Prioritäten falsch gesetzt: Die hochgelobte Transferpolitik des VfB Stuttgart trägt die Hauptschuld am Fehlstart

Von Tim Ursinus
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Der VfB Stuttgart hat einen Fehlstart in die neue Saison hingelegt. Dieser wäre durchaus zu verhindern gewesen, bei der eigentlich hochgelobten Transferpolitik wurden jedoch falsche Prioritäten gesetzt.

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Eigentlich lief alles so, wie es sich der VfB Stuttgart nur hätte ausmalen können: Keine zwei Minuten gespielt, Ecke, Seitfallzieher, Tor durch Neuzugang Ermedin Demirovic, Babyjubel, Ekstase. Der sehenswerte Treffer des 21-Millionen-Euro-Manns, dessen Ablöse durch Boni noch steigen kann, sorgte sicher für Genugtuung bei den Verantwortlichen um Sportvorstand Fabian Wohlgemuth.

Doch nach der Demirovic-Einlage lief offensiv überhaupt nichts mehr zusammen, am Ende stand lediglich ein xG-Wert von 0,35 zu Buche. Ein Einbruch, der vor allem auf das schwache Abwehrverhalten zurückzuführen ist. Nach dem 1:1 in der 26. Minute wirkte die komplette Mannschaft verunsichert. Anstelle einer Reaktion des VfB zeichnete sich ein Spiel auf ein Tor ab. Die Schwaben bettelten förmlich um Gegentore und waren mit dem 1:3 sogar noch ganz gut bedient, wie auch Trainer Sebastian Hoeneß nach dem Spiel durchklingen ließ.

Eine Spielentwicklung, die nach der knappen Niederlage im Supercup gegen Bayer Leverkusen und vor allem der starken Vorsaison nicht unbedingt abzusehen war, auf den zweiten Blick aber nicht überraschend kam.

Denn genau wie sich im Vorstand über das Tor des zweitteuersten Spielers der Vereinsgeschichte nach Deniz Undav auf die Schulter geklopft werden darf, muss dieser sich auch einen großen Vorwurf gefallen lassen. Die Prioritäten auf dem Transfermarkt wurden in den vergangenen Tagen schlichtweg falsch gesetzt, nachdem in den Wochen zuvor so viel richtig gemacht worden war.

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Warum El Bilal Touré? Der Bedarf in der Abwehr ist deutlich größer

Statt eines weiteren Innenverteidigers wurde zuletzt auf Hochtouren an der Verpflichtung von El Bilal Touré gearbeitet. Der bereits vierte Stürmer-Transfer, wenn man Undav dazuzählt. Zur Einordnung: Die Leihe des Rekordtransfers von Atalanta Bergamo ist keineswegs eine schlechte Idee, der 22-Jährige schenkt Hoeneß durch seine spielerischen Fähigkeiten nochmal mehr Variabilität in der Offensive. Der Bedarf im Abwehrzentrum ist jedoch größer. Deutlich größer!

Das machte sich schon eine Stunde vor Spielbeginn bemerkbar, als in der Startformation Angelo Stiller als Innenverteidiger aufgeführt wurde - und dessen Spielstärke im Mittelfeld somit völlig verschenkt wurde. Hoeneß sprach hinterher von einer "speziellen Personalsituation". Sogar Wohlgemuth, wenn auch durch die Blume, erkannte die Diskrepanz an.

"Wir haben heute hier und da in der Aufstellung improvisiert. Aber klar, man muss damit zurechtkommen und in die Abläufe kommen", sagte er und betonte: "Dann müssen wir so ein Spiel eben über 90 Minuten mit aller Konsequenz durchspielen. Und das ist uns heute nicht gelungen." Hoeneß vermisste derweil die "Grundhaltung". Forderungen, die der aktuelle Kader durch die unvollständige Defensive aber aus vielerlei Hinsicht nur schwer erfüllen kann. Dem VfB fehlt es nämlich an Alternativen für die Position rechts neben dem gesetzten Linksfuß Jeff Chabot.

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"Der Schuss muss sitzen": VfB Stuttgart noch nicht perfekt aufgestellt

Im Supercup hatte die Rolle noch der nach seiner Leihe fest verpflichtete Anthony Rouault ausgefüllt, wirkte dabei jedoch alles andere als sattelfest. In Freiburg verhinderte eine Schulterverletzung, dass sich der 23-Jährige weiter stabilisieren kann. Den Abgang von Kapitän und Abwehrchef Waldemar Anton kann der verhältnismäßig unerfahrene Franzose aber ohnehin nicht allein stemmen.

Gleiches gilt für den derzeit am Rücken verletzten Leonidas Stergiou, beide verfügen nicht im Ansatz über Antons Qualitäten im Spielaufbau und haben im Vergleich noch körperliche Defizite für die durchaus harte Gangart in der Bundesliga. Im DFB-Pokal gegen Preußen Münster am Dienstag soll es Talent Anrie Chase richten, eine dauerhafte Lösung ist er aber auch noch nicht.

Der VfB muss deshalb also nochmal etwas tun - und will das dem Vernehmen auch unbedingt. Die Frage ist nur: Warum nicht schon deutlich früher?

Hoeneß bestätigte nach dem Freiburg-Spiel, dass sich alle Beteiligten "einig" seien, dass eine Verstärkung noch benötigt wird. Aber: "Der Schuss muss sitzen." Zeit dafür, den richtigen Mann zu finden, war spätestens nach den nervenaufreibenden Verhandlungen mit Brighton & Hove Albion wegen Undav zur Genüge da. Durch El Bilal Touré schien der Fokus allerdings etwas verloren gegangen zu sein.

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VfB Stuttgart: Ehemaliger Schützling von Vincent Kompany birgt großes Risiko

Zumal auf der Verteidiger-Suche dem Vernehmen nach schon auf vielen Hochzeiten getanzt wurde. Alle gehandelten Namen aufzuzählen würden den Rahmen sprengen. Loic Baldé vom FC Sevilla galt lange als Wunschspieler, war im Gegensatz zu den vielen Stürmern aber letztlich zu teuer, auch eine Rückholaktion von Konstantinos Mavropanos war Thema. Das Rennen machte stattdessen nun Armeen Al-Dakhil.

Für den 22-Jährigen überweisen die Stuttgarter dem Vernehmen nach sieben Millionen Euro exklusive potenzielle Bonuszahlungen an den FC Burnley. Al-Dakhil, der bis 2028 unterschreibt, kann Hoeneß allerdings nicht sofort helfen: Seit Februar kam er für Burnley wegen einer Muskelverletzung nicht mehr zum Einsatz, mittlerweile, teilte der VfB mit, seien die Reha-Maßnahmen aber "weitestgehend" abgeschlossen. Stuttgart geht mit dem Transfer nichtsdestotrotz ein unnötig großes Risiko ein.

Geht alles gut, ist Al-Dakhil in wenigen Wochen einsatzbereit. Und das sollte es auch. Ansonsten sind vor der Schließung des Transferfensters am 30. August gewiss keine gezielten Schüsse mehr möglich und könnte im schlimmsten Fall einen großen Schatten über Wohlgemuths bis dahin gute Arbeit werfen.

VfB Stuttgart, Transfers: Die bisherigen Zugänge im Überblick

NameAbgebender VereinPreis
Ermedin DemirovicFC Augsburg21 Mio. Euro plus Boni
Jamie LewelingUnion Berlin5 Mio. Euro
Jeff Chabot1. FC Köln4 Mio. Euro
Anthony RouaultFC Toulouse3 Mio. Euro
El Bilal TouréAtalanta Bergamo2,5 Millionen Euro (Leihgebühr)
Leonidas StergiouFC St. Gallen2 Mio. Euro
Fabian RiederStade Rennes0,8 Mio. Euro (Leihgebühr)
Ramon HendriksFeyenoord Rotterdam0,7 Mio. Euro
Frans KrätzigFC Bayern München0,5 Mio. Euro (Leihgebühr)
Yannik KeitelSC Freiburgablösefrei
Nick WoltemadeSV Werder Bremenablösefrei
Justin Diehl1. FC Kölnablösefrei
Stefan DrljacaDynamo Dresdenablösefrei