Lars Windhorst will Hertha BSC verlassen: Fragen und Antworten zur Eskalation in Berlin

Von Christian Guinin / SID
Gegen Lars Windhorst wurden schwere Vorwürfe erhoben.
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Investor Lars Windhorst hat die Beendigung seines Engagements bei Hertha BSC angekündigt. Der 45-Jährige zieht damit die Konsequenz aus einem Bericht der Financial Times, der ihm die Anstellung einer israelische Wirtschaftsdetektei vorwirft, welche das Ziel hatte, eine Kampagne zum Sturz des ehemaligen Präsidenten Werner Gegenbauer aufzusetzen. Fragen und Antworten zur komplizierten Situation.

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Was genau ist passiert?

Einem Bericht der Financial Times zufolge soll Hertha-Investor Lars Windhorst, der 2019 beim Hauptstadtklub einstieg, ein israelisches Team aus Privatdetektiven damit beauftragt haben, eine verdeckte Schmutzkampagne gegen den ehemaligen Berliner Präsidenten Werner Gegenbauer aufzusetzen.

Diese angebliche Kampagne sollte letztlich von Erfolg gekrönt sein. Ende Mai dieses Jahres stellte Gegenbauer nach einem erbitterten Machtkampf mit Windhorst sein Amt zur Verfügung. Sein Nachfolger wurde der ehemalige Ultra Kay Bernstein, welcher auf der Mitgliederversammlung am 26. Juni 2022 etwas überraschend zum neuen Präsidenten gewählt wurde.

Um welche Anschuldigungen handelt es sich?

Die in Tel Aviv ansässige Firma namens Shibumi Strategy Limited soll unter dem Codenamen "Euro 2020" über den Zeitraum eines Jahres Anhänger, Gegner und Familienmitglieder Gegenbauers online und persönlich kontaktiert haben, um vertrauliche und prekäre Informationen aus dem direkten Umfeld des 72-Jährigen zu sammeln.

Shibumi soll große Anstrengungen unternommen haben, Gegenbauer als verantwortlichen Sündenbock für die anhaltende sportliche Krise der Hertha dastehen zu lassen. So wurden offenbar Online-Profile von angeblichen Fans erstellt, eine eigene Website mit dem Namen "Gegenbauer raus" eingerichtet und sogar ein Karikaturist bezahlt, um wenig vorteilhafte Bilder und Kommentare zu Gegenbauer ins Netz zu stellen. Auf verschiedenen Social-Media-Kanälen wurden diese Kommentare, Bilder und Seiten demnach dann fleißig beworben.

Darüber hinaus plante man angeblich bei der Mitgliederversammlung im Herbst 2021 eine groß angelegte Hetz-Show, die für die Entlassung Gegenbauers werben sollte. An Fans und Mitarbeiter sollten verschiedenste "Gegenbauer raus"-Artikel verteilt werden. Gleichzeitig richtete Shibumi einen Online-Blog ein, in dem eine Vielzahl negativer Hertha-Artikel gesammelt wurden und auf den Journalisten Zugriff haben sollten, um über das Hertha-Chaos ausschweifend berichten zu können.

Windhorst sollte im Verein indes einen guten Eindruck hinterlassen. Offenbar habe der Investor Shibumi beauftragt, "eine Strategie zu planen und zu entwickeln", welche sein Standing unter den Hertha-Fans und -Mitarbeitern verbessern sollte.

Wie kam es zu dem Financial-Times-Bericht?

Dass es überhaupt zu einer Veröffentlichung der Vorwürfe kommen konnte, ist einer Klage von Shibumi Strategy Limited gegen Windhorst vor einem israelischen Gericht geschuldet. Windhorst sei, so der Vorwurf der Wirtschaftsdetektei, seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber Shibumi nicht nachgekommen.

Die israelische Firma behauptet, dass eine Sparte von Windhorsts Firma Tennor einen Vertrag gebrochen habe, wonach sie Shibumi eine Summe von einer Million Euro für acht Monate Arbeit schuldet. Zusätzlich soll eine angeblich mündlich vereinbarte Erfolgsprämie in Höhe von vier Millionen Euro noch ausstehen.

In Nachrichten an den Finanzier behauptete Shibumi-Geschäftsführer Ori Gur-Ari, dass Windhorst während eines Treffens im Juni 2021 gemeint habe, dass seine Firma "Millionen von Euro" verdienen könne, wenn die Kampagne erfolgreich wäre. Letztendlich habe das israelische Unternehmen jedoch "acht Monate lang Tage und Nächte gearbeitet, ohne bezahlt zu werden".

Auf der Gegenseite beklagte sich Windhorst in E-Mail- und Textkonversationen, die im Rahmen des Verfahrens veröffentlicht wurden, darüber, dass er jahrelang "riesige Summen" an Shibumi gezahlt habe, ohne etwas dafür zu bekommen.

Jegliche Informationen des Financial-Times-Bericht fundieren auf israelischen Gerichtsunterlagen, welche vor knapp drei Wochen in Tel Aviv eingereicht wurden und der Zeitung vorliegen.

Wie äußern sich die Beteiligten zu den Anschuldigungen?

Gur-Ari erklärte, dass er sowohl von der Anklage als auch von den genannten Anschuldigungen nichts wisse. "Da müssen Sie einen Fehler gemacht haben", sagte er der Financial Times.

Windhorst wiederum bezeichnete den Bericht zunächst als "Nonsens", später legte er in einem Statement in der Facebook-Gruppe "Hertha BSC Fans" nach. "Die Story in der Financial Times ist Unsinn. Bei logischer Betrachtung der damaligen Situation hätte dies überhaupt keinen Sinn gemacht."

Für eine verdeckte Operation, die ihm im FT-Bericht vorgeworfen wurde, hätte es überhaupt keinen Grund gegeben, so Windhorst weiter. "Meine Meinung zum früheren Präsidenten und meine Kritik an Werner Gegenbauers Führungsstil habe ich spätestens mit dem Auftritt in Bild TV im April 2021 und im Folgenden in mehreren Interviews sowie über die Sozialen Medien offen und erkennbar geäußert."

Darüber hinaus kritisierte Windhorst das Vorgehen der derzeitigen Hertha-Vereinsführung nach Bekanntwerden des Berichts. "Die Entscheidung der Hertha-Vereinsführung, eine Pressekonferenz zu verschieben sowie Berliner Anwälte recherchieren zu lassen, nehme ich zur Kenntnis. Extrem bedauerlich ist allerdings, dass nicht versucht worden ist, im gemeinsamen internen Gespräch offene Fragen zu klären. Stattdessen wurde wie in der Vergangenheit mit Durchstechereien und Indiskretionen in der Presse gearbeitet", so der 45-Jährige.

In die gleiche Kerbe schlug auch Windhorsts Sprecher, Andreas Fritzenkötter, gegenüber SPOX und GOAL. Den Bericht bezeichnete er als "kompletten Unsinn". Gegenbauer war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Hertha BSC hatte unmittelbar nach Bekanntwerden des Berichts angekündigt, die Vorgänge "durch eine Kanzlei aufarbeiten und beurteilen zu lassen".

Gegen Lars Windhorst wurden schwere Vorwürfe erhoben.
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Gegen Lars Windhorst wurden schwere Vorwürfe erhoben.

Was ist das Resultat aus dem Bericht?

Am Abend des 5. Oktober kündigte Windhorst das Ende seines Engagements bei Hertha BSC an. Es gebe "keine Basis und keine Perspektive für eine erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit" hieß es in einer Stellungnahme von Windhorsts Unternehmen Tennor. Dem Verein bietet Tennor an, "unsere Mehrheits-Anteile in Höhe von 64,7 Prozent zum damaligen Kaufpreis zurückzukaufen". Die Hertha müsste dafür 374 Millionen Euro aufbringen.

Als Schuldigen für die Eskalation beim Streit um die Spionage-Affäre sieht Tennor den neuen Hertha-Präsidenten Bernstein. Dieser sei "erkennbar an einer vertrauensvollen und seriösen Zusammenarbeit nicht interessiert", heißt es in der Stellungnahme. "Alle Gespräche" mit Bernstein "haben uns gezeigt, dass zwischen den Erklärungen und dem dann folgenden Verhalten des Präsidenten ein großer Unterschied besteht."

Hertha BSC konterte am Abend mit dem Hinweis, auf Wunsch von Tennor habe am Mittwochmorgen ein einstündiges "persönliches Treffen" mit Präsident Bernstein sowie dem Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Brüggemann stattgefunden - ein weiteres Treffen sei für kommenden Montag vereinbart worden. Die Meinungen über das Gespräch gehen allerdings weit auseinander.

Die Stellungnahme von Windhorst am Mittwochnachmittag "entspricht nicht dem Besprochenen und Verabredeten. Die darin erhobenen sonstigen Vorwürfe sind unzutreffend", behauptete Hertha BSC. Zugleich bot der Klub Tennor "die Unterstützung bei der Käufersuche in einem geordneten Investorenprozess im besten Interesse von Hertha BSC und Tennors Investoren und Gläubigern an".

Warum wollte Windhorst Gegenbauer überhaupt loswerden?

Anfang des Jahres kamen erstmals Berichte auf, dass es zwischen der Klubführung um Gegenbauer und Windhorst schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten um die künftige Ausrichtung des Vereins gebe.

"Ich habe darauf gesetzt, dass bei Hertha rational und in die Zukunft denkende Leute das Sagen haben, die auch nachhaltig den Erfolg wollen", sagte Windhorst im Februar in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Capital. Er habe jedoch erkannt, dass es einigen Leuten im Verein in erster Linie um "Machterhalt und Klüngelei" gehe, ohne dabei aber konkret Gegenbauer beim Namen zu nennen.

Nur wenig später legte er bei Bild-TV nach und beteuerte, dass es "sehr, sehr schwierig ist, unter der Führung von Herrn Gegenbauer als Team gemeinsam etwas zu erreichen, zu besprechen, zu kooperieren". Für den Präsidenten sei die Berliner Hertha lediglich "ein persönliches Spielzeug".

Schon damals soll Windhorst die Ablösung Gegenbauers auf der Mitgliederversammlung im Mai geplant haben. Weitere Investitionen in den Klub knüpfte er an den Rücktritt des 72-Jährigen. Ein neues Investment der Tennor Group werde es erst geben, "wenn wieder gute Leute in der Vereinsspitze sind", so Windhorst.

Herthas ehemaliger Präsident: Werner Gegenbauer.
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Herthas ehemaliger Präsident: Werner Gegenbauer.

Warum trat Gegenbauer schließlich ab?

Gegenbauer nahm schließlich noch vor besagter Mitgliederversammlung, einen Tag nachdem sich die Hertha durch einen 2:0-Sieg gegen den Hamburger SV vor dem Abstieg in die 2. Bundesliga gerettet hatte, seinen Hut und trat als Präsident der Berliner zurück.

"Es gibt Momente für Neuanfänge. Und ich denke und spüre, dass heute ein solcher Moment gekommen ist. Mit meinem Entschluss möchte ich einen Neuanfang für die Zukunft von Hertha BSC einleiten", verkündete Gegenbauer in einem Statement.

Dabei betonte er jedoch explizit, dass die "momentanen Unstimmigkeiten mit unserem Investor bei meiner Entscheidung keine Rolle gespielt haben. Diese Auseinandersetzung ist nie eine persönliche gewesen. Es ist eine Kontroverse zwischen Hertha BSC und der Tennor Holding."

Was wurde Windhorst in der Vergangenheit bereits vorgeworfen?

Nicht zum ersten Mal fällt Windhorst durch angeblich ausbleibende Zahlungen an Gläubiger auf. Anfang November 2021 hatte ein niederländisches Gericht Windhorsts Tennor Holding für insolvent erklärt. Nach Auffassung des Gerichts konnte Tennor Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen.

Dabei ging es einem Spiegel-Bericht zufolge um eine Summe in Höhe von 25 Millionen Euro, welche sich Windhorst von einer Firma namens S4 Limited geliehen hatte, später aber nicht mehr zurückzahlte.

Doch S4 soll nicht die einzige Firma gewesen sein, bei der sich der Investor verschuldete. Eine Firma von Athina Onassis aus Panama wollte Geld zurück - da Tennor offenbar nicht zahlte, beschloss das Gericht die Insolvenz. Windhorst erzielte mit besagten Firmen wohl schlussendlich ein Stillhalteabkommen, worauf das Gericht die Insolvenz im Dezember wieder aufhob.

Ein ähnliches Abkommen erzielte er nach Spiegel-Informationen mit dem in Monaco lebenden Milliardär Manfredi Lefebvre. Diesem soll Windhorst 124 Millionen Euro geschuldet haben, wobei er erneut Zurückzahlungen verschleppte. Lefebvre hatte offenbar Windhorst-Aktien gekauft, und Windhorst hatte sich verpflichtet, die Aktien plus Aufschlag zurückzukaufen.

Hertha BSC in der Bundesliga: Die aktuelle Tabelle

#MannschaftSp.SUNToreDiff.Pkt.
1Union Berlin852115:6917
2SC Freiburg852112:6617
3FC Bayern München843123:61715
4Borussia Dortmund850311:10115
51899 Hoffenheim842213:8514
6Eintracht Frankfurt842216:13314
71. FC Köln834114:10413
8SV Werder Bremen833218:13512
9Bor. Mönchengladbach833211:10112
10FC Augsburg84048:12-412
11RB Leipzig832313:12111
121. FSV Mainz 0583238:12-411
13VfL Wolfsburg82248:14-68
14Hertha BSC81438:10-27
15FC Schalke 04813410:17-76
16VfB Stuttgart80539:13-45
17Bayer Leverkusen81259:16-75
18VfL Bochum80175:23-181
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