Fußball-Kolumne - Eintracht Frankfurt: Die Europa League ist ein Cup der Gewinner

Martin Volkmar
19. Mai 202216:59
Eintracht Frankfurt hat die Europa League ernst genommen und am Ende gewonnen.getty
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Der Triumph von Eintracht Frankfurt in der Europa League ist ein Meilenstein für den deutschen Fußball. Wie der FC Schalke 04 vor 25 Jahren zeigen die Hessen, was mit guter Arbeit und großartiger Unterstützung möglich ist - wenn man den "Cup der Verlierer" ernst nimmt. Die Fußball-Kolumne.

Es gibt Ereignisse, da weiß jeder Fußballfan, wo er sie erlebt hat. WM-Triumphe natürlich, aber mehr noch die großen Siege und auch Niederlagen des eigenen Vereins. Während man letztere aber möglichst schnell aus dem Gedächtnis streichen will, bleiben die Erfolge für immer.

Nicht nur, aber auch deshalb war dieser 18. Mai 2022 mit dem Europa-League-Triumph gegen die Glasgow Rangers ein historisches Datum - für den deutschen Fußball und vor allem für die Frankfurter Eintracht, die damit nun zu den großen Namen im europäischen Fußball gehört. Sicherlich zählten die Hessen zumindest in Deutschland schon vorher zu den bedeutendsten Vereinen, wegen der Größe mit mehr als 100.000 Mitgliedern und wegen ihrer Erfolge in der Vergangenheit.

Nur liegt diese glorreiche Vergangenheit - mit Ausnahme des DFB-Pokalsiegs 2018 - schon sehr lange zurück: Alle anderen Titel feierte die Eintracht vor der Wiedervereinigung, darunter auch der UEFA-Cup-Sieg 1980.

Eintracht Frankfurt: Dem Traumfußball folgte der Absturz

Dabei waren die Adler auch in der 1990er Jahren eine Offenbarung. Spieler wie Anthony Yeboah, Uwe Bein, Maurizio Gaudino oder Jajay Okocha zelebrierten den traumhaften "Fußball 2000". "Super Eintracht, Super Stimmung", lautete damals ein am Main bis heute legendärer Satz Okochas.

Den ersehnten Titel allerdings verpassten die Frankfurter mehrfach, am dramatischsten bei der völlig unnötig in Rostock verspielten Meisterschaft in der Bundesliga 1992 unter Trainer Dragoslav Stepanovic, der danach mit einem anderen legendären Spruch den am Boden zerstörten Anhang zu trösten versuchte: "Lebbe geht weida."

Eintracht Frankfurt hat die Europa League ernst genommen und am Ende gewonnen.getty

Eintracht Frankfurt: Zwischen 1996 und 2012 dreimal nur zweitklassig

Das Bonmot wandelte sich allerdings beinahe zu einer Prophezeiung über das kommende Vierteljahrhundert. Denn die Eintracht war tatsächlich nicht totzukriegen, obwohl Selbstdarsteller und Hasardeure das Gründungsmitglied der Bundesliga mehrmals beinahe in den Ruin trieben, gleich dreimal zwischen 1996 und 2012 war der stolze Klub nur zweitklassig.

Allerdings blieb der letzte Abstieg 2011 lediglich ein einjähriger Betriebsunfall in der 13-jährigen Ära von Heribert Bruchhagen, der die vom Boulevard vor dessen Amtsantritt regelmäßig als "Zwietracht Zankfurt" verspotteten Klub aus der Bankenmetropole sportlich und finanziell wieder erstklassig machte.

"Eintracht hatte damals ständig wechselnde Vorstände und Aufsichtsräte und viele Probleme. Deshalb waren 2003 alle bereit, den Verein grundlegend zu verändern und das hat es einfacher für mich gemacht", erinnerte sich der heute 73-Jährige vor dem Endspiel im Interview mit SPOX undGOAL an seine Anfänge.

Eintracht Frankfurt: Bruchhagens Abschied als Neuanfang

Irgendwann allerdings wollten die Leute Bruchhagens Mantra nicht mehr hören, dass alles andere als gesundes Mittelmaß in Frankfurt nicht möglich sei. Insofern war sein Abschied 2016 auch ein Neuanfang zu höheren Zielen, den das sportliche Führungs-Duo Niko Kovac und Fredi Bobic zwei Jahre später mit dem unerwarteten Pokalcoup gegen den FC Bayern vorläufig krönten.

Wenn man sieht, dass seitdem zahlreiche Personen aus der sportlichen Leitung wie Kovac sowie vergangenen Sommer gleichzeitig Adi Hütter und Bobic den Verein ebenso verließen wie herausragende Fußballer, unter anderem die Sturm-Büffelherde Luka Jovic, Ante Rebic und Sebastien Haller oder vor dieser Saison Rekordtorschütze Andre Silva, verwundert der Siegeszug in Europa in dieser Saison umso mehr. Aber er spricht eben auch für die seriöse und kluge Arbeit der jetzigen Bosse um Axel Hellmann und Markus Krösche.

Eintracht Frankfurt: Eigentlich keine erfolgreiche Saison

Wobei es insgesamt eigentlich keine gute Spielzeit war, mit Platz elf in der Bundesliga (punktgleich mit dem Tabellen-13. Bochum) und dem blamablen Erstrunden-K.o. im Pokal bei Drittligist Waldhof Mannheim. Dass dieses Jahr künftig trotzdem in den Geschichtsbüchern als erfolgreichstes seit 42 Jahren stehen wird, lag eben an der Europa League.

25 Jahre nach dem sensationellen UEFA-Cup-Sieg von Schalke 04 - die Eintracht hatte damals übrigens gerade ihre erste Zweitligasaison mit einem katastrophalen siebten Platz abgeschlossen - hat nun erstmals wieder ein Außenseiter aus der Bundesliga den 15 Kilo schweren Pokal nach Deutschland geholt.

Frappierende Parallelen zwischen Schalke und Frankfurt

Dabei findet man frappierende Parallelen zwischen beiden Teams: Ein ausländischer Trainer - heute Oliver Glasner, damals Huub Stevens - , der mit Konzept, Sturheit und Empathie unbeirrt seinen Weg ging. Eine Mannschaft aus zahlreichen Nationalitäten mit völlig unterschiedlichen Charakteren, die sich als wirkliche Einheit präsentierte, als es darauf ankam und so auch übermächtige Gegner (Inter Mailand 1997, FC Barcelona jetzt) in die Schranken wies.

Mit einem herausragenden Torwart als großem Rückhalt und Helden im Elfmeterschießen - seinerzeit Jens Lehmann, diesmal Kevin Trapp. Und in Peter Fischer einem hoch emotionalen Boss und Fanliebling wie seinerzeit Schalkes Macher Rudi Assauer (wobei Fischer im Unterschied zu Assauer Zigaretten und nicht Zigarren raucht).

Zudem zeigte sich bei Frankfurt wie 1997 bei den Königsblauen, welche Wucht ein Traditionsverein besitzt, mit dem er in einer idealen Situation wie einem Europacup-Finale die gesamte Fußball-Nation mitreißen kann. Zu guter Letzt teilen beide Klubs eine riesige enthusiastische Anhängerschaft, die am Ende wahrscheinlich den entscheidenden Ausschlag gab, um das Momentum auf die eigene Seite zu ziehen.

Mit dem historischen Erfolg in der Hitzeschlacht von Sevilla beendet die Eintracht endlich eine lange Durststrecke, die eigentlich ein erschreckendes Zeugnis abgibt über die Zeit dazwischen, als sich Jahr für Jahr die Bundesligisten in der Europa League blamierten. Sozusagen als selbsterfüllende Prophezeiung von Franz Beckenbauers hämischer Abwertung des "Cups der Verlierer".

Dabei hat die SGE dieses Jahr und auch schon 2019 mit dem Einzug ins Halbfinale gezeigt, dass die Europa League ein Cup der Gewinner ist - wenn man ihn denn ernst nimmt. Vielleicht auch, weil die Multikulti-Stadt Frankfurt eben ein internationaler Schmelztiegel ist, der wie im Vereinslied besungen "Im Herzen von Europa" liegt.

Europa League: Eintracht Frankfurt winken 60 Millionen Euro

Die Belohnung dafür fällt üppig aus: Neben dem Ruhm bringt der Erfolg auch Rendite, denn der automatische Einzug in die Champions League lässt rund 60 Millionen Euro zusätzlich in die durch Corona klammen Kassen fließen.

Doch dieses Ausrufezeichen auf der großen Bühne tut nicht nur der Eintracht gut, sondern dem gesamten deutschen Fußball, der nächste Saison erstmals von fünf Teams in der Königsklasse vertreten sein wird. Ein Meilenstein, gerade wenn man bedenkt, dass die Bundesliga abgesehen vom FC Bayern seit Dortmunds Champions-League-Sieg ebenfalls vor 25 Jahren international fast nichts mehr auf die Reihe bekommen hat.

Bleibt zu hoffen, dass ein anderes Bonmot der Eintracht-Fans, wonach man noch seinen Enkeln von diesem Tag erzählen werde, nicht wirklich wahr wird. Denn dann müsste die Bundesliga wohl wieder 25 oder mehr Jahre auf ein solches Erlebnis warten.

Doch die Frankfurter Euphorie, die mit der Party von rund 200.000 Menschen in der ganzen Stadt am Donnerstag ihren Höhepunkt erreichte, hat hoffentlich bei anderen Mannschaften (und deren Fans) die Lust geweckt, es der Eintracht nachzumachen und die Europa League nach der spanischen Dominanz der vergangenen Jahre vielleicht sogar zu einem "deutschen" Wettbewerb zu machen. Dann wäre die Leistung der Adler noch größer als sie ohnehin schon ist.

Damit endet die Fußball-Kolumne von Martin Volkmar für diese Saison.