FC Schalke 04 - Finanz-Vorständin Christina Rühl-Hamers im Interview: "Der Fußball muss sich in Sachen Diversität ganz sicher verändern"

Christina Rühl-Hamers arbeitet seit 2010 beim FC Schalke 04.
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Wie hoch müsste denn die Summe der Verbindlichkeiten sein, damit Sie fürs Erste zufrieden sind?

Rühl-Hamers: Das hängt von vielen Faktoren ab und kann nicht so einfach beziffert werden. Wir wollen handlungsfähig sein und gestalten - nicht nur reagieren, sondern agieren. Dazu braucht man eine Fälligkeitsstruktur, die in unterschiedliche Szenarien reinpasst. Ich würde sagen, dass wir bei den aktuellen Beträgen noch nicht ganz am Ziel angekommen sind.

Seit dem 1. Oktober 2020 haben Sie nun das Amt als Vorständin für Finanzen, Personal und Recht inne. Beim Bewerbungsverfahren dazu waren Sie unter knapp 100 Kandidaten die einzige Frau. Ist das nicht ein Armutszeugnis für die Branche?

Rühl-Hamers: Die wichtigen Fragen sind ja: Aus welchen Gründen ist die Fußballbranche insbesondere für Frauen, die nicht von Hause aus fußballaffin sind, nicht interessant? Nach welchen Kriterien geht eine Frau, die ihr Studium abgeschlossen hat, in welche Branche - und wo steht der Fußball in dieser Reihe? Wenn eine Frau, die nicht viel mit Fußball zu tun hat, von außen darauf schaut, wie ordnet sie ihre Entwicklungsmöglichkeiten in dieser Branche ein?

Wahrscheinlich eher suboptimal, da sie sehr von starken Männern in verantwortlichen Positionen dominiert ist.

Rühl-Hamers: Beim Thema Patriarchat und der Art, wie zusammen gearbeitet und entschieden wird, entspricht der Fußball in vielen Fällen nicht gerade dem jungen, modernen Unternehmen. Da hat er schon noch seine eigenen Strukturen - und die sind anscheinend für junge, dynamische Frauen nicht ganz so attraktiv. Der Fußball muss sich in Sachen Diversität ganz sicher verändern und öffnen, weil er stark davon profitieren würde. Es ist nachgewiesen, dass diese Diversität auch zu wirtschaftlich besseren Entscheidungen und Ergebnissen führt.

Schalke 04 - Rühl-Hamers: "Keine blöden Sprüche gehört"

Sie sind auch die erste Frau, die im Vorstand eines deutschen Fußball-Erstligisten das Finanzressort verantwortet. Sind Sie eine ungewollte Pionierin?

Rühl-Hamers: Ich mache mir da nicht so viele Gedanken. Es braucht grundsätzlich einen Kulturwechsel in der gesamten Branche. Wir sollten die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsumfeld so weit verändern, dass diese Strukturen für Frauen wie selbstverständlich attraktiv sind. Der Fußball ist weiterhin sehr stark von einzelnen Persönlichkeiten geprägt. Die Frage ist, ob das die Zukunft sein soll, wenn andere Unternehmen in dieser Hinsicht schon längst anders aufgestellt sind und eher inhaltliche Themen als einzelne Personen in den Vordergrund rücken.

Was sagen Sie als Frau unter lauter Männern und Alphatieren - ist das empfehlenswert?

Rühl-Hamers: Diese Zeiten gehören zumindest auf Schalke der Vergangenheit an. Grundsätzlich kann man von starken Persönlichkeiten und Charakteren immer etwas lernen - vielleicht aber auch genau das, was man selbst nicht machen will. Ich habe nie gefühlt, dass ich so etwas wie eine Ausnahme in dieser Branche bin. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass ich irgendwann einmal mit blöden Sprüchen konfrontiert war. Es kann aber auch gut sein, dass ich sie einfach nicht gehört habe.

Die Frau, die über Schalkes Finanzen herrscht: Christina Rühl-Hamers.
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Die Frau, die über Schalkes Finanzen herrscht: Christina Rühl-Hamers.

Als Sie in diesem Amt loslegten, wie deutlich anders stellte sich letztlich die Realität im Vergleich zu Ihren Vorstellungen dar?

Rühl-Hamers: Ich habe mir zunächst Gedanken gemacht, was meine veränderte Rolle genau bedeutet. Wir haben uns zusammen mit der Kommunikationsabteilung gefragt, wie stark der Finanzbereich in die Öffentlichkeit treten soll. Ich persönlich bräuchte das nicht und finde, dass das in normalen, geordneten Zeiten für den Finanzbereich nicht notwendig ist. Mein Ziel ist, dass über den Finanzbereich nicht geschrieben oder gesprochen werden muss, weil ohnehin allen klar ist, dass der läuft und funktioniert. Mir ist keine Schlagzeile über den Finanzbereich lieber als eine Schlagzeile.

Ihnen dürfte jedoch schnell klar geworden sein: Das funktioniert auf Schalke in dieser Situation so ja eher nicht.

Rühl-Hamers: Das stimmt, aber das ist zumindest mein Idealbild. (lacht) Durch die Tatsache, dass wir uns weiterhin in der Corona-Krise befanden und abgestiegen sind, gerieten die Finanzthemen sehr in den Vordergrund. Deshalb habe ich eine andere Rolle einnehmen müssen, als ich es mir vorher vorgestellt hatte - und das war in dieser Situation auch gut so.

Sie haben sich sozusagen der Transparenz gebeugt, die diese Thematik eben auch mit sich bringt?

Rühl-Hamers: Man muss die Menschen schlichtweg so mitnehmen, dass verstanden wird: Was geht und was geht nicht, wie ist der aktuelle Stand, wie stark belastet er auch die Zukunft? Das führt dann dazu, dass man sich überlegen muss, welches Vokabular man benutzt, um beispielsweise eine Gewinn- und Verlustrechnung zu erklären. Damit da eben nicht nur immer harte Zahlen veröffentlicht, kommentiert und analysiert werden, sondern die Geschichte dahinter nachvollziehbar wird. Das ist mir ein großes Anliegen, denn die Zahlen sind einfach interpretationsbedürftig und ohne Erklärung nicht so leicht zu verstehen. Man muss sich auf die Aussagen, die wir treffen, verlassen können. Das Feedback zu dieser Transparenz, ob von Fans oder Medien, war sehr positiv - und sie nimmt auch falschen Gerüchten den Nährboden.

Schalke 04 - Rühl-Hamers: So funktioniert die Kaderplanung

Bevor Rouven Schröder als Sportdirektor auf Schalke unterschrieb und den Kader nach dem Abstieg großflächig umbaute, hatten Sie mit ihm ein zweistündiges Gespräch per Video, in dem Sie ihm deutlich machten, was bei S04 finanziell drin ist. Wie hat er darauf reagiert?

Rühl-Hamers: Er hat mir danach gesagt, dass er mehrere vollgeschriebene Zettel vor sich hatte und die mit dem verglich, was man ihm bereits zuvor gesagt hat. (lacht) Wir mussten einem potenziellen Sportdirektor unmissverständlich erklären, was die Aufgabe ist, damit nachher niemand kommt und sagt: Hätte ich das mal gewusst! All unsere Planungen und Gedanken, die wir uns auch aus finanzieller Sicht schon monatelang gemacht haben, wurden sehr ausführlich mit Rouven besprochen. Er wollte auch wirklich alles im Detail wissen. Denn es war klar: Wenn er unterschreibt, muss er auch sofort starten.

Welche Planungen und Gedanken waren das?

Rühl-Hamers: Wir hatten beispielsweise unterschiedliche Finanztöpfe für die Kaderzusammenstellung. Dazu mussten wir überlegen, wie wir zeitlich alles angehen wollen, welche Beschränkungen es gibt, wie wir mit Corona umgehen, wie wir den Kader einschätzen und wie Rouven. Mir war wichtig, dass der künftige Sportdirektor versteht, wie wir aus dem Finanzbereich denken und wie essentiell diese Schnittstelle ist.

Es wurde dann ein finanzieller Rahmen geschaffen, innerhalb dessen die sportlich Verantwortlichen um Sportvorstand Peter Knäbel und Schröder eigenständig agieren konnten - was nicht ausschloss, dass über Einzelfälle diskutiert wurde. Inwiefern war und ist es quasi überlebenswichtig, dass der Sport und die Finanzabteilung nicht gegenseitig die jeweilige Rolle untergraben?

Rühl-Hamers: Das war Grundbedingung - dass das eben kein einmaliges Gespräch zwischen Rouven und mir ist und er dann loslegt, sondern dass dieser Umbruch nur vom Sport und den Finanzen gemeinsam bewältigt werden kann. Wir haben dann zusammen ein Excel-Dokument erarbeitet, an dem wir das gesamte Transferfenster über gearbeitet haben: Das ist der aktuelle Kader und Topf eins. Hier sind die Kaderveränderungen, das ist Topf zwei. Dort steht diese Summe darunter, die aufgeteilt ist in jene Teilsummen. Wenn ein Neuzugang kommt, liegt genau folgender Entscheidungsprozess dahinter und es passiert dieses und jenes. All dies taten wir, damit unter den festgelegten Regeln und Rahmenbedingungen klar war, dass wir alle das gleiche Ziel verfolgen.