Immerhin. Niklas Süles Wechsel vom FC Bayern München zu Borussia Dortmund ist ein Achtungserfolg für die Bundesliga. Ein international anerkannter Abwehrspieler (26), ausgestattet mit vier Meistertiteln, einem Champions-League-Triumph, 37 Länderspielen und vor allem mit einem auslaufenden Vertrag, hat sich entschieden, die Bundesliga im Sommer nicht zu verlassen.
Mit seiner Entscheidung, trotz vieler Optionen im Ausland und einem schon vor Jahren erklärten Traum, eines Tages in der Premier League zu spielen, hat Süle gegen den Trend gehandelt.
Allein zu Beginn der laufenden Saison verließen wieder einige Qualitätsspieler die deutsche Eliteklasse. Mit David Alaba (FC Bayern), Jadon Sancho (Borussia Dortmund), Ibrahima Konate (RB Leipzig) und Leon Bailey (Bayer Leverkusen) gaben die Bundesliga-Topklubs mindestens je einen wichtigen Spieler ins Ausland ab. Eine Klub-Kategorie darunter waren es Spieler wie Matheus Cunha (Hertha BSC), Nicolas Gonzalez (VfB Stuttgart) oder Baptiste Santamaria (SC Freiburg), die die Liga für teilweise sehr viel Geld verließen.
Der Blick auf die vergangenen Jahre verrät nichts anderes. Nimmt man Alaba aus der Wertung, der ablösefrei zu Real Madrid wechselte, hat die Bundesliga wieder starke Einnahmen generiert. Knapp über 500 Millionen Euro Transfereinnahmen waren es allein in den beiden Wechselperioden der laufenden Saison 2021/22.
Haaland, Nkunku, Diaby: Wer geht im Sommer?
Das ist einerseits beeindruckend und spricht für die Organisation Bundesliga, die in Pandemiezeiten vernünftig wirtschaftet und im europäischen Vergleich sogar ausnahmsweise Gewinne erzielt. Auf der anderen Seite setzt sich der Aderlass ungebremst fort. Auch für den kommenden Sommer droht wieder die nächste Welle an Verkäufen.
Erling Haaland, Jude Bellingham (beide BVB), Christopher Nkunku, Dani Olmo (RB Leipzig), Moussa Diaby, Florian Wirtz (beide Leverkusen) - um nur ein paar Spieler zu nennen, die für eine besondere Qualität in ihren Klubs stehen und im Ausland zahlreiche Interessenten haben. Berechtigte Hoffnungen auf einen Verbleib hat man Stand heute bei Bellingham und beim verletzten Wirtz, bei denen es nicht so aussieht, dass sie es eilig hätten, Borussia Dortmund oder Bayer Leverkusen zu verlassen. Doch das ist nur eine Hoffnung auf Zeit. Der nächste Sommer kommt bestimmt.
Und da ist sie wieder, die Thematik um die TV-Gelder. Dass man in England einfach mehr Ressourcen hat und dass die Premier League aufgrund ihrer weltweiten Reputation lukrativer ist, ist keine neue Erkenntnis. Und doch entwickelt sich die Gesamtsituation zu Ungunsten der Bundesliga weiter.
Nicht nur, dass die Bundesliga nicht mehr in der Lage ist, selbst schon werdende Stars auf Dauer zu halten. Es gelingt inzwischen auch nicht mehr so einfach, solche Spieler zu bekommen.
Bayer-Boss Carro: "Dann ist die Bundesliga nur noch eine Entwicklungsliga"
Fernando Carro, Geschäftsführer von Bayer Leverkusen, sagte zuletzt im Guardian: "Wir haben im Sommer versucht, einen Spieler zu kaufen, und am Ende war ein Aufsteiger aus der Premier League in der Lage, mehr Geld und ein höheres Gehalt zu zahlen als wir, eine der vier besten Mannschaften in Deutschland. Die Premier League hat so viel mehr Geld und Ressourcen als jedes andere Land. Das ist nicht gut für uns. Definitiv nicht."
Bayer selbst verkaufte in den letzten Jahren zahlreiche Spieler nach England. Ob der 100-Millionen-Mann Kai Havertz (FC Chelsea) oder zuletzt Bailey, für den Aston Villa 32 Millionen Euro zahlte - die Premier League ist für Bayer eine wichtige Einnahmequelle geworden.
Carro sagt: "Am Ende des Tages kann man mit Transfers Geld verdienen. Englische Vereine zahlen die Transfers, wir bekommen das Geld, aber dann ist die ganze Bundesliga nur noch eine Entwicklungsliga für die Premier League." Der eine oder andere Bundesliga-Chef wird bei dieser Aussage zusammenzucken, aber Carro spricht das aus, was längst der Fall ist.
Immer mehr Klubs haben es sich inzwischen insgeheim zur Philosophie gemacht, ein Ausbildungsverein zu werden. Sprach man früher vom SC Freiburg oder von Mainz 05 in dieser Kategorie, sind Klubs wie 1899 Hoffenheim, Borussia Mönchengladbach, ja selbst RB Leipzig, Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund in verschiedenen Sphären auf diesem Weg.
Dortmund und Leipzig: Fast machtlos
Dortmund steht laut dem offiziellen UEFA-Benchmarking-Bericht zum Finanzjahr 2020 europaweit auf dem elften Rang, was Gehaltszahlungen angeht. Die Borussen gaben 216 Millionen Euro nur für Gehälter aus, zusammengesetzt aus 164 Millionen Euro Spielergehälter und 52 Millionen Euro für Personal. Und dennoch hat der Klub keine Chance, weder sportlich noch finanziell, Erling Haaland von einer langfristigen Ära in Dortmund zu überzeugen. Der finanziell klamme FC Barcelona jongliert seit Wochen öffentlich mit dem Namen Haaland.
Da ist auch RB Leipzig. Der Red-Bull-Klub hat theoretisch die Finanzkraft, Spieler mit lukrativen Verträgen auszustatten und damit auch kein Druck, die besten Akteure zu verkaufen, um Einnahmen zu generieren. Die Realität sieht aber anders aus: 2018 ging Naby Keita für 60 Millionen Euro nach Liverpool, 2020 Timo Werner für knapp 50 Millionen Euro zum FC Chelsea, 2021 Ibrahima Konate wiederum nach Liverpool für knapp über 40 Millionen Euro.
Für einen Klub, der durchaus die Ambition hat, um den Titel mitzuspielen, sind das schmerzhafte Abgänge. Verfolgt man nun Nkunkus Aussagen in der L'Equipe, die offenbar vom Klub nicht autorisiert worden sind, macht sich einer der besten Spieler der laufenden Bundesliga-Saison ernsthafte Gedanken, das Weite zu suchen. Am liebsten zu PSG. Bei Leipzig hat man die Gewissheit, Nachschub aus der Filiale in Salzburg zu bekommen, um die nächsten Stars zu formen, aber eine nachhaltige Entwicklung eines Titelaspiranten sieht anders aus.
Wird der FC Bayern zum Ausbildungsverein?
Apropos Titelaspirant: Selbst der FC Bayern, der sich in der Bundesliga immer noch selbst bedient und seinen Status als finanzstarker Branchenprimus zu Nutze macht, spürt allmählich den internationalen Wandel.
Nicht nur, dass die Münchener längst Probleme haben, ihre Leistungsträger zu halten. Inzwischen ist auch die Gewissheit gereift, dass man bei internationalen Transfers kaum noch auf Augenhöhe ist oder man maximal auf "One Shots" wie Lucas Hernandez oder Dayot Upamecano setzen kann.
Daher hat auch der Rekordmeister längst damit begonnen, junge Spieler zu verpflichten, um sie selbst zu Stars zu entwickeln. Da bleiben kurzfristige Verstärkungen für die Breite auf der Strecke. Dass sowohl Hansi Flick als auch Julian Nagelsmann den medialen Weg nutzen mussten, um ihren Bedarf an neuen Spielern zu äußern, ist das Symptom dieser Tendenz.
Stattdessen holte Bayern allein in diesem Winter mit dem Dänen Jonathan Asp Jensen (16), dem Schweden Matteo Perez Vinlöf (16), dem Südkoreaner Hyun-ju Lee (18) drei Nachwuchsspieler. Der Kroate Lovro Zvonarek (16) kommt im Sommer. Ist der FC Bayern etwa auch auf dem Weg zum Ausbildungsverein?
Bayern-Trainer Julian Nagelsmann sieht "keine Gefahr" darin, dass sein Klub diesen Weg in der klassischen Definition beschreitet. "Es ist ein Unterschied, ob man 16- oder 17-jährige Spieler verpflichtet, sie dann drei Jahre lang ausbildet und dann als fertige Spieler an Real Madrid verkauft. Oder ob man 22-, 23-jährige Spieler zu einem noch vernünftigen Preis verpflichtet, die schon in der Lage sind, alles zu gewinnen."
Die Lücke wird sich niemals schließen
Solange sich der FC Bayern auch in der zweiten Kategorie bedienen kann, ist alles gut. Die Etage darüber wird schon schwierig. Man werde, so Nagelsmann, "in den nächsten Jahren nicht immer in der Lage" sein, "bei einem 27-jährigen, fertigen Profi, der vielleicht auch ein Angebot von Paris, ManCity oder Chelsea hat, mitzubieten".
Da wären wir wieder bei den Einnahmen. Und wieder bei Leverkusens Carro, der im Guardian sehr deutlich wurde: "Ich denke, dass wir uns im Allgemeinen nicht so gut vermarkten wie andere Ligen. Wenn man sich Spanien anschaut, dann verdienen die 860 Millionen Euro mit den TV-Rechten im Ausland, während wir nur etwa 200 Millionen Euro einnehmen."
Auf Sicht sieht er auch keine Möglichkeit, dass die Bundesliga aufholt: "Selbst wenn wir 300 Millionen Euro mehr aus den Übersee-Rechten einnehmen könnten, würden wir immer noch nicht die Lücke zur Premier League schließen. Die Lücke ist immer noch viel größer. Wir könnten also unsere TV-Einnahmen verdoppeln oder verdreifachen und würden die Lücke trotzdem nicht schließen."
Es bleibt der Bundesliga also nichts anderes übrig, als den Weg, den man schon längst eingeschlagen hat, fortzuführen und zumindest hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Auch mit der ständigen Erwartung, dass Poster-Helden wie Haaland, Nkunku, Wirtz und Co. bald in einer anderen Liga spielen. Die nächsten Talente kommen ganz bestimmt.