Harry Kane knackte eine historische Bestmarke, Jamal Musiala und Leroy Sané zauberten. Doch der heimliche Matchwinner beim 4:0-Sieg des FC Bayern München gegen den BVB war einer, der ganz ohne Scorerpunkt glänzte: Leon Goretzka.
Goretzka überzeugte in Dortmund in vielerlei Hinsicht und zwischenzeitlich sogar auf einer ungewohnten Position. Dass er vor dem Spiel eigentlich noch auf der Kippe gestanden hatte, machte sich zu keiner Sekunde bemerkbar.
Nur 13 Tage vor dem Spiel hatte sich Goretzka noch einer Operation an seiner gebrochenen Hand unterzogen. Vor dem Spiel erklärte Tuchel angesichts der kaum vorhandenen Alternativen, dass die Bayern bei ihm und Dayot Upamecano (war ebenfalls verletzt) aber "beide Augen zugedrückt" hätten.
Dennoch spielte Goretzka über die vollen 90 Minuten und zeigte seine bislang beste Saisonleistung (SPOX-Note: 1,5). "Es ist natürlich schon ambitioniert. Es ist erst zwei Wochen her. Mit der Schiene war es okay, es pocht ein bisschen", erklärte er nach dem Abpfiff.
Leon Goretzka mit Ansage: "Pause mache ich jetzt nicht mehr"
Bezeichnend und bemerkenswert zugleich war die Szene in der 37. Minute, als Goretzka sich an einem Fallrückzieher versuchte. Dieser verfehlte zwar das Tor. Doch viel eindrucksvoller war die Tatsache, dass er keine Angst hatte, dabei mit ordentlich Wucht auf seine geschiente Hand zu fallen. "Es gibt Schöneres. Das ist schon ein fetter Humpen", sagte er über die Manschette, die normalerweise sechs bis acht Wochen nach einer OP getragen werden muss und kündigte an: "Pause mache ich jetzt nicht mehr."
Eine Einstellung, die Goretzka zu jedem Zeitpunkt unterstrich. Er war bissig und gallig in den Zweikämpfen, spritzig bei seinen kurzen Läufen nach vorne und glänzte mit guter Übersicht - wie zu seinen besten Zeiten unter Ex-Bayern-Trainer Hansi Flick nach der Corona-Pause.
In Zahlen: Gemeinsam mit Alphonso Davies sorgte Goretzka in seiner Rolle als Box-to-Box-Spieler für die meisten Ballgewinne (10), er gewann über die Hälfte seiner Zweikämpfe, lief die meisten Kilometer aller Bayern-Spieler und hatte die drittbeste Passquote (91,7 Prozent). Zudem leitete er das 2:0 mit einem tollen Pass in den Lauf von Leroy Sané ein. "Das ist der Goretzka, den ich vor zwei Jahren schon so Richtung Weltklasse gesehen habe. Heute macht er mir sehr viel Spaß", würdigte ihn Sky-Experte Lothar Matthäus bereits während des Spiels.
Leon Goretzka überzeugt auch als Innenverteidiger
Seine Wert für die Mannschaft stellte Goretzka außerdem eindrucksvoll unter Beweis, als Upamecano nicht mehr konnte und Tuchel ihn für die letzte halbe Stunde in die Innenverteidigung zurückbeorderte. Der 28-Jährige half tatkräftig mit, den BVB in seiner besten Phase vom Tor abzuhalten.
"Das Spiel war fast ein bisschen ungewöhnlich, gerade die zweite Halbzeit", erklärte Goretzka dahingehend: "Das ist auch unserer personellen Situation geschuldet, wir haben auf eine Fünferkette umgestellt [Laimer, Mazraoui, Goretzka, Kim, Davies; Anm. d. Red.] und hatten dann wenig den Ball. Über Konter, die wir heute sehr gut ausgespielt haben, haben wir den Gegner plattgemacht." Und das gefällt dem ehemaligen Schalker naturgemäß besonders gut. "Seit ich bei Bayern bin, habe ich noch kein Auswärtsspiel bei Dortmund verloren. Es macht einfach Spaß."
Goretzkas Leistung war aber auch die Antwort auf das blamable Aus in Saarbrücken im DFB-Pokal. Er ging beispiellos und mit unbändigem Willen voran, weshalb auch der Ausfall von Leader Joshua Kimmich (Rotsperre) wider erwarten nicht ins Gewicht fiel. "Ich war bei der Reise nicht dabei. Ich habe vor dem Fernseher mitgelitten. Ich hatte ein kleines Déjà-vu, weil ich damals gegen Kiel [ebenfalls das Aus in der 2. Runde, Saison 2020/21; Anm. d. Red.] auch vor dem Fernsehen zugucken musste. Es ist ein harter Schlag, extrem nervig und ärgerlich, dass wir jetzt wieder einen Titel verspielt haben", sagte er nach dem Spiel in den Katakomben des Westfalenstadions.
Leon Goretzka: Kein Platz im DFB-Team?
Zugucken musste Goretzka in dieser Saison beim FC Bayern, wenn er gesund war, bislang kaum. Bis zu seiner Verletzung stand er in der Bundesliga in sieben von acht Spielen in der Startelf, nachdem er in der Vorsaison sein mit Abstand schwächstes Jahr in München durchlebt hatte. Ganz anders dafür in der deutschen Nationalmannschaft.
Zunächst wurde er unter dem ehemaligen Bundestrainer gar nicht erst nominiert, dann war bei Nachfolger Julian Nagelsmann kein Platz für ihn in der Startelf. Den Vorzug bekamen trotz des krankheitsbedingten Ausfalls von Joshua Kimmich zweimal Pascal Groß und Ilkay Gündogan im zentralen Mittelfeld.
Da Gündogan als Kapitän gesetzt ist, sind die Plätze in Nagelsmanns zuletzt ausgeübter 4-2-2-2-Grundordnung stark limitiert. Zumal Kimmich bei den kommenden Aufgaben gegen die Türkei und Österreich Mitte November voraussichtlich dabei sein wird. Goretzka könnte also dem System zum Opfer fallen, sammelte in Dortmund nun aber gute Argumente.
Auch in großen und wichtigen Spielen ist er augenscheinlich in der Lage, die Rolle als Nebenmann eines Mittelfeldspielers (in diesem Fall Konrad Laimer), der ebenfalls kein klassischer Sechser ist, auszufüllen. Goretzka könnte im DFB-Team also auch neben Gündogan oder in einer etwas anderen Formation an der Seite von Kimmich brillieren. Das wird auch Nagelsmann, der sich das Spiel von der Tribüne aus ansah, registriert haben. Ein besseres Empfehlungsschreiben gibt es eigentlich nicht.
Leon Goretzka: Leistungsdaten in der Saison 2023/24
- Daten von transfermarkt.de
Wettbewerb | Einsätze (Startelf) | Spielminuten | Scorer |
Bundesliga | 9 (8) | 653 | 3 |
Champions League | 2 (0) | 14 | - |
DFB-Pokal | 1 (1) | 90 | 1 |
DFB-Team (seit September) | 2 (0) | 64 | - |