Munas Dabbur von der TSG 1899 Hoffenheim im Interview: "Das hätte mich als Mensch wirklich zerstören können"

Jochen Tittmar
17. August 202210:29
In Hoffenheim konnte sich Munas Dabbur noch nicht als Stammspieler etablieren.getty
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Munas Dabbur spielt seit 2020 bei der TSG 1899 Hoffenheim, doch so wie zuvor bei Grashoppers Zürich und Red Bull Salzburg hat der Stürmer in der Bundesliga noch nicht gezündet.

Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Dabbur ausführlich über seinen Karriereweg, der einst als Torwart begann. Der Israeli erzählt von 150 Toren in einer Saison, dem tragischen Tod seines Vaters und Funkstille mit dem Opa.

Zudem äußert sich der 30-Jährige zum irren Ablauf seines Wechsels nach Europa, dem "großen Bruder" Marco Rose und dem kalten Sevilla-Trainer Julen Lopetegui.

Herr Dabbur, Sie wurden 1992 in Nazareth geboren - der Stadt in Israel, in der Jesus geboren sein soll. Wie sind Sie dort aufgewachsen und zum Fußball gekommen?

Munas Dabbur: Ich bin der jüngste von fünf Söhnen. Wir hatten alle eine schöne Kindheit, auch wenn uns ein paar Dinge, die anderswo vielleicht normal erscheinen, gefehlt haben. Da mein Opa zu den Gründungsmitgliedern von Maccabi Ahi Nazareth gehörte und mein Vater dort Geschäftsführer war, stand bei uns der Fußball stets im Vordergrund. Wir haben ständig davon gesprochen, Spiele geschaut und selbst gekickt. Allerdings gab es keinen geeigneten Bolzplatz. Es existierte lediglich ein wirkliches Fußballfeld, aber das haben sich fünf Vereine im Umkreis von Nazareth geteilt. Entsprechend sah der Rasen aus. Dort war immer extrem viel los.

Sie sollen sich erst 2003 mit elf Jahren Ihrem ersten Verein Maccabi Ahi Nazareth angeschlossen haben. Wieso nicht schon früher?

Dabbur: Das ist etwas ungewöhnlich: Ich habe schon mit vier Jahren in der Fußballschule von Nazareth angefangen. Die gehört dem Klub, Maccabi Ahi. Dort gibt es jedoch keine Mannschaft für unter Elfjährige - bis heute nicht. Die unter Elfjährigen trainieren dafür dreimal wöchentlich in der Fußballschule. Erst wenn man elf ist, spielte man in einer Mannschaft und einem Ligabetrieb.

Wer waren Ihre fußballerischen Vorbilder?

Dabbur: Ich war großer Fan vom FC Arsenal. Dennis Bergkamp und Thierry Henry waren meine Lieblingsspieler. In meiner Familie wurde sehr viel internationaler Fußball geschaut. Live habe ich über viele Jahre hinweg jedoch nur die Erste von Maccabi Ahi spielen sehen. Daher war es immer mein großer Traum, eines Tages dort aufzulaufen.

Treffen in Kitzbühel: Munas Dabbur und SPOX-Redakteur Jochen Tittmar.spox

Spielten Sie von Beginn an als Stürmer?

Dabbur: Nein. Ich war ja eigentlich Torhüter! Allerdings nur während meiner ersten zwei Jahre. Mir hat das gefallen. Wenn wir zu Hause gekickt haben, stand ich immer im Kasten. So ist es bis heute, bei einem Fünf-gegen-Fünf gehe ich gerne ins Tor. Ich kann mich aber absolut nicht mehr daran erinnern, wie oder weshalb ich schließlich zum Feldspieler wurde. Es könnte gut damit zu tun haben, dass ich meist den Ball auf den Boden gelegt und mit Dribblings nach vorne gestürmt bin. (lacht)

Sie haben bis zu Ihrem 18. Lebensjahr 2010 in Nazareth gespielt. Ab wann war Ihnen klar, dass es für den Profibereich reichen könnte?

Dabbur: Als ich zehn war, spielten wir sehr viele Turniere, bei denen auch Mannschaften aus Europa teilnahmen. Wir waren wirklich gut, ich schoss immer sehr viele Tore. Auf einmal bekam ich von Ajax Amsterdam eine Einladung zu einem Probetraining. Ich habe heute noch den Zeitungsartikel, der dazu über mich geschrieben wurde. Meine Mutter hat es mir aber nicht erlaubt. In den folgenden Jahren, bis ich 15 war, habe ich weiter unglaublich viele Tore gemacht. Also wirklich verrückt viele, ich kam mal auf 150 Tore in einer Saison. Dazu war mir mein Vater eine sehr große Hilfe. Er stand mir stets bei und motivierte mich, den Fußball immer ernster zu nehmen und professioneller zu werden. In dieser Zeit entstand der Glaube, dass ich es schaffen werde, eines Tages für Maccabi Ahi zu spielen.

Das klappte dann erstmals in der Saison 2009/2010: Mit 17 kamen Sie für die Profis in der israelischen ersten Liga zum Einsatz. Wie erinnern Sie sich daran?

Dabbur: Das ist eine witzige Geschichte. Der Engländer John Gregory, der zuvor vier Jahre Aston Villa coachte, war der Trainer. Die Saison war weit fortgeschritten und der Abstieg stand quasi fest. Es war damals alles andere als üblich, sich nach jungen Spielern im eigenen Nachwuchs umzuschauen. Gregory hat dann ein Testspiel zwischen seiner ersten und der zweiten Mannschaft ausgemacht. Dabei schoss ich zwei Tore. Nach dem Spiel meinte er: 'Warum kickt der Junge nicht bei uns?'

Danach hat er Sie dann gleich bei den Profis eingesetzt?

Dabbur: Nein. Eine Woche später, ich hatte wegen Prüfungen in der Schule gar nicht trainiert, wurde nochmal dasselbe Spiel vereinbart - und ich traf wieder doppelt. Danach zog er mich zu den Profis hoch und ließ mich zum Saisonende hin noch fünf Mal spielen, jeweils um die 20, 30 Minuten.

Munas Dabbur 2013 im Trikot von Maccabi Tel Aviv bei einem Europa-League-Spiel gegen Frankfurt.imago images

Wieso sind Sie dann nach dieser Spielzeit zu Maccabi Tel Aviv gewechselt?

Dabbur: Nach dem Abstieg hatte ich die Möglichkeit, zu Maccabi Haifa, Maccabi Petach Tikwa oder Maccabi Tel Aviv zu gehen - jeweils in die zweite Mannschaft, weil ich noch jung war und dort weitere zwei Jahre hätte spielen können. Das muss ich auch erklären: Es gibt in Israel keine U23, die zweiten Mannschaften sind U19-Teams. In Tel Aviv bekam ich einen Profivertrag über sechs Monate mit der Option für ein weiteres halbes Jahr, war aber Teil der zweiten Mannschaft.

Wieso haben Sie sich dafür entschieden, wenn doch Ihr großes Ziel war, für die erste Mannschaft in Nazareth zu spielen?

Dabbur: Ich habe es nicht selbst entschieden, das hat mein Opa gemacht. Nachdem mein Vater starb, war er das Familienoberhaupt. Er war so etwas wie mein Berater. Mein Opa hatte 40 Jahre Erfahrung im Fußball, kannte jeden und sagte: 'Geh' nach Tel Aviv.' Ich konnte nicht nein sagen, aber Maccabi Tel Aviv ist natürlich auch ein großer Verein mit einer tollen Akademie, dazu gab es ein ordentliches Gehalt. Das war das erste Geld, das ich mit dem Fußball verdient habe. Zuvor in Nazareth hatte ich zwar das Glück, dass ich dank meines Opas und meines Vaters in guten Händen war, aber ich hatte dort keinen Vertrag.

Ihr Vater starb bereits im Jahr zuvor mit nur 37 Jahren bei einem Autounfall. Stimmt es, dass Sie anschließend darüber nachdachten, mit dem Fußball aufzuhören?

Dabbur: Ja. Als das passierte, war für mich nicht nur der Fußball, sondern das gesamte Leben beendet. Ich würde sagen, dass ich der Sohn war, mit dem mein Vater die engste Beziehung hatte. Er hat mich immer, aber gerade im Fußball besonders unterstützt. Er war bei jedem Training und jedem Spiel dabei, er half mir bei allen Problemen. Für mich ergab es daher überhaupt keinen Sinn, ohne ihn weiterzumachen. Die Saison war soeben zu Ende gegangen. Wir hatten einen Monat Pause, aber ich habe meinem Trainer sofort mitgeteilt, dass ich aufhören werde.

Sie waren damals gerade 16 Jahre alt. Wie sind Sie mit dem Verlust in der Anfangszeit umgegangen?

Dabbur: Es war für uns alle ein riesiger und nicht in Worte zu fassender Schock. Ich saß nur noch in meinem Zimmer, habe mit niemandem mehr gesprochen, kaum etwas gegessen und getrunken. Für mich wurde alles schwarz. Von meinen Brüdern habe ich wohl am längsten gebraucht, um mich einigermaßen davon zu erholen. Auch als das Training wieder anfing, bin ich einen Monat lang nicht hingegangen. Ich war wie tot.

Wie kam es, dass Sie doch wieder hingegangen sind und weitergespielt haben?

Dabbur: Durch meine Mutter. Sie sagte, ich solle es für mich und meinen Vater tun. Es war sein Traum, dass ich eine gute Karriere hinlege.

Munas Dabbur und sein typischer Torjubel im Gedenken an seinen verstorbenen Vater.getty

Was haben Sie rückblickend betrachtet von diesem tragischen Erlebnis für sich mitgenommen?

Dabbur: Das hätte mich als Mensch wirklich zerstören können. Es hat mich aber gestärkt und mir Kraft gegeben. Das tut es bis heute. Denn wenn es mir einmal schlecht geht oder ich down bin, erinnere ich mich immer daran: Ich habe mein Ein und Alles verloren, aber es hat mich nicht zerstört. Deshalb wird mich, egal was in meinem Leben noch passiert, nichts mehr brechen können. Diese Einsicht hat mir auf meinem gesamten Karriereweg sehr geholfen.

Nun waren Sie also ohne Ihren Vater bei Maccabi Tel Aviv in der zweiten Mannschaft gelandet. Wie sahen dort Ihre sportlichen Perspektiven aus?

Dabbur: Ich saß das erste halbe Jahr auf der Bank und fühlte mich überhaupt nicht wohl. Es war ein vollkommen anderes Leben, ich war allein, hatte dort keine Freunde und auch keinen Führerschein. Deshalb bezog ich eine Wohnung, die nur zehn Gehminuten vom Trainingsplatz entfernt, aber in einer ziemlich unheimlichen Gegend war. Es war am Anfang auch schwer, dort akzeptiert zu werden.

Munas Dabbur: Seine Stationen im Profibereich im Überblick

VereinZeitraumPflichtspieleToreVorlagen
Maccabi Ahi Nazareth2009-20105--
Maccabi Tel Aviv2011-201478239
Grasshopper Club Zürich2014-2016924926
Red Bull Salzburg2016-20191287231
Grasshopper Club Zürich (Leihe)20171372
FC Sevilla2019-2020932
TSG 1899 Hoffenheimseit 202077228

Wurde es besser?

Dabbur: Später schon. Ich muss auch dazu sagen, dass das die beste zweite Mannschaft Israels war. Sechs Spieler waren Teil der U19-Nationalelf, andere waren schon länger im Verein. Daher wollte ich nach den ersten sechs Monaten einfach nur wieder gehen. Ich bekam auch ein sensationell gut dotiertes Angebot vom Viertligisten Hapoel Umm al-Fahm. Der dortige Trainer war ein sehr guter Freund meines Onkels. Das wollte ich annehmen.

Lassen Sie mich raten: Ihr Opa hatte etwas dagegen?

Dabbur: Richtig, er hat es verboten. (lacht) Danach habe ich geweint und einen Monat lang kein Wort mit ihm gesprochen. Doch er hatte wie immer Recht. Plötzlich hat es wie aus dem Nichts Klick bei mir gemacht. Ich habe mich in jeglicher Hinsicht besser zurechtgefunden und durfte endlich spielen. Am Saisonende wurde ich mit 19 Treffern sogar noch Torschützenkönig. Wir gewannen auch das Double aus Meisterschaft und Pokal.

Anschließend lief dann ja Ihr Vertrag aus.

Dabbur: Genau. Ich erhielt erneut ein Angebot von Maccabi Haifa, aber auch Tel Aviv wollte mich für die erste Mannschaft behalten.

Was hat der Opa also entschieden?

Dabbur: (lacht) Dass ich ein weiteres Jahr in Tel Aviv bleiben soll, weil man mich dort bereits kannte und ich auch schon mit den Profis trainiert hatte. Das war auch eine leichte Entscheidung. Mein Opa half mir, dass in meinem Vertrag eine Ausstiegsklausel verankert wurde. Die hat es mir später ermöglicht, dass ich nach Europa wechseln konnte.

In den folgenden Jahren konnten Sie sich in Tel Aviv etablieren und gewannen 2013 mit dem Klub die israelische Meisterschaft, wozu Sie zehn Tore in 26 Spielen beisteuerten. Welche Rolle spielte Ihr Vater in dieser Zeit weiterhin für Sie, obwohl er nicht mehr bei Ihnen war?

Dabbur: Anfangs war es extrem speziell, denn meine gesamte Familie war nun bei all meinen Spielen dabei. Sie haben das getan, um meinen Vater für mich beim Fußball so gut es geht zu ersetzen und weil er natürlich selbst unheimlich gerne zugeschaut hätte. Das hat mich angespornt, denn ich wollte sie und ihn auf keinen Fall enttäuschen. Ich wusste, dass es sie alle stolz macht, mich dort spielen zu sehen. Diese Gefühle trage ich bis heute in mir. Ich bete vor jedem Spiel für ihn und widme meinem Vater jedes meiner Tore.

Im Februar 2014 wechselten Sie schließlich mit 21 Jahren zu Grashoppers Zürich in die Schweiz. Ist es richtig, dass Sie erst zwei Tage vor Ihrem Flug nach Zürich überhaupt davon erfuhren?

Dabbur: Ja. Das ist eine längere, verrückte Geschichte.

Nur zu!

Dabbur: Wir saßen auf dem Weg zu einem Auswärtsspiel im Maccabi-Bus, als mich mein Berater anrief und sagte, dass er für mich ein Angebot aus der Schweiz erhalten habe. Ich befand mich aber bereits in Gesprächen über eine Vertragsverlängerung bei Maccabi und war dazu auch bereit. Zudem war das Transferfenster in Europa bereits geschlossen. Da ich nicht wusste, dass es in der Schweiz aber noch geöffnet war, antwortete ich ihm nur: Hör' auf mich zu verarschen!

Wie reagierte er?

Dabbur: Er erklärte es mir und fragte: 'Bist du bereit, nach Europa zu gehen, willst du den Schritt machen?' Ich war sofort überzeugt. Als er mir sagte, dass man mir einen Dreijahresvertrag mit Option auf ein weiteres Jahr bot und das Gehalt nannte, war mir klar: Das mache ich auf jeden Fall! Du hast mich noch nicht einmal gefragt, um welchen Klub es sich überhaupt handelt, meinte er dann. (lacht) Das war mir in dem Moment aber noch völlig egal. Ich wollte einfach meinen Traum von Europa leben.

Nach dem bisherigen Gesprächsverlauf würde ich einwerfen wollen: Das haben Sie doch aber nicht alleine entschieden, ohne mit Ihrem Opa und der Familie darüber zu sprechen!?

Dabbur: Das riet mir mein Berater auch. Ich war aber so entschieden, mein Entschluss stand fest. Vor dem Spiel verstrickte ich mich dann noch in einen kleinen Disput mit unserem Sportdirektor Jordi Cruyff. Ich solle wegen der Vertragsverlängerung keine Spielchen mit ihnen spielen, meinte er - natürlich ohne zu wissen, dass ich erst vor zwei Stunden von diesem Angebot aus der Schweiz erfahren hatte. Davon habe ich ihm in dem Moment auch nicht erzählt und beschwichtigte. Als ich danach erfuhr, dass ich in dem Spiel nur auf der Bank sitzen werde, war ich wütend. Ich rief meinen Berater an und sagte: Mach' es bitte möglich, dass ich nach Europa gehen kann!

Es gab dann jedoch offenbar ein paar Komplikationen und der Transfer hing am seidenen Faden.

Dabbur: Ja. Zwei Tage nach diesem ersten Telefonat mit ihm saß ich zu Hause mit meiner Familie beim Essen. Es war ein ganz normaler Abend. Um 22 Uhr rief mich mein Berater an und fragte, was ich gerade tue. Ich sagte es ihm, da meinte er nur: 'Es haut jetzt doch alles hin, aber wir haben keine weitere Zeit mehr - wir müssen morgen um 7 Uhr nach Zürich fliegen!'

Wie weit ist Ihr zu Hause denn vom Flughafen entfernt?

Dabbur: Gute zwei Stunden. Dann musste ich noch zwei Stunden vor Abflug dort sein, meine Sachen packen und ein bisschen schlafen. Es blieben also höchstens ein, zwei Stunden übrig, um mit meiner Familie darüber zu sprechen. Danach war ich erst einmal für fünf Monate weg. Für meine Mutter war das ein großer Schock. Einer meiner Brüder arbeitet als Arzt in Frankreich und ist bereits aus dem Haus und nun, keine fünf Jahre nach dem Tod meines Vaters, sollte ich folgen.

Wie haben Cryuff und Maccabi reagiert?

Dabbur: Das kam noch dazu, ich hatte von ihnen noch gar nicht die Freigabe erhalten. Meine Ausstiegsklausel für Europa galt erst ab dem Sommer. Sie wollten mich am liebsten behalten und hätten eine utopische Ablöse fordern können. Ich rief daher Jordi an, den Besitzer von Maccabi, den Geschäftsführer, um sie alle davon zu überzeugen, mir meinen Traum zu ermöglichen. Auch mein Opa und Onkel versuchten alles. Es entstand in kurzer Zeit ein wirklich immenser Druck für mich.

Munas Dabbur während seiner Zeit bei Grashoppers Zürich.getty

Gab es zuvor schon einmal Angebote aus Europa für Sie?

Dabbur: Ja. Ich spielte mal mit der israelischen U21 gegen Russland im neuen Stadion von Rubin Kasan. Kasans Trainer schaute zu. Er hatte damals Bibras Natcho im Kader, den heutigen Kapitän des Nationalteams. Bibras rief mich kurz darauf an und sagte, dass man mich holen möchte. Mein Gehalt wäre für mich unvorstellbar hoch gewesen. Mit diesen Summen umzugehen, war für mich als Familienmensch, für den schon der Schritt von Nazareth nach Tel Aviv gewaltig war, nicht einfach. Das aber musste ich schlicht machen. Ich sprach mit meinem Opa, der dagegen war und sich Sorgen machte, ob es mir dort nicht zu kalt sein könnte. (lacht) Am Ende konnten sich die Vereine aber nicht auf eine Ablösesumme einigen.

Wie groß war der Kulturschock, als Sie in der Schweiz ankamen?

Dabbur: Alles war komplett anders, wirklich alles. Diese minutiöse Pünktlichkeit war sehr ungewohnt für mich. Dazu war es erbärmlich kalt. Ich sah dort das erste Mal in meinem Leben Schnee. Ich weiß noch, wie ich mit einer kleinen Gruppe von Spielern zwischen meinen ersten beiden Trainingseinheiten in eine Art Kantine zum Mittagessen ging. Ich nahm als Vierter mein Essen in Empfang und ging zum Tisch, an dem die anderen saßen. Da sagte einer: 'Munas, was tust du? Du musst noch zahlen!' Ich aber dachte, dass das schon jemand für unsere Gruppe gemacht hat. So kannte ich das aus Israel. Am nächsten Tag habe ich alle eingeladen und es ihnen erklärt. Danach wurde nie mehr getrennt bezahlt.

Sie haben mit GC zwar keinen Titel geholt, waren aber dennoch enorm erfolgreich: 56 Tore und 28 Vorlagen gelangen Ihnen in 105 Pflichtspielen. 2016 wurden Sie Torschützenkönig der Super League. Hat es Sie überrascht, dass Sie auf Anhieb so gut klargekommen sind?

Dabbur: Irgendwo schon, aber irgendwo auch nicht. Ich war fit, hatte das Vertrauen des Trainers und des Vereins und spielte in einer starken Mannschaft. Es lief einfach wie am Schnürchen.

Nach zwei Jahren in Zürich gingen Sie 2016 für fünf Millionen Euro zu Red Bull Salzburg und trafen dort auf Trainer Oscar Garcia, der Sie einst in Tel Aviv trainierte. Wieso aber sind Sie nach etwas mehr als einem halben Jahr wieder per Leihe zurück zu GC gegangen?

Dabbur: Das war der wahrscheinlich wichtigste Schritt meiner Karriere. Ich war in Salzburg damals einer der teuersten Transfers der Vereinsgeschichte, spielte aber plötzlich auf dem Flügel. Das war für mich eine große Überraschung. Vor allem, weil mich Oscar Garcia ja kannte, mir den Wechsel nach Salzburg schmackhaft machte und wusste, dass ich kein Flügelspieler bin. Ich würde sagen, ich habe dort okay gespielt, aber nur ein Tor erzielt. Auf einmal setzte er mich auf die Bank.

Und Sie riefen in Zürich an?

Dabbur: Ich war einfach nicht mehr glücklich. So wollte ich dort nicht weitermachen. Ich bekam wieder ein paar Angebote aus Russland, aber da war die Saison fast beendet. Versuche es bei Grashoppers, sagte ich meinem Berater. GC steckte damals im Abstiegskampf. Doch er war strikt dagegen und meinte, das würde meine Karriere killen. Ich aber war voller Zuversicht, dass ich dort auch ein zweites Mal überzeugen werde.

Munas Dabbur und Marco Rose nach dem Meistertitel mit Salzburg im Jahr 2019.imago images

Was hat denn Salzburg zu Ihren Wechselabsichten gesagt?

Dabbur: Sportdirektor Christoph Freund kam mir mehr als fair entgegen, das war toll. Ich glaube, er wusste bereits, dass nach der Saison ein neuer Trainer kommen würde und war erpicht, dass ich dann gestärkt und wieder glücklich zurückkomme. Genau das hat am Ende auch geklappt: Ich habe in Zürich die wohl beste Halbserie meines Lebens gespielt und sieben Tore in 13 Spielen geschossen. Wir haben nur knapp die Europa-League-Qualifikation verpasst.

Der neue Trainer in Salzburg hieß Marco Rose. Unter ihm feierten Sie drei Meisterschaften sowie zwei Pokalsiege und wurden zweimal Torschützenkönig. Was hat Rose getan, um Sie so ins Laufen zu bekommen?

Dabbur: Er sagte, ich sei sein Stürmer Nummer eins, weil er mich als Spielertyp liebt. Er werde mir immer den Rücken stärken - ganz egal, ob ich treffe oder nicht. Es war nur ein einziges kurzes und simples Gespräch. Doch von da an schoss ich Tore und lieferte Vorlagen wie ein Roboter, das kam wie automatisch. Je näher wir uns später kennenlernten, desto enger wurde unsere Beziehung. Er ist bis heute so etwas wie ein großer Bruder für mich.

Nach 66 Toren und 28 Vorlagen in 103 Pflichtspielen für Salzburg wechselten Sie im Sommer 2019 zum FC Sevilla. Warum?

Dabbur: Das Angebot und die Primera Division waren sehr verlockend. Sevillas Coach Pablo Machin wollte mich unbedingt haben - und zwar schon im Winter. Ich unterbrach meinen Urlaub, um nach Leipzig zu Marco Rose zu fliegen und mit ihm persönlich zu sprechen. Er sagte, dass er mir mit einer Lösung für den Sommer helfen würde, aber dass ich im Winter auf keinen Fall gehen darf. Es blieb mir daher nichts anderes übrig, als für den Sommer zu unterschreiben.

In Sevilla hatten Sie das Pech, dass sich der Verein von Machin trennte, bevor Sie dort ankamen.

Dabbur: Innerhalb dieser paar Monate wurde dort alles verändert: neuer Trainer, neuer Sportdirektor, neues Scouting.

Munas Dabbur und Luuk de Jong bei ihrer Vorstellung beim FC Sevilla 2019.imago images

Sein Nachfolger Julen Lopetegui stand weniger auf Sie.

Dabbur: Der Kader war bereits sehr groß, dann wurde er jedoch riesig, weil Lopetegui und Sportdirektor Monchi weitere 13 Spieler kauften. Das waren dann natürlich auch ihre Spieler. Ich dagegen nicht, die Entscheidung zu meinem Transfer trafen andere. Das lief sehr unglücklich für mich. Sie haben sich dann mit Luuk de Jong für einen vollkommen anderen Stürmertyp entschieden.

Sie kamen in Sevilla nur auf neun Pflichtspiele, in der Primera Division durften Sie nur 24 Minuten ran. Lopetegui ließ Sie nur in der Europa League spielen, wo Sie in sechs Partien drei Tore schossen und zwei vorbereiteten. Ab wann war Ihnen klar, dass Sie wieder wechseln wollen?

Dabbur: Bereits im September. Ich stand in der ersten Zeit nicht einmal im Kader. Keiner der Verantwortlichen sprach mit mir. Ich respektiere Lopetegui als sehr guten Trainer, aber als Mensch war er sehr kalt und schwierig im Umgang. Es war klar, dass ich in seinen Plänen keine Rolle spiele, aber er hat es mir nicht gesagt.

Hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Hoffenheim angeklopft?

Dabbur: Nein. Ich hatte schon im September mal wieder ein Angebot aus Russland, mal wieder sehr gut dotiert. Mit dem Verein war schon alles klar, Sevilla ging auch ergebnisoffen in die Gespräche. Ich ging fest davon aus, dass das klappt. Doch im letzten Moment erlaubten sie mir den Wechsel nicht. Und das, obwohl sie am selben Tag mit Chicharito einen weiteren Stürmer kauften. Das war für mich unbegreiflich. Ich versuchte bis zum Winter weiter mein Bestes, doch es half nichts.

In der Winterpause gingen Sie schließlich zur TSG nach Deutschland.

Dabbur: Wir spielten im Sommer mit Sevilla ein Testspiel gegen Hoffenheim. Da schoss ich ein Tor und unterhielt mich mit Alexander Rosen über einen anderen Spieler. So entstand über meinen Berater ein wenig Kontakt. Alex schlug vor, man könne sich ja mal treffen oder telefonieren, um zu schauen, ob man in der Zukunft zusammenarbeiten könnte. Das klappte dann schneller als damals gedacht.

In Hoffenheim konnte sich Munas Dabbur noch nicht als Stammspieler etablieren.getty

Was wussten Sie zuvor von Hoffenheim?

Dabbur: Nicht viel. Ich habe mich mit Diadie Samassekou und Steven Zuber, die meine Mitspieler in Salzburg und Zürich waren, über den Klub unterhalten. Alle erzählten mir nur Positives. Das hat meine Zusage entscheidend beeinflusst. Was mich von Anfang an und bis heute erstaunt ist, wie familiär es in diesem Verein zugeht. Es wird sich wirklich sehr um die Spieler gekümmert.

Bei der TSG rissen Sie sich schnell die Bizepssehne im Knie, dann kam die Corona-Pandemie und wenig später wurde Alfred Schreuder entlassen. Mittlerweile haben Sie zwei volle Spielzeiten in Hoffenheim erlebt. 28-mal standen Sie in dieser Zeit in der Bundesliga in der Startelf, ein echter Stammspieler sind Sie bislang nicht geworden. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Dabbur: Zwiegespalten. Dass es so ist, liegt natürlich an mir, aber auch an Situationen, für die ich nichts konnte. Es sind insgesamt einfach ein paar ungünstige Momente zu viel für mich passiert. Ich weiß, dass man in Hoffenheim den echten Munas Dabbur noch nicht gesehen hat. Der Verein tut aber alles für mich. Deshalb bin ich weiter zuversichtlich, dass ich das noch zeigen werde.