Deutschlands beste Schiedsrichterin Riem Hussein im Interview: "Der Weg in die Männer-Bundesliga wäre für mich unrealistisch"

Von Marcel Hache
Riem Hussein war viermal deutsche Schiedsrichterin des Jahres.
© getty
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Können Sie als Top-Schiedsrichterin überhaupt regelmäßig hinter der Theke stehen?

Hussein: Ich habe mit den Jahren gelernt, meine berufliche und meine sportliche Karriere unter einen Hut zu bringen. Ich nutze meinen privaten Erholungsurlaub fast komplett für meine sportlichen Einsätze, die mit meiner Arbeitszeit kollidieren. Alles funktioniert aber in erster Linie nur, weil mich meine beiden Geschwister, mit denen ich unsere Apotheke gemeinsam führe, bedingungslos unterstützen.

Stimmt es, dass Sie Ihre Doktorarbeit - salopp gesagt - über Zäpfchen geschrieben haben?

Hussein: Nein, woher haben Sie das?

Ich habe gelesen, dass es in Ihrer Arbeit um Hartfett geht - also der Stoff, aus dem die Zäpfchen sind.

Hussein: Das ist korrekt. Ich habe in meiner Doktorarbeit an Hartfettnanopartikeln geforscht. Diese sind jedoch deutlich kleiner als Zäpfchen, wurden auf ihre Fähigkeiten als Arzneistoffträger von meiner Arbeitsgruppe grundlagentechnisch untersucht.

Dann war ich mit den Zäpfchen ja gar nicht so verkehrt.

Hussein: Sicherlich stimmt die Richtung, Zäpfchen sind auch eine Arzneiform, die insbesondere in der Kinderheilkunde sehr wichtig sind.

Hussein hatte die gleiche Förderin wie Bibiana Steinhaus-Webb

Zurück zum Sportlichen: Sie waren selbst aktive Fußballerin in der 2. Liga und sind dann zu den Unparteiischen gewechselt. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Hussein: Das war ein Prozess und kam nicht von heute auf morgen. Ich hatte schon immer Lust, etwas über die Regeln zu lernen. Ich war zudem mit den Schiedsrichterentscheidungen nicht immer einverstanden und dachte, dass ich alles besser weiß und kann - obwohl ich als Spielerin nicht wirklich Ahnung von der Materie hatte. Wenn man aber meint, alles besser zu können, sollte man wissen, wovon man spricht. Deswegen habe ich 2001 den Schiedsrichterschein gemacht und zunächst parallel zu meinen eigenen Fußballspielen an den freien Tagen gepfiffen oder als Schiedsrichterassistentin in unteren Spielklassen agiert.

Wie ging es nach den ersten unterklassigen Spielen weiter?

Hussein: Ich hatte mir relativ schnell hier im Verband einen Namen gemacht und wurde als junge, talentierte Schiedsrichterin wahrgenommen. Mit der ehemaligen FIFA-Schiedsrichterin Antje Witteweg, die bei mir ganz in der Nähe wohnt, hat mir auch eine ganz spezielle Förderin sehr geholfen. Sie war ebenfalls eine Entdeckerin von Bibiana und zeigte mir auf, wie reizvoll es sein kann, höherklassig zu pfeifen. Also hatte ich mich 2005 dazu entschieden, die Karriere als Spielerin ruhen zu lassen und die Schiedsrichterlaufbahn in meinen Fokus zu rücken.

Wie wurden Sie schließlich FIFA-Schiedsrichterin?

Hussein: Ich war als ehemalige Spielerin sehr talentiert, war entscheidungssicher und ausgesprochen fit. So konnte ich mich zu der damaligen Zeit von vielen Schiedsrichterinnen abheben und wurde zudem in meinem Landes- und Regionalverband immer sehr gefördert. Ich muss aber auch ehrlich sagen, dass ich großes Glück hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Als dann 2009 ein FIFA-Platz frei wurde, entschied sich der DFB glücklicherweise für mich.

Wie sehr hat es geholfen, selbst als Spielerin höherklassig auf dem Platz gestanden zu haben?

Hussein: Das war und ist immer noch sehr hilfreich. Man erkennt bestimmte Abläufe und Bewegungsmuster im Spiel intuitiv und kann entsprechend bessere Entscheidungen treffen. Ich sehe diese Qualität als eine meiner größten Stärken an.

Altersgrenze für Schiedsrichter:innen? "Kann beide Seiten verstehen"

Sie sind eine deutsche Schiedsrichterin palästinensischer Abstammung. Inwieweit achtet die FIFA bei internationalen Ansetzungen auf die Herkunft ihrer Schiedsrichter?

Hussein: Als deutsche Schiedsrichterin darf ich mein eigenes Land nicht pfeifen, darauf achten sowohl FIFA als auch UEFA sehr.

Das Westjordanland hatte zuletzt sogar eine eigene Frauen-Nationalmannschaft. Dürften Sie dessen Spiele leiten?

Hussein: Ich persönlich sehe als neutrale Spielleiterin kein Problem darin. Um Interessenskonflikte zu vermeiden sind der FIFA, der UEFA und dem DFB meine Wurzeln natürlich bekannt. Die Entscheidung über Ansetzungen treffe ich nicht.

Verfolgen Sie den Frauenfußball im Nahen Osten?

Hussein: Ich verfolge den Frauenfußball im Nahen Osten sehr gerne und freue mich sehr, wenn ich darüber etwas lesen oder sehen kann.

Sie sind mittlerweile 41 Jahre alt - also vier Jahre vor der Altersgrenze für FIFA-Schiedsrichter. Dabei stand genau dieser Wert zuletzt arg in der Kritik. Ist eine Höchstgrenze überhaupt noch zeitgemäß oder sollte künftig nach Leistung entschieden werden?

Hussein: Die Altersgrenze gibt es im internationalen Fußball seit kurzer Zeit nicht mehr, jedoch kann jeder Nationalverband selbst über die Kaderplanung entscheiden. In Deutschland gibt es diesen Richtwert aktuell noch - einfach aus dem Grund, dass es auch für jüngere Schiedsrichter:innen die Möglichkeit geben sollte, in höhere Klassen aufzusteigen. Dieses Vorgehen hat auch mir in meiner Anfangszeit eine Chance eröffnet, die ich sonst möglicherweise nicht bekommen hätte. Jede Karriere muss einfach irgendwann ein Ende haben.

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