell wieder verschwunden. In Momenten des Zweifels habe ich mir wieder und wieder vorgesagt: So kann ich nicht aufhören!
Hat sich in diesen schwierigen Zeiten etwas an Ihrem Umgang mit der Familie oder Freunden geändert?
Zickler: Ich war zurückgezogener, nachdenklicher und in mich gekehrter - aber niemals aggressiv oder wütend. Meinen Frust über die Verletzungen habe ich nicht an anderen ausgelassen. Ich glaube nicht, dass ich ein unguter Mensch war.
Hat sich Ihr damaliger Klub FC Bayern entsprechend um Sie gekümmert?
Zickler: Ja, und das weiß ich sehr zu schätzen. Nach meinem letzten Schienbeinbruch hat der Klub meinen Vertrag verlängert - obwohl ich lange nicht gespielt habe und trotz der schlechten Aussichten. Das war eine einmalige Geste.
Zickler: "Sie konnten die Hassbekundungen nicht einordnen"
2005 wechselten Sie nach Salzburg, wo sie anschließend fast 15 Jahre verbrachten. Beim Abschied sind die Tränen geflossen. Warum ist Ihnen der Klub so sehr ans Herzen gewachsen?
Zickler: Ich hatte eine wunderbare Zeit als Spieler und Trainer, aber auch als Privatmensch. Ich habe in Salzburg zum zweiten Mal geheiratet, meine Familie lebt immer noch dort und meine Kinder sind große Salzburg-Fans. Ich fühle mich emotional mit der Stadt und dem Klub verbunden. Bei meinem Abschied sind alle Gefühle zusammengekommen. Einerseits die Erinnerungen an die Vergangenheit; andererseits die Aussichten auf die Zukunft, die spannende neue Aufgabe, aber auch die damit einhergehende Trennung von meiner Familie. Dann ist alles aus mir rausgebrochen.
Wegen des Investments von Red Bull ist Salzburg ein äußerst polarisierender Klub und für viele gegnerische Fans ein Feindbild. Wie gehen Ihre Kinder, die Sie große Salzburg-Fans nennen, damit um?
Zickler: Als sie noch klein waren und zu meinen Spielen mitgekommen sind, haben Sie die Hassbekundungen der gegnerischen Fans natürlich wahrgenommen. Sie konnten das nicht einordnen, also habe ich versucht, es ihnen kindgerecht zu erklären.
Wie haben sie das gemacht?
Zickler: Ich habe ihnen gesagt, dass RB Salzburg ein neuer Verein ist und es mit Dietrich Mateschitz einen Menschen gibt, der neue Möglichkeiten geschaffen hat und deshalb gute Spieler kaufen kann. Das dürfe man natürlich negativ sehen, muss man aber nicht.
Sie haben das Engagement von Red Bull in Salzburg von Beginn an miterlebt. Der Investor hat Logo, Name und Farbe von Austria Salzburg geändert, woraufhin viele ehemalige Fans dem Klub den Rücken gekehrt haben. Konnten Sie das nachvollziehen?
Zickler: Ich bin bei Dynamo Dresden groß geworden, einem riesigen Traditionsverein. Natürlich konnte ich die Bedenken der Fans generell nachvollziehen. Ich konnte aber nicht verstehen, warum man sich geweigert hat, miteinander zu sprechen und Kompromisse zu finden. Das war leider bei vielen Fans der Fall. Aus meiner Sicht sollte man einem Neustart immer eine Chance geben - und der Neustart in Salzburg war immerhin mit der Aussicht auf attraktiven Fußball und Titel verbunden.
Wie haben Sie Dietrich Mateschitz persönlich kennengelernt?
Zickler: Er macht nie halbe Sachen. Wenn er etwas angeht, dann richtig. Er hat in Salzburg nicht nur sportlich, sondern auch infrastrukturell etwas aufgebaut. Viele Menschen sehen nicht, was Mateschitz im Hintergrund macht. Ich finde es schade, dass das untergeht.
imago images / GEPA picturesZickler: "Salzburg zu trainieren, wäre ein Traum"
Im Sommer 2006 war Hansi Flick ein paar Wochen lang Co-Trainer von Giovanni Trapattoni in Salzburg, ehe er in Joachim Löws Trainerstab bei der deutschen Nationalmannschaft wechselte. Wie haben Sie die Zeit mit ihm in Erinnerung?
Zickler: Ich habe die paar Wochen mit Hansi extrem genossen. Er ist ein feiner Mensch, mit dem man sich sehr gut über Fußball, aber auch das Leben an sich unterhalten kann. Taktisches Wissen ist als Trainer natürlich auch wichtig, aber die Wichtigkeit der Menschenführung wird oft unterschätzt. Das ist Hansis große Stärke und davon profitiert er jetzt beim FC Bayern. Dort geht es nicht darum, Spielern fußballerische Details beizubringen, sondern eine Mannschaft zu formen und zu führen. Das macht er überragend.
Flick wurde mit 54 Jahren erstmals Cheftrainer auf höchstem Niveau. Sie sind mittlerweile 46. Können Sie auch so lange warten?
Zickler: Aktuell habe ich das Gefühl, dass ich mich in meiner Rolle als Co-Trainer noch weiterentwickle und dazulerne. Solange das der Fall ist, gibt es für mich keinen Grund, etwas daran zu ändern. Ich kann es mir aber schon vorstellen, später Cheftrainer zu werden.
Bei RB Salzburg?
Zickler: Salzburg zu trainieren, wäre ein Traum. Ich fühle mich wohl in der Stadt, kenne und schätze viele Leute im Klub und meine Familie wohnt dort.
Zeitgleich mit Flick stieß einst auch Lothar Matthäus ins Trainerteam von Trapattoni. Wie haben Sie das Zusammenspiel dieser beiden großen Persönlichkeiten erlebt?
Zickler: Da sind zwei Alphatiere aufeinandergeprallt. Beide leben den Fußball und haben klare Meinungen, Trapattoni hatte als Cheftrainer damals aber das Sagen. Ich habe gespürt, dass Lothar einige Sachen gerne anders gemacht hätte. Deswegen ist er dann auch bald gegangen. Lothar tut sich in der zweiten Reihe schwer. Er steht lieber in der ersten Reihe und geht voran.
Sie kannten Matthäus schon aus Spielerzeiten, haben von 1993 bis 2000 mit ihm beim FC Bayern zusammengespielt.
Zickler: Ich bin damals mit 18 Jahren allein zum FC Bayern gekommen und Lothar hat sich mir gemeinsam mit Raimond Aumann, Thomas Helmer und Christian Ziege direkt angenommen. Sie haben mir das Gefühl gegeben, dass sich um mich gekümmert wird.
Wie haben sie das bewerkstelligt?
Zickler: Thomas hat mich eine Zeit lang jeden Tag zum Frühstück eingeladen. Während ich die Semmeln holte, bereitete er alles andere vor. Nach dem Training hat mich Lothar oft in die Stadt mitgenommen und in das Münchner Leben eingeführt. Wir sind auch oft nach Starnberg rausgefahren und dort in den Biergarten gegangen. Für die Abendplanung war Christian zuständig, mit dem ich auch jahrelang das Zimmer bei den Auswärtsfahren geteilt habe. Mit ihm habe ich viele Nächte genossen: Erst in die Bar, dann weiter in die Disco. So wie man es halt macht.
imago images / WEREKCL-Finale 1999? "Wie aus dem Nichts entstand eine geile Party"
Sie haben mal erzählt, dass die schönste Party Ihres Lebens die nach dem so dramatisch verlorenen Champions-League-Finale 1999 gegen Manchester United war. Wie konnte das passieren?
Zickler: Die erste Stunde beim Bankett nach dem Spiel war extrem ruhig, dann sind die ersten aufs Zimmer gegangen. Irgendwann hat der DJ die Musik lauter gedreht und die richtigen Lieder aufgelegt. Wie aus dem Nichts setzte ein Stimmungsumschwung ein und es entstand eine geile Party. Wir haben beschlossen, uns und eine eigentlich geile Saison mit dem Meistertitel und dem Einzug ins Champions-League-Finale zu feiern. Dadurch hat sich ein ganz besonderer Zusammenhalt entwickelt, der uns in den darauffolgenden Monaten und Jahren sehr geholfen hat.
Wer hat an diesem Abend als erster vom Frust- in den Party-Modus umgeschaltet?
Zickler: Damals stand Mario Basler in der Mannschaft. Der findet immer einen Weg, so etwas zum Laufen zu bringen.
Und wie war die Party nach dem Titelgewinn zwei Jahre später?
Zickler: Das war auch eine ganz schöne Feier, aber bei weitem nicht so schön wie in Barcelona. Der Saisonendspurt mit der knappen Entscheidung in der Bundesliga und dem Elfmeterschießen im Champions-League-Finale war extrem kräftezehrend. Ich und viele andere Spieler waren nach dem Abpfiff einfach komplett leer.
Also 2001 komplett leer und 1999 komplett voll?
Zickler: Ja, so ungefähr.