Fußball-Kolumne: Nur Playoffs machen die Meisterschaft wieder spannend

Martin Volkmar
11. Februar 202216:59
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Nach Oliver Kahns Vorstoß debattiert die Bundesliga endlich über Playoffs. Auch wenn sich die Traditionalisten wie gewohnt schwertun, so gibt es doch viele gute Argumente für eine Änderung des Spielmodus. Die Fußball-Kolumne.

Eigentlich wollte Borussia Dortmund die Verpflichtung von Niklas Süle noch gar nicht an diesem Montag bekanntgeben. Doch dann konnte jemand aus der Frankfurter Entourage des Bayern-Profis das Wasser nicht halten und steckte den Transfercoup der ortsansässigen Rundschau.

Daher entschloss man sich beim BVB, den spektakulären Neuzugang offiziell zu machen. Denn offensichtlich sah man auch in Dortmund den äußerst positiven Nebeneffekt: Niemand sprach mehr über das 2:5-Heimdebakel am Tag zuvor gegen Bayer Leverkusen.

Bevor Süle allerdings im Sommer loslegt, müssen die Schwarz-Gelben noch die Saison zu Ende spielen. Und seit dem vergangenen Spieltag steht der Deutsche Meister ziemlich sicher fest und es wird - schnarch - zum zehnten Mal in Folge der FC Bayern sein.

Allein Niklas Süle sorgt nicht für Spannung im Titelkampf

Durchschnittlicher Vorsprung auf die "Verfolger": 14 Punkte. Daher kann sich kaum jemand vorstellen, dass allein Niklas Süle daran etwas im nächsten Jahr bzw. in den nächsten Jahren ändern wird.

"Bayern München ist nicht deshalb Dauermeister, weil die Mannschaft unschlagbar wäre", schrieb Sport1-Chefredakteur Pit Gottschalk in seinem Newsletter: "Der angebliche Titelkampf stinkt vor Langeweile, weil die Rivalen im Allgemeinen und die Borussen im Besonderen ständig straucheln."

Und so machte sich Gottschalk auch gleich Gedanken, wie die gefühlt ewige Dominanz des Rekordmeisters zu brechen wäre: Einführung von Playoffs, gleiches TV-Geld für alle 18 Bundesligisten oder den Einsatz der zweiten Mannschaft des FC Bayern - war sich gleichzeitig aber sicher: "Keiner dieser Vorschläge wird umgesetzt, schon klar." Wenn er sich da nicht getäuscht hat.

Wobei die letzten beiden Vorschläge tatsächlich nicht eintreten werden. Zwar hat der FCB auch schon mit seiner B-Elf oder in Unterzahl die Ligarivalen geschlagen, aber die Zweitvertretung ist aktuell nicht mal drittklassig.

Die Fußball-Kolumnespox

TV-Gelder: FC Bayern erhält mehr als dreimal so viel wie Fürth

Seriöser und in der Vergangenheit sowohl von einigen Erst- und Zweitligisten als auch von verschiedenen Fanvereinigungen bereits gefordert, wäre hingegen eine zumindest gerechtere Verteilung der TV-Einnahmen etwa nach dem Beispiel der alles andere als kommunistischen Premier League. Dort ist die Schere zwischen oben und unten weit weniger groß als in Deutschland.

Hierzulande hingegen erhalten die Bayern für diese Saison rund 90 Millionen Euro, der BVB als Zweiter schon elf Millionen weniger. Die beiden Aufsteiger Bochum (31,2 Mio.) und Fürth (28,5 Mio.) bekommen dagegen gerade mal ein Drittel der Münchner. Zudem erhielt der FCB zuletzt rund 125 Millionen Euro für die Champions-League-Teilnahme, ab 2024 wird diese Summe nochmal deutlich zunehmen.

Oliver Kahn kann sich Playoffs in der Bundesliga vorstellen.imago images

Umverteilung wenig realistisch

Doch so wünschenswert eine Umverteilung zugunsten der kleineren Vereine wäre, so wenig realistisch ist dieses Szenario, weil die finanziellen Krater durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie auch die Topklubs heftig getroffen haben. Allein die drei Geisterspiele in der Bundesliga seit Dezember haben bei den Bayern laut eigenen Angaben für ein zusätzliches Minus von gut zwölf Millionen Euro gesorgt.

Und bei vielen anderen Klubs ist die Lage deutlich fataler, weil sie über Jahre schlechter gehaushaltet haben und den meisten die Millionen aus der Champions League fehlen. Freiwillig dürfte also kaum einer der besser gestellten Vereine den Verteilerschlüssel der TV-Gelder in Frage stellen.

Pro Playoffs: Mehr Einnahmen und mehr Spannung

Blieben also Playoffs nach der regulären Saison. Der ehemalige DFL-Boss und langjährige Leverkusener Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser hat ein solches Modell schon vor mehr als 15 Jahren ins Gespräch gebracht. "Man könnte mit Playoffs einiges gutes für den Fußball tun: Höhere Vermarktungspotenziale, dadurch Mehreinnahmen für alle Klubs und vor allem natürlich mehr Spannung im Titelkampf", erklärte er im Gespräch mit SPOX und GOAL.

Bisher allerdings war Holzhäuser mit seinen Vorschlägen so einsam wie der Rufer in der Wüste. Aus den Führungsetagen sprach sich einzig dessen einstiger Mitarbeiter in Leverkusen, der damalige Stuttgarter Sportvorstand Michael Reschke, im Sommer 2018 dafür aus, zumindest über ein Playoff-Modell nachzudenken. Doch alle anderen Verantwortlichen lehnten beinahe einstimmig in sämtlichen Umfragen der vergangenen Jahre eine Änderung des Bundesliga-Modus ab.

Allen voran der FC Bayern, dessen Präsident Uli Hoeneß seinerzeit über "den schlauen Herrn Reschke" ätzte und vehement jegliche Vorschläge zurückwies: "Jetzt einfach die Regeln ändern, nur weil die anderen nicht so leicht mitkommen, und damit sie wieder wettbewerbsfähig sind? Das kann es ja wohl nicht sein. Das wäre einfach total unfair."

Oliver Kahn: FC Bayern für Playoffs "immer offen"

Mittlerweile allerdings hat Hoeneß seinen Posten als Bayern-Boss aufgegeben und wacht nur noch als einfaches Aufsichtsratsmitglied über sein Erbe. Vorstandsvorsitzender der Bayern München AG ist seit dem vergangenen Sommer Oliver Kahn, und der denkt offenbar in einigen Bereichen anders als seine Vorgänger an der Führungsspitze. Und doch kam die Kehrtwende des Branchenführers in dieser Woche überraschend.

"Ich finde es spannend, über neue Modelle wie Playoffs für die Bundesliga nachzudenken", sagte Kahn dem kicker. "Ein Modus in der Bundesliga mit Halbfinals und Finale würde Spannung für die Fans bedeuten. Es macht also Sinn, so einen Gedanken durchzuspielen. Wir beim FC Bayern sind für neue Ideen immer offen."

Schon zuvor hatte die neue DFL-Geschäftsführerin Donata Hopfen ein Umdenken angedeutet. "Die Liga wäre natürlich attraktiver, wenn sie mehr Wettbewerb an der Spitze hätte", sagte sie der Bild am Sonntag. Und weiter: "Wenn uns Playoffs helfen, dann reden wir über Playoffs."

Playoffs: Auch BVB-Boss Watzke "gegen Denkverbote"

Zumindest mal die Diskussion ist damit offiziell eröffnet, denn der Hopfen offiziell vorgesetzte neue DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke zeigte sich ebenfalls unerwartet offen für Neuerungen. Er sei zwar "nie ein Freund von Play-offs" gewesen, erklärte der BVB-Geschäftsführer. "Aber es darf unter Berücksichtigung der jeweiligen Gesamtsituation mit Blick auf die Spielmodi keine grundsätzlichen Denkverbote geben."

Beinahe postwendend kündigte der Ligaverband einen "Diskussionsprozess mit offenem Ausgang" in den kommenden Monaten an. "Es ist eine dringend notwendige Debatte", kommentierte sogar der Gralshüter kicker. "Der längst erloschene Wettkampf an der Bundesliga-Spitze muss neu befeuert werden."

Bleibt die Frage, ob Kahns Aussagen zu einem Umdenken bei den Verantwortlichen in der Liga führen, die sich auch diesmal allesamt gegen Playoffs aussprachen. "Ich bin absolut dagegen", sagte etwa Bayer-Boss Rudi Völler. Hopfens Vorgänger Christian Seifert sprach 2020 sogar von einem "Kulturbruch. Das müsste von der breiten Masse getragen werden, von Klubs und Fans".

Organisierte Fans contra neue Formate und Wettbewerbe

Zumindest die organisierten Anhänger sind weiterhin strikt gegen solche Überlegungen. "Wir brauchen keine neuen Formate und Wettbewerbe, die durch noch mehr Vermarktung mehr Geld in den Fußball spülen. Wir brauchen endlich Regularien, die die Integrität des Wettbewerbs sicherstellen", erklärte das Fanbündnis "Unsere Kurve".

Die Hauptargumente der Gegner fasste Christian Streich zusammen. "Ich finde, dass derjenige, der nach 34 Spielen die meisten Punkte hat, auch Meister werden sollte", meinte Freiburgs Trainer: "Und ich finde, die Meisterschaft in dem Modus, wie sie jetzt ist, am gerechtesten und mit der größten Aussagekraft. Aber nicht immer am spannendsten."

Mit seinem Nachsatz hat Streich letztlich den Punkt getroffen, nicht nur wegen der Langeweile der Liga. Sondern auch, weil die Spielform "Jeder gegen Jeden" nicht automatisch die einzig mögliche Lösung sein muss, weshalb sie auch weder bei einer WM- oder EM-Endrunde noch in der Champions League mangels Attraktivität ein Thema ist.

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Holzhäuser: Deutscher Meister darf nicht im Oktober feststehen

"Man muss einfach den Mut haben, etwas Neues zu probieren. Denn wir müssen dafür sorgen, dass nicht immer schon zumindest gefühlt im Oktober feststeht, wer im Mai Deutscher Meister wird", findet Holzhäuser, der sich nicht über die negativen Reaktionen wundert.

"Da der deutsche Fußball in seiner Grundhaltung sehr konservativ ist, ist eine Debatte über Veränderungen schwierig zu führen. Ich glaube aber trotzdem, dass durch die Äußerungen von Oliver Kahn und zuvor schon Donata Hopfen jetzt eine Diskussion in Gang kommen wird, die losgelöst von Zorn und Eifer objektiv geführt werden kann", meinte der 72-Jährige bei SPOX und GOAL:

"Die Realität in der Bundesliga ist eine andere als manche Traditionalisten gerne wahrhaben möchten. Deshalb darf man nicht davor zurückschrecken, was eine lautstarke Minderheit fordert, auch wenn man sich mit den Argumenten auseinandersetzen muss."

Kahn, Kehl, Rolfes: Hoffnung auf neue Generation an der Spitze

Holzhäuser setzt vor allem auf die neue Generation von Klubbossen wie Kahn, die langsam das Ruder übernimmt. Leute wie Simon Rolfes oder Sebastian Kehl, die nach dieser Saison in die großen Fußspuren von Michael Zorc und Völler treten werden. Sie haben oft einen anderen Blick auf die aktuellen Probleme und mögliche Lösungen.

Kahn etwa umgibt sich bekanntermaßen gerne und viel mit Beratern und Betriebswirtschaftlern, die zwar oft keine Ahnung von Fußball, dafür aber umso mehr vom Geschäft haben. Und die Analyse ist relativ einfach: Der Bundesliga fehlen Millionen an Einnahmen, die durch die Pandemie weggebrochen sind und nicht so schnell wiederkommen.

Neue Geldströme, vor allem weltweit und auch für die Bayern, kann man aber kaum erschließen ohne einen echten Titelkampf und in der Folge ohne große Stars sowie ohne große internationale Erfolge. "Auch der FC Bayern hat erkannt, dass die Zeit reif ist, über Änderungen nachzudenken, weil der deutsche Fußball sonst auf dem Weg in die internationale Zweitklassigkeit ist", ist sich Wolfgang Holzhäuser sicher. Genau deshalb warnte Hopfen vor einer wirtschaftlichen "Abwärtsspirale" und erklärte: "Es gibt für mich keine heiligen Kühe."

Playoff-Modell: Finalrunde der besten vier Teams

Wie aber könnte dann ein Playoff-Modell aussehen? Der einzig durchsetzbare Modus wäre wohl eine Finalrunde der besten vier Teams der regulären Spielzeit, entweder mit Hin- und Rückspiel oder analog zur gefeierten Champions-League-Endrunde 2020 in Lissabon mit einer "Week of Football" an einem neutralen Ort, etwa im Berliner Olympiastadion, oder in der Heimarena des Tabellenführers.

Durch die Reduzierung auf die Top 4 würde der restliche Verlauf der Saison nicht berührt, Aufstiegs- und Abstiegsregelung blieben ebenso gleich wie die Qualifikation für die internationalen Wettbewerbe. Und die vier Playoff-Teilnehmer hätten finanziell nichts mehr zu verlieren, weil sie bereits den Startplatz in der Champions League sicher hätten.

Aktuell könnte auch Mainz noch vom Titel träumen

Bis dahin aber bliebe das Rennen so spannend wie im Moment, wo den Vierten Union Berlin und den Zehnten Mainz gerade mal vier Punkte trennen. Und die nicht zu unterschätzenden Zusatzeinnahmen durch die Endrunde würden nach Wolfgang Holzhäusers Vorstellung vor allem den anderen 14 Mannschaften zugutekommen.

Tatsache ist jedenfalls, dass die Bundesliga nicht ohne Änderungen wieder spannend werden wird, viel wahrscheinlicher ist der Ausbau der lähmenden Münchner Dauerdominanz - und das bei voraussichtlich schlechter werdenden finanziellen Rahmenbedingungen. Will man daran nur aus Prinzip festhalten, gemäß dem Totschlagargument "Das haben wir immer schon so gemacht?"

Oder ist man im Zeitalter der Digitalisierung auch in der Bundesliga offen für eine Art "Test and learn"-Strategie? Also einfach mal etwas Neues wie Playoffs auszuprobieren und nach einer Zeitspanne von zwei oder drei Jahren zu bewerten. Das wäre zumindest innovativ und zukunftsgewandt. Zumal der Verweis auf Traditionen oft auch eine Frage der Perspektive ist.

"Fußball-Deutschland wollte Bundesliga nicht"

"Als Sepp Herberger vor über 60 Jahren die Einführung der Bundesliga wollte, war ganz Fußball-Deutschland dagegen. Und heute stellt das kein Mensch mehr in Frage", so Holzhäuser. Die damalige Analyse für die höchst umstrittene Änderung durch den Weltmeister-Trainer von 1954 ist zumindest beim Blick auf die Meisterschaft wieder aktuell: "Der deutsche Fußball krankt an seinem Spielsystem."

Vehement verteidigten die Gegner damals übrigens ein ähnliches Finalrundenmodell wie es jetzt wieder im Gespräch ist: Der Titel wurde in einer Endrunde der jeweiligen Meister der fünf Oberligen ermittelt mit dem Finale als krönendem Abschluss.

Letzter Sieger war Borussia Dortmund durch ein 3:1 über den 1. FC Köln am 29. Juni 1963. Woran sich aber selbst BVB-Boss Watzke nicht mehr erinnern kann. Er hatte erst acht Tage zuvor seinen vierten Geburtstag gefeiert.

Bundesliga: Die Tabelle vor dem 22. Spieltag

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Bayern München2168:214752
2.Borussia Dortmund2154:361843
3.Bayer Leverkusen2154:342038
4.Union Berlin2129:27234
5.Freiburg2133:24933
6.Köln2133:34-132
7.RB Leipzig2140:261431
8.Hoffenheim2141:34731
9.Eintracht Frankfurt2133:32131
10.Mainz 052130:23730
11.Bochum2120:30-1025
12.Wolfsburg2121:33-1224
13.Borussia M'gladbach2127:38-1123
14.Hertha BSC2123:43-2023
15.Arminia Bielefeld2121:27-622
16.Augsburg2122:35-1322
17.Stuttgart2124:38-1418
18.Greuther Fürth2118:56-3810