Vor dem Bundesliga-Top-Spiel zwischen RB Leipzig und Borussia Dortmund (18.30 Uhr im LIVETICKER) sprach BVB-Abwehrchef Hummels in der Sport Bild über die Gründe, die aus seiner Sicht zum schwächeren Saisonstart und der Entlassung von Trainer Favre geführt haben. Mehr Zielstrebigkeit und "Erwachsenenfußball" forderte Hummels von seiner Mannschaft.
Jürgen Kohler (55) war genau wie Hummels Abwehrspieler und trug zwischen 1995 und 2002 das schwarz-gelbe Trikot. Mit der Borussia wurde er zweimal Meister und holte 1997 die Champions League. Im Gespräch mit SPOX und Goal kommentiert er die Hummels-Aussagen, blickt auf die Zeit von Lucien Favre als Dortmund-Trainer zurück und zieht ein Zwischenfazit der BVB-Saison.
Jürgen Kohler über ...
... die Aussagen von Mats Hummels über Lucien Favre und seine Kritik an der Spielweise: "Grundsätzlich finde ich es gut, wenn Führungsspieler Kritik äußern. Allerdings ist dabei die Reihenfolge entscheidend: Zunächst sollte man mit den handelnden Personen darüber sprechen. Ob er das intern getan hat, kann ich nicht beurteilen. Wenn der Verein eine Entscheidung trifft, dann sollte man das hinnehmen und im Nachgang nicht mehr darüber sprechen. Die getätigten Aussagen lassen darauf schließen, dass das Verhältnis zwischen der Mannschaft und dem Trainer gestört war."
... die Auswirkungen der Aussagen auf die Stimmung in der Kabine: "Man wird an den Ergebnissen sehen, wie sich das auf die Mannschaft auswirkt. Wenn Dortmund eine Siegesserie startet, wird jeder Hummels Recht geben. Hummels sagte, man müsse in Zukunft mit mehr Energie und Leidenschaft im Training agieren. Das Selbstvertrauen müssen sich die Spieler über die Trainingsarbeit holen. Das ist natürlich unter den aktuellen Umständen, mit wiederholten Corona-Tests, schwierig. Solche Dinge beschäftigen die Spieler. Das Training muss die Wettkampfvorbereitung für die Spiele darstellen - und das scheint laut seinen Aussagen aktuell nicht der Fall zu sein."
Kohler: "Watzke hätte Klopp in derselben Situation nicht entlassen"
... Lucien Favre als BVB-Trainer: "Ich halte Favre für einen ausgezeichneten Fachmann, der in seiner Laufbahn viele Erfolge gefeiert hat. Allerdings habe ich schon vor seinem Amtsantritt gesagt, dass ich denke, dass er als Typ nicht nach Dortmund passt. Der Verein war von Klopp, der die Menschen mitgerissen hat, verwöhnt. Ich bin mir sicher, dass Michael Zorc und Hans-Joachim Watzke auch mit den Spielern darüber gesprochen haben, dass sie nicht ganz unschuldig an der Entlassung waren. Den Trainer allein dafür verantwortlich zu machen, ist zu einfach. Er ist am Ende aber das schwächste Glied. Der Einzige, bei dem das nicht der Fall war, war Jürgen Klopp. Ich glaube, dass Watzke Klopp auch in derselben Situation nicht entlassen hätte."
... mögliche Kommunikationsprobleme zwischen Favre und der Mannschaft: "Bei Favre war vielleicht auch die Sprachbarriere ein Problem. Dortmund hat einige französischsprachige Spieler, mit denen er sich verständigen konnte. Möglicherweise hat das zu Schwierigkeiten geführt, vor allem, als die Ergebnisse ausblieben."
... die Rückendeckung für Hummels von den Verantwortlichen: "Wenn er die Dinge intern vorher angesprochen hatte, dann ist die Reaktion der Verantwortlichen korrekt. Alternativ wollten sie ihn damit schützen, nachdem er über das Ziel hinausgeschossen hatte. Die Bosse wollten kein weiteres Öl ins Feuer gießen."
... Mats Hummels als Führungsspieler: "Wenn Hummels fit und gesund ist und genügend Selbstvertrauen hat, kann er sicherlich vorangehen. Allerdings finde ich, dass er in dieser Saison zu sehr zwischen Licht und Schatten schwankt. Führungsspieler zeichnen sich vor allem durch eine Sache aus: Leistung. Das ist das Einzige, was zählt. Dabei geht es nicht um Wochen oder Monate, sondern um das gesamte Jahr. Wenn sie allerdings selbst keine konstanten Leistungen abrufen, dann hinterfragen die Mitspieler die Entscheidung und das bringt Unruhe ins Team."
... die Kapitänsdebatte um Marco Reus und Hummels: "Es ist nicht entscheidend, ob ein Führungsspieler die Kapitänsbinde trägt. Er kann auch so ein wichtiges Bindeglied für die Mannschaft sein. Manchmal ist es vielleicht sogar leichter, Verantwortung ohne die Binde zu übernehmen, weil man sich nicht zu allen Themen äußern muss und sich daher auf das Wesentliche fokussieren kann. Die Frage ist, ob Reus zum Kapitän ernannt oder gewählt worden ist. Ein Spielführer sollte immer an Bord sein, aber Reus ist leider sehr verletzungsanfällig. Wenn du dich als Spieler immer mit dir selbst beschäftigen musst, ist es umso schwerer, innerhalb des Teams Verantwortung zu übernehmen."
Kohler: Keine Ideallösung auf der Sechserposition
... Dortmunds Ansprüche und die aktuellen Leistungen: "Der BVB hat von 14 Spielen fünf verloren, davon drei zuhause. Das entspricht nicht den eigenen Ansprüchen. Es war kein überzeugendes Spiel dabei. Die Anzahl der Niederlagen ist erstaunlich. Noch erstaunlicher ist es, dass Dortmund immer noch die Chance hat, vorne mitzuspielen. Das zeigt, dass die Liga aktuell nicht das abruft, was sie eigentlich kann."
... die Schwachstellen im BVB-Spiel: "Aktuell kommt von der Achse zu wenig. Spieler wie Axel Witsel, Emre Can oder Thomas Delaney kommen derzeit nicht an ihr Leistungsmaximum heran. Auf der Sechs hat sich bislang kein Spieler als Ideallösung herauskristallisiert. Wenn man 1:5 gegen den VfB Stuttgart und 1:2 gegen Union Berlin verliert, kann irgendetwas nicht stimmen. Im Sturm hat man die ideale Besetzung gefunden. Die Probleme beginnen aber ganz hinten. Dem Verein fehlt ein Pendant zu Hummels, ein anderer Spielertyp als er. Zudem passiert über die Außenverteidiger zu wenig. Im internationalen Vergleich fehlt Dortmund auf Dauer die Qualität."
... Dortmunds Chancen auf einen Titelgewinn: "Wenn Dortmund einen Lauf hat, dann haben sie enorme Qualität und großes Potenzial nach vorne. Das Problem ist der Weg nach hinten. Bayern München ist seit Jahren so stark, weil beispielsweise Spieler wie Franck Ribery oder Arjen Robben verstanden haben, dass man auch Defensivarbeit leisten muss. Das fehlt dem BVB derzeit. Hinzu kommen diverse Unruhen, wie die Torhüterdiskussion um Roman Bürki und Marwin Hitz. Dortmund muss angesichts des Potenzials in den nächsten zwei, drei Jahren einen Titel holen. Schwierig wird hierbei, Bayern auf Dauer Paroli zu bieten. Das sind auch andere wirtschaftliche Dimensionen."