Borussia Mönchengladbach: Wie geht es weiter? Die vielen Aufgaben des Mister X

Stefan RommelFatih Demireli
30. Januar 202211:00
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Borussia Mönchengladbach muss sich nach dem Weggang von Max Eberl neu aufstellen und wohl auch neu erfinden. Mannschaft, Nachwuchs, Struktur, Trainer. Der Nachfolger hat viele Aufgaben zu bewältigen. Ein Überblick.

Steffen Korell muss jetzt das machen, wogegen er sich seit Jahren sträubt: Korell, bei Borussia Mönchengladbach für die Kaderplanung verantwortlich und damit ein Mann der zweiten Reihe, muss raus ins Rampenlicht. Zumindest vorübergehend.

Korell wird als eine Art "Übergangs-Sportchef" die sportliche Leitung der Borussia übernehmen. So lange bis ein Nachfolger des zurückgetretenen Max Eberl gefunden ist. Wie lange das dauert, ist schwer zu beantworten. Es soll aber eine externe Lösung her, wie Präsident Rolf Königs versicherte. Bis dahin übernimmt Korell, flankiert von Geschäftsführer Stephan Schippers und Vizepräsident Rainer Bonhof.

Der eine, Schippers, ist der Herr der Zahlen - aber kein Sportfachmann. Der andere, Bonhof, schon seit Jahren raus aus dem operativen Geschäft. Die Borussia braucht einen oder mehrere Führungsfiguren für den sportlichen Bereich - der oder die werden aber vor einem Berg an heiklen Aufgaben stehen.

Borussia Mönchengladbach - Aufgabe: Trainer

Bis vor wenigen Tagen schien Borussia Mönchengladbach ein einziges Problem zu haben: Adi Hütter. Sechs Punkte aus den letzten acht Spielen, das heftige Pokal-Aus gegen den kriselnden Zweitligisten Hannover 96 (0:3), Abstiegskampf. Und in den meisten Fällen völlig verdiente Niederlagen. Klar, dass man das am Trainer festmacht. Aber: Dass man in Gladbach Trainer schützen und an ihnen festgehalten kann, sah man bei Marco Rose.

Trotz heftiger Widrigkeiten hielt Max Eberl lange am Hütter-Vorgänger fest. Dabei war das für viele der Anfang der sportlichen Krise, die heute an den Ergebnissen zu erkennen ist. Eberl schien aber an seiner Strategie der Kontinuität festzuhalten, obwohl die Wirkung, die Hütter bei Eintracht Frankfurt erzielte, in Mönchengladbach bisher nicht zu spüren ist und gar eine entgegengesetzte Entwicklung eingesetzt hat.

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Hütter kann man nicht vorwerfen, dass er nichts unternimmt, um der Fehlentwicklung entgegenzutreten. Er stellte das System um, setzte auf neue Spieler, probierte viel aus. Und dennoch gibt es nur punktuell Erfolge. Inwiefern man die Unruhe innerhalb des Kaders nur am Trainer festmachen kann, darf diskutiert werden. Hütter übernahm kein intaktes Klima und muss mit den Problemen weiter zurechtkommen, die er geerbt hatte.

Zudem ist klar, dass die Ablösesumme von 7,5 Millionen Euro, die man für Hütter nach Frankfurt überweis, eine Hürde für die Entlassung darstellen. Hütter hat einen langfristigen Vertrag bis 2024. Entsprechend hoch wäre eine Abfindung. Ein Nachfolger, der ein bestimmtes Kaliber darstellen müsste, würde nicht viel weniger Gehalt fordern.

Die These, dass der Weggang von Eberl, der Hütter holte und an ihm festhielt, wirklich ein Problem für Hütter darstellen könnte, ist mit Vorsicht zu genießen. Bei allen Aufgaben (siehe unten), die Gladbach nach dem abrupten Weggang von Eberl hat, wäre ein Trainerwechsel nur eine weitere große Baustelle, die man aktuell nicht braucht. Zumal man auch nicht abschließend sagen kann, ob Hütter wirklich das Problem ist.

Sicher ist, dass am Saisonende abgerechnet wird. Bis dahin sollte auch die Struktur in Gladbach stehen und diese dann so weit sein, die Arbeit des Trainers einzuschätzen. Kommt es zum Abstieg, hätte man ohnehin Gewissheit.

Borussia Mönchengladbach - Aufgabe: Mannschaft

Der Neue sieht sich ein bisschen mit den Verhältnissen zu Eberls Anfangszeit als Sportchef vor 13 Jahren konfrontiert. Nicht auf dem selben, damals eher überschaubaren Niveau - die Borussia war nach zwei Abstiegen in den zehn Jahren davor alles andere als ein gefestigter Bundesligist - aber in der Vielfalt der Aufgaben doch ähnlich. Das trifft insbesondere auch für die Planung und Ausrichtung des Kaders zu.

Seit zwei Jahren hat sich an Gladbachs Mannschaft allenfalls in der Peripherie des Kaders etwas geändert. Alle wichtigen Spieler konnten gehalten werden, was auf den ersten Blick natürlich ein großer Faktor für die kontinuierliche Arbeit ist. Aber gleichzeitig wurde auch kaum frisches Blut zugeführt und die Stützen der Mannschaft wurden nochmal zwei Jahre älter. Mittlerweile stellt Gladbach auch deshalb mit im Schnitt 25,4 Jahren den fünftältesten Kader der Liga.

Die Verjüngung hat Eberl noch angestoßen mit dem Transfer von zuletzt Luca Netz (18), den Beförderungen von Joe Scally (19) und Keanan Bennets (22) oder Kouadio Kone (20), der so etwas wie der Gewinner der bisherigen Saison ist. Hannes Wolf (22), letztlich rund elf Millionen Euro teuer, hat sich bisher als wenig nützliche Investition erwiesen. Netz, Kone, mit Abstrichen Scally oder Bennets: Das reicht auf Dauer natürlich nicht als Verjüngungskur.

Das Gerüst der Mannschaft ist gebaut aus Spielern um die 30 Jahre - die in ihrem fortgeschrittenen Alter nun auch keine zweistelligen Millionenbeträge bei einem möglichen Verkauf mehr einbringen dürften. Eher ist anzunehmen, dass Spieler wie Christoph Kramer, Lars Stindl, Tony Jantschke oder Patrick Herrmann ihre Karriere in Gladbach beenden werden. Dabei wurde die Borussia mehr als andere Klubs vom in ihrem Preissegment seit zwei Jahren darbenden Transfermarkt beeinflusst.

Mehrere Jahre in Folge schaffte es Eberl, auf der Verkaufsseite ein zweistelliges Millionenergebnis zu erzielen. Neun der zehn Gladbacher Top-Transfers wickelte Eberl ab, von Marco Reus bis Michael Cuisance. Fast 170 Millionen Euro wurden mit diesen Spieler generiert. Seit Cuisance vor zwei Jahren für acht Millionen Euro zum FC Bayern ging, hat Gladbach aber keinen Spieler mehr für mehr als eine Million veräußern können.

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Je mehr Luft aus dem zuvor aufgeblähten Transfermarkt entwich, desto schwieriger wurde es für einen Klub wie die Borussia, deren originäres Geschäftsmodell es unter Eberl war, Spieler zu entdecken, für vergleichsweise kleines Geld zu kaufen, sie zu entwickeln und dann meistbietend weiterzuschicken. Eberl trägt nicht die Schuld an den sich verändernden Vorzeichen auf dem Transfermarkt, der durch Corona sein Gesicht veränderte. Aber er hatte auch keine echte Lösung parat, um auf die veränderten Gegebenheiten angemessen zu reagieren.

Von den erhofften Wahnsinnssummen, die man mit dem Verkauf von Spielern wie Matthias Ginter, Dennis Zakaria oder Marcus Thuram angeblich hätte erzielen können, ist kaum noch etwas geblieben. Ginter und Zakaria werden im Sommer ablösefrei wechseln, einen zahlungsfreudigen Abnehmer für Thuram zu finden, dürfte nach den Eindrücken der bisherigen Saison schwer werden.

Yann Sommer, Ramy Bensebaini, Breel Embolo, Alassane Plea, Thuram, Jonas Hofmann, Herrmann: Das sind Spieler, deren Verträge in diesem oder im nächsten Jahr auslaufen. Wie umgehen mit diesen zum Teil sehr verdienten Spielern? Noch ein paar Runden drehen lassen oder auf eine Trennung hinarbeiten, um wenigstens noch ein bisschen Ablöse zu generieren?

Und noch ein Problem wird hinzukommen: Trotz der hohen Einnahmen gab es auch finanzielle Unterdeckungen, wenn man die Ausgaben gegengerechnet hat. Das Saldo konnte durch sechs Europapokal-Teilnahmen in neun Jahren aber problemlos aufgefangen werden. Nun bricht die Teilnahme am internationalen Wettbewerb aber erneut weg - es fehlt also das nötige Kleingeld, um satt einzukaufen.

Der oder die neuen sportlichen Leiter stehen vor einer gewaltigen Aufgabe: Die Mannschaft benötigt in allen Mannschaftsteilen größere Veränderungen, derzeit sind vielleicht vier, fünf Spieler absolut unumstritten, der Rest wackelig. Ein Umbau wird aber Geld kosten, das nicht da ist und so schnell auch nicht durch Verkäufe eingenommen werden kann.

Borussia Mönchengladbach - Aufgabe: NLZ-Neuausrichtung?

Gladbach und Eberl haben sich in den letzten zehn Jahren einen Namen als hervorragender Käufer-Klub gemacht und als Sprungbrett für ambitionierte Spieler, die in Ruhe reifen und dann den nächsten Schritt gehen wollen. Aus dem eigenen Fohlen-Stall aber versiegt der Nachschub an Bundesligaspielern seit vielen Jahren.

Während andere Klubs wie Freiburg, Hertha BSC, Hoffenheim oder Stuttgart für die eigene Lizenzspielermannschaft oder aber gegen entsprechende Vergütung für andere Bundesligaklubs entwickeln, wartet man in Gladbach schon länger auf Spieler, die sich nachhaltig für die erste Mannschaft empfehlen können. Mit der Aussicht auf fehlende Einnahmen aus dem internationalen Geschäft und lukrativen Spielerverkäufen wäre die Stärkung des Nachwuchsleistungszentrums aber ein plausibles Vorhaben.

Denn momentan reicht die Qualität weder für Spieler, die es ganz nach oben packen, noch für den einen oder anderen Erfolg im Jugendbereich. Vor über 40 Jahren hat die Borussia mal den Titel bei den B-Junioren geholt, auf eine Meisterschaft in der A-Jugend wartet man bis heute vergebens. Das muss nicht zwingend ein Makel sein, Silberware ist im Jugendbereich nicht das höchste aller Ziele. Aber es dokumentiert auch eine gewisse Wertschätzung und die Arbeit, die von den Verantwortlichen in dem Bereich geleistet wird.

Borussia Mönchengladbach - Aufgabe: Struktur

Max Eberl hat es auf seine ganz eigene Weise geschafft, den Geist der 70er und 80er Jahre in Mönchengladbach wieder aufleben zu lassen. "Fohlen-Fußball" mag ein abstrakter Begriff sein, durch die Wahl Lucien Favres aber bekam diese zuvor oft kopierte, aber nie erreichte Strategie neues Leben eingehaucht.

Dann verhedderte sich Favre und mit dessen Abgang war auch die ursprüngliche Idee nicht mehr eindeutig erkennbar - beziehungsweise deren Umsetzung. Andre Schubert war eine Übergangslösung, Dieter Hecking trotz Stallgeruch nicht der richtige für den Aufbruch. Mit jedem dieser Trainer verwässerte sich das unter Favre klar definierte Spiel immer noch ein bisschen mehr.

Dann kam Marco Rose und wirbelte alles ganz gehörig durcheinander. Rose brachte viele Elemente des Red-Bull-Fußballs mit und irgendwann deckten sich der Anspruch - "Fohlen-Fußball", also aktiver, attraktiver, technisch feiner Fußball - und das, was auf dem Rasen zu sehen war, nicht mehr. Auch unter Adi Hütter hat sich das nicht gebessert. Der versucht es aktuell mit einer Dreierkette. Eine taktische Marginalie vielleicht, als Symbolbild für die Abkehr von den alten Idealen - in diesem Fall der Viererkette - aber durchaus zulässig.

Das oft strapazierte Wort der Klubphilosophie wird auch in den kommenden Tagen, Wochen, Monaten sehr oft zu hören sein. Denn das ist die ganz zentrale Frage, an der sich alle weiteren Personalien ausrichten sollten: Wofür will Borussia Mönchengladbach stehen und wie sieht sich der Klub selbst innerhalb der Liga?

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Das "alte" Geschäftsmodell hat zuletzt nicht mehr besonders gut funktioniert und derzeit gibt es kaum Anzeichen einer Besserung. Die Borussia benötigt frische Ideen, sehr wahrscheinlich von außen. Denn die Riege der Verantwortlichen, die Eberl zuletzt haben fast im Alleingang machen lassen, scheint damit überfordert. Fast schien es so, als sei das Präsidium ganz froh, dass Eberl mit ungesund viel Macht ausgestattet war, ganz nach dem Motto: "Der Max wird das schon machen." Das hat den Blick getrübt und den Schlendrian einkehren lassen.

Unter Gladbachs Granden sind einige ganz entscheidende Entscheidungsträger schon um die 80 Jahre alt, Rainer Bonhof wird in wenigen Wochen auch schon 70. Nun schützt Alter nicht vor neuen Ideen, aber die Neuausrichtung eines Profi-Klubs dürften gerne auch etwas jüngere Mitarbeiter vorantreiben.

Das Krisenmanagement war zuletzt jedenfalls schon mal nicht besonders ausgeprägt - weil es niemanden gab, der Eberl zur Seite oder in die Bresche hätte springen können. Einen Helfer wollte ihm der Klub vor vier Jahren an die Seite stellen, Eberl lehnte das Angebot damals ab.

So entwickelte sich der sportliche Bereich immer mehr zu einer One-Man-Show, die die Gremien goutierten oder zumindest akzeptierten. Mit Eberls Rückzug ergibt sich nun großes Vakuum - aber auch eine Chance für eine Runderneuerung. Mit Gedanken in alle Richtungen, einer flacheren Hierarchie und auch in der Auswahl der handelnden Personen.

Auch hier wird der oder werden die neuen sportlichen Leiter Einfluss nehmen müssen. Nicht unbedingt durch ein Weisungsbefugnis - aber durch einen klaren Weg, ein Profil, den es für die Zukunft aufzuzeigen gilt. "Einfach so" Max Eberls Job zu übernehmen, fällt jedenfalls definitiv flach. Dafür sind die Strukturen in Gladbach zu verworren - und der Vorgänger nicht mehr da, um seinen Nachfolger einzulernen oder eine umfassende Übergabe zu vermitteln.