Dominik Szoboszlai ist bei RB Leipzig furios in die Saison gestartet, kam in der Bundesliga zuletzt aber nicht mehr so oft zum Einsatz. Woran liegt es, dass das Ausnahmetalent noch auf den ganz großen Durchbruch wartet?
Zweimal hat Leipzigs Dominik Szoboszlai in dieser Saison bereits den Bundesliga-Award "Rookie des Monats" gewonnen. Für seinen Klub ist der 21-Jährige quasi wie ein Neuzugang. Zwar ging er bereits im Wintertransferfenster 2021 den berühmten Weg von Salzburg nach Leipzig, doch aufgrund einer Adduktorenverletzung machte er unter Julian Nagelsmann kein Spiel mehr.
Am Donnerstag trifft Leipzig in der Europa League auf Real Sociedad San Sebastian. Szoboszlai könnte mit all seinen Qualitäten zum Schlüsselspieler werden - in dieser Begegnung, aber auch ganz allgemein. Zuletzt variierten seine Einsatzzeiten stark. Dabei war sein Start unter Jesse Marsch vielversprechend.
Nach neun Bundesliga-Spieltagen und fünf Startelfeinsätzen kam der Ungar bereits auf drei Tore und drei Torvorlagen. Marsch setzte ihn vor allem auf dem Flügel ein, wo er immer wieder die Freiheiten hatte, in den Halbraum zu ziehen. Der Trainer kennt Szoboszlai noch gut aus Salzburger Zeiten. Seit dem Wechsel zu Domenico Tedesco kam der Offensivspieler aber nur noch zu zwei aus fünf möglichen Startelfeinsätzen, zwei weitere Partien verpasste er mit einer leichten Oberschenkelverletzung.
RB Leipzig: Szoboszlais Abschluss vielleicht einer "der besten in Europa"
Intern macht man sich allerdings keinerlei Sorgen. "Ich kenne Dominik, seitdem er 15 Jahre alt ist", sagt Leipzigs Christopher Vivell im Gespräch mit SPOX und GOAL. Der 35-Jährige hat Szoboszlai 2017 nach Salzburg gelotst und im vergangenen Jahr dann auch nach Leipzig geholt. "Er hatte schon immer einen besonderen Charakter und ein sehr großes Talent mit einem Gesamtpaket, das es so nur ganz selten gibt", so der technische Direktor.
Szoboszlai sei ausdauernd, besteche aber auch durch seine Schnelligkeit. "Zudem hat er einen sehr guten Abschluss, vielleicht sogar einen der besten in Europa", schwärmt Vivell. Vor allem die Standards wären "eine echte Waffe." Schon bei seinem ersten Startelfeinsatz in der Bundesliga erzielte Szoboszlai einen Doppelpack, der all die lobenden Worte bestätigte. Gegen den VfB Stuttgart traf er zunächst sehenswert vom rechten Strafraumeck aus.
In der zweiten Halbzeit bekam Leipzig dann einen Freistoß auf dem linken Flügel zugesprochen. Alle erwarteten aus dieser Position eine Flanke. Szoboszlai aber entschied sich anders. Der Ball flog mit kurioser Flugbahn ebenfalls ins Tor. Ein Schuss wie ein Kunstwerk, vielleicht sogar jetzt schon eines der schönsten Tore dieser Saison.
Verrückt ist aber, dass dieser Treffer in Szoboszlais noch junger Karriere gar nicht so einzigartig ist. Wer sich nur zehn Minuten Zeit nimmt und Highlightvideos durchforstet, wird zahlreiche Freistoß- und Fernschusstore sehen, die nicht minder schön sind. Mit 21 hat der offensive Mittelfeldspieler schon mehr solcher Tore erzielt, als viele im Verlauf ihrer gesamten Karriere.
Szoboszlai: "Ich will meinen eigenen Weg gehen"
Szoboszlais Technik ist beeindruckend. Er ist einer dieser Spieler, der das Publikum an guten Tagen aufstehen, klatschen und staunen lässt. Einer derjenigen, für die Menschen ins Stadion gehen, oder in Zeiten von Corona die jeweiligen Geräte einschalten. Das weiß auch Vivell: "Er ist schon sehr weit für sein Alter und hat eine hohe Qualität." Immer wieder sind es kleine Momente auf dem Spielfeld, in denen der Offensivmann einen Hauch von Magie erzeugt. Sei es ein simpel aussehender Hackentrick oder eben ein Schuss mit unerklärlicher Flugbahn.
In Ungarn verehren ihn die Leute, weil sie in ihm den nächsten Superstar, vielleicht sogar den nächsten Ferenc Puskas sehen. Ein großer Vergleich, dem Szoboszlai bewusst ausweicht. Im Interview mit SPOX und GOAL verriet er im November: "Ich will meinen eigenen Weg gehen und mich auf mich konzentrieren."
Abel Lorincz hat mehrere Jahre als Analyst in Ungarn gearbeitet - unter anderem für den Puskas Akademia FC. 2005 wurde dieser vom Videoton FC gegründet, um die eigene Jugendarbeit voranzutreiben. Heute spielt der nach Ferenc Puskas benannte Klub als erste Jugendmannschaft überhaupt erstklassig.
Lorincz hat Szoboszlai jahrelang intensiv beobachtet. Über dessen Status im Heimatland sagt er im Gespräch mit SPOX und GOAL: "Die Leute in Ungarn verlangen von ihm, dass er alleine Spiele für das Nationalteam gewinnt", was für ihn nicht so einfach sei. "Aber er macht einen großartigen Job. Er ist klar der beste Spieler, den Ungarn hat", so Lorincz, der heute unter anderem für den dänischen Erstligisten SönderjyskE arbeitet.
RB-Trainer Tedesco: "Szobo ein bisschen Opfer des Systems"
In Leipzig ist seine Situation eine andere. Mit Christopher Nkunku, Emil Forsberg und Dani Olmo ist die Konkurrenz auf seiner Lieblingsposition im offensiven Mittelfeld groß. In 23 Einsätzen und 1.347 Minuten kommt er aber immerhin auf 13 direkte Torbeteiligungen. Damit ist er nach Nkunku (30) und Andre Silva (17) bereits der beste Scorer im Team.
Insbesondere unter seinem neuen Trainer könnten nun aber auch Probleme drohen. "In den Grundformationen, die Tedesco aktuell hat spielen lassen, kann Szoboszlai nur auf der Zehn spielen", analysiert Lorincz. Die Außen werden nur durch die beiden Flügelverteidiger besetzt, weshalb die unter Marsch noch häufig genutzte Option der offensiven Flügelrolle wegfällt.
Auch Tedesco selbst deutete im Dezember an, dass die Ausrichtung nicht optimal für Szoboszlai sei. Einmal sagte er: "Szobo ist so ein bisschen Opfer des Systems."
Leipzig und Szoboszlai: Ein Anpassungsprozess
Aktuell konkurriert Szoboszlai vor allem mit Forsberg um einen regelmäßigen Startplatz. Zwei von drei zentralen Offensivpositionen werden von Nkunku und Silva blockiert. Und dann ist da noch Olmo, der nach langer Verletzungspause zurückgekehrt ist und dem Lorincz einen entscheidenden Vorteil zuspricht: "Er kreiert bessere Passoptionen für seine Mitspieler, ohne Andre Silva Raum wegzunehmen."
Szoboszlai ist eher ein dominanter Spieler, der viele Bälle selbst fordert, statt Räume für Mitspieler zu öffnen. Deshalb sehen seine Statistiken pro 90 Minuten im Kadervergleich auch in vielen Bereichen sehr gut aus: Die meisten Assists (0,42), die meisten Pässe unter den Offensivspielern (58,6) und die meisten Pässe in den gegnerischen Strafraum nach Angelino (2,37).
Dafür bewegt er sich sehr viel, fordert viele Bälle, ist aber auch häufig in Positionen unterwegs, wo er Mitspielern den Raum nimmt. Beispielsweise verlässt er oft das Zentrum und zieht auf die Außenbahnen. Tedesco setzte bisher auf ein 3-4-1-2 oder eben auf zwei Zehner in einem 3-4-2-1, wo Szoboszlai dann aber meist auf der linken Seite spielte. Bewegt sich der Ungar dann auf die linke Seite, zwingt er Flügelverteidiger Angelino dazu, sich häufiger ins Zentrum zu orientieren, wo er seine Stärken weniger ausspielen kann.
Dementsprechend wird es für Szoboszlai jetzt darum gehen, sich noch besser ins Team zu integrieren. Bei seinen bisherigen Teams war er meist der Dreh- und Angelpunkt des Offensivspiels. In Leipzig kann er das auch werden, aber dafür muss er zunächst einen Schritt zurück machen. Denn trotz seiner Perspektive ist er jetzt gerade einer von vielen.
Vivell über Szoboszlai: "Wir haben viel Freude an ihm"
"Seine Verletzung hat seine Entwicklung natürlich etwas stagnieren lassen, er ist aber schnell wieder auf ein sehr hohes Niveau gekommen", sagt Vivell und ergänzt: "Dennoch hat er sein Maximum noch nicht erreicht und er hat noch Luft nach oben."
Dass Tedesco im Moment darauf bedacht ist, eher die Defensive zu stabilisieren, führt eben zwangsläufig dazu, dass immer ein Offensivspieler weichen muss. In Salzburg hatte Szoboszlai unter Marco Rose vielleicht seine bisher stärkste Phase. Dort spielte er als Achter in einer Raute und hatte immer die Freiheit, sich nach außen zu bewegen. In Leipzig gibt es eine solche Rolle für ihn aktuell nicht.
Die große Frage bei Szoboszlai ist also nicht, ob er mittel- oder langfristig durchstartet, sondern wann er seine Position in Leipzig findet und ob er lernt, seine Stärken auch im engen Zentrum noch häufiger einzubringen. Mit 21 Jahren ist er noch weit davon entfernt, am Ende seiner Entwicklung angekommen zu sein. Sein Talent ist aber enorm.
In Leipzig traut man ihm offensichtlich sehr viel zu. Sonst hätte man seinen Vertrag nicht schon bis 2026 verlängert, als er noch kein einziges Spiel absolviert hatte. Vivell resümiert: "Wir haben viel Freude an ihm und werden dies auch in Zukunft noch haben."