Borussia Dortmund in der Taktikanalyse: Wie viel Edin Terzic steckt im Erfolg des BVB?

Von Constantin Eckner
Edin Terzic
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Seit dem Start der zweiten Saisonhälfte konnte Borussia Dortmund alle sechs Pflichtspiele für sich entscheiden. Auch wenn so manche Leistung noch viel Luft nach oben ließ, scheint Cheftrainer Edin Terzic so langsam eine funktionierende taktische Herangehensweise zu finden.

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Terzic haftet der Ruf an, dass der 40-Jährige vor allem ein Trainer für sogenannten Heroenfußball wäre. In seiner ersten Amtszeit beruhte demnach der zeitweilige Erfolg hauptsächlich auf der individuellen Klasse von Erling Haaland und Jadon Sancho.

In dieser Saison sollen Jude Bellingham und ein paar andere verantwortlich dafür sein, dass der BVB vielleicht ins Titelrennen eingreifen kann. Aber das wäre angesichts der jüngsten Siegesserie und deren Zustandekommen schlicht unfair gegenüber dem Dortmunder Cheftrainer.

Der leistungstechnische Abstand zu Bayern München mag womöglich größer sein als die drei Punkte in der Tabelle, aber mit einer positiven Expected-Goal-Differenz von rund 0,5 pro Partie sowie den zweitmeisten Schüssen beziehungsweise Torschüssen aller Bundesligisten sprechen einige Schlüsselwerte für Borussia Dortmund.

Lediglich bei den zugelassenen Torschüssen befindet sich der BVB bei einem Wert von 4,4 im Liga-Mittelfeld. Die Partien seit der Winterpause verdeutlichten in puncto Defensive noch eindeutigen Verbesserungsbedarf - nicht zuletzt das Auswärtsspiel in Leverkusen, das Dortmund mit einer Portion Matchglück für sich entscheiden konnte.

Edin Terzic, Borussia Dortmund
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Edin Terzic, Borussia Dortmund

BVB: Flügelspiel neu entdeckt

In Sachen Offensive sticht zunächst die veränderte Grundformation der Dortmunder ins Auge. Das 4-1-4-1 wirkt in Phasen des Spielaufbaus fast wie auf dem Reißbrett aufgezeichnet. Was Terzic augenscheinlich erreichen möchte, ist eine Grundstabilität im Spielaufbau mit zwei Innenverteidigern, einem etwas passiveren Sechser sowie zwei Achtern, die ähnlich breit postiert sind wie die Innenverteidiger und gegebenenfalls vertikale Anspielstationen offerieren. Jude Bellingham ist in aller Regel derjenige Achter, der sich mit einer gewissen Vehemenz für Pässe anbietet und am ehesten von seiner vorgegebenen Position abweicht.

Die vergleichsweise breiten Achter ziehen automatisch die Offensivreihe des BVB auseinander. Und genau darin liegt ein Schlüssel zum Erfolg. Anders als in der jüngeren Vergangenheit versucht Dortmund wieder dezidiert über die Flügel anzugreifen. Das geschieht entweder, indem ein dribbelnder Außenstürmer wie Karim Adeyemi oder fortan Jamie Bynoe-Gittens freigespielt und ins Eins-gegen-Eins geschickt wird, oder durch einen nahe der Seitenlinie postierten Außenverteidiger, der von dort aus fast schon in traditioneller Piszczek-Manier diagonale Anspielstationen wie Giovanni Reyna und Julian Brandt ausfindig macht. Ein breitstehender Linksaußen ermöglicht wiederum Raphaël Guerreiro ein diagonales Einlaufen teilweise bis hin zur Abseitsgrenze.

BVB, Borussia Dortmund, Taktikanalyse
© tacticalpad

BVB: Emre Can wird zum Problem

Diese taktische Struktur macht sich zunutze, dass viele Bundesliga-Teams vielleicht vorn über die gesamte Spielfeldbreite die erste Pressingphase ausführen, jedoch dazu neigen, sich infolge des Rückzugs in die eigene Hälfte auf die Spielfeldmitte zu konzentrieren. Die Außenbahnen werden von Mannschaften mit Viererkette willentlich aufgegeben und bei jenen mit Fünferkette fehlt infolge einer breit aufgefächerten letzten Linie die Absicherung gegen Rückpässe.

Zusätzlich haben sich Dortmunds Gegner zuletzt schwergetan, Emre Can richtig anzupacken. Der 29-Jährige mag nicht der technisch beschlagenste oder pressingresistenteste Sechser sein, aber wenn er gar nicht abgedeckt wird und sich ins offene Feld drehen darf, kann Can rasch zum dynamischen Ballschlepper werden, der ohne Weiteres in die gegnerische Formation hineinläuft und Räume aufreißt. Wird Can jedoch eng gedeckt, so fehlt unter Umständen ein Spieler, um die Innenverteidiger paritätisch anzulaufen oder den Passweg zu Bellingham ausreichend zu bewachen. Es entsteht ein Dilemma, das Dortmund bereits auszunutzen wusste.

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Borussia Dortmund braucht Tempo

Das ultimative Ziel für Terzic liegt darin, ein Grundtempo und, wenn möglich, punktuelle Durchbrüche zu erzeugen. Dies kann durch ein Aufdrehen von Can ebenso wie durch Diagonalpässe oder Flügeldribblings geschehen. Eine allzu langsame Ballzirkulation tut den Dortmundern nicht gut und passt auch nicht zum vorhandenen Spielermaterial. Die momentan praktizierte Grundtaktik bringt zusätzlich den Vorteil mit sich, dass Bellingham nicht ständig die Hauptverantwortung für die Entwicklung von Angriffen trägt und dass Marco Reus in tiefen Zonen aus der Ballzirkulation herausgehalten wird und vorrangig im letzten Spielfelddrittel Ballkontakte hat.

Natürlich bleibt es für den BVB ein Problem, dass die Mannschaft gegnerische Abschlüsse immer noch unzureichend unterbindet. Besonders die Rückzugsbewegungen und Staffelungen in tieferer Grundformation sind fehlerbehaftet. Hinzu kommen individuelle Fehler, schlechtes Timing beim Herausrücken aus einer der Ketten oder Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Nebenleuten. Dortmund hat in den vergangenen Wochen Tuchfüllung zur Tabellenspitze aufgenommen, aber wenn eine Facette im Spiel der Borussen zu Rückschlägen führen könnte, dann ist es die defensive Inkonstanz.

Offensiv hingegen wirkt der BVB durchweg potent genug, um Tore zu erzielen. Das hat jedoch nicht nur etwas mit einer Fülle von talentierten Spielern zu tun, sondern auch mit dem Input von Cheftrainer Terzic. Bei allen Rest-Zweifeln am 40-Jährigen sollte das nicht vergessen werden.

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