Langsam aber sicher taut Carlo Ancelotti beim FC Bayern München auf. Im Bauch des beeindruckenden Soldier Field Stadiums in Chicago, eigentlich die Heimstätte der Chicago Bears aus der NFL, stellte er sich am Dienstagnachmittag (Ortszeit) den Fragen der anwesenden Journalisten - und präsentierte sich dabei in bester Laune.
So schaute er nur kurz verdutzt, als ihm die erste Frage auf Englisch gestellt wurde und konterte in schon merklich verbessertem Deutsch.
Nur wenige Momente später nahm er der Übersetzerin am Tisch die Arbeit ab. Auf eine seiner ausführlichen Antworten kam die Nachfrage: "English, please?" Ancelotti übernahm den Part direkt selbst. Der Italiener hatte die Lacher auf seiner Seite.
Ancelotti: "Sehr junger Trainer"
Lacher erntete er im Laufe der Pressekonferenz noch mehrere, vor allem bei der stetigen Wiederholung des Fakts, dass er noch ein "sehr junger Trainer" sei. Auch sein Kapitän Philipp Lahm war sichtlich amüsiert vom Entertainer-Potential seines neuen Chefs.
Zwar verzieht der Italiener beinahe nie eine Miene, sein konzentrierter Blick mit der hochgezogenen Augenbraue ist nicht erst seit gestern sein Markenzeichen. Die ernste, beinahe sterile Atmosphäre seiner Antritts-PK ist mittlerweile jedoch einem trockenen Humor gewichen.
AC Milan? "Immer speziell"
Bei einem Thema wurde Ancelotti dann aber doch ernst und bedächtig. Angesprochen auf den kommenden Gegner, betonte der 57-Jährige sofort, dass es sich für ihn nicht nur um irgendein Testspiel handelt: "Für mich ist es immer speziell, gegen Milan zu spielen. Milan war meine Heimat für viele Jahre. Ich habe eine schöne Erinnerung an den Klub."
Überraschend kam diese Feststellung freilich nicht. Zuletzt hatte Ancelotti vermehrt betont, noch immer ein großer Anhänger der Rossoneri zu sein.
Viermal mit Milan auf Europas Thron
Verständlicherweise: In fünf Jahren als Spieler (1987-1992) gewann er mit Milan zwei Meistertitel und feierte zwei Triumpfe im Europapokal der Landesmeister. Auch seine acht Jahre als Trainer (2001-2009) waren von Erfolg gekrönt. Die Ausbeute: unter anderem zweimal Champions-League-Sieger, einmal italienischer Meister.
Carlo Ancelotti hat den AC Milan in den letzten 30 Jahren mitgeprägt. Immerhin hat er 13 davon in aktiver und verantwortlicher Position an den großen Erfolgen mitgearbeitet.
Kein Wunder, dass sich der Italiener nun an den ersten beiden Tagen auf der Audi Summer Tour in Gesellschaft von Verantwortlichen und Mitarbeitern der Rossoneri wohl fühlte. Ob am Dienstagvormittag offen in der Lobby des Mannschaftshotels oder nach der Trainingseinheit in der Mixed Zone, im Gesicht des stoischen Italieners zeichnete sich ein Lächeln ab.
Auf die Frage eines italienischen Journalisten, ob er seinen Abgang von Milan im Sommer 2009 bereue, hielt Ancelotti kurz inne, um dann zu antworten: "Natürliche denkt man an so eine Trennung noch zurück. Aber zum damaligen Zeitpunkt war es die richtige Entscheidung." Das Wort Reue wollte er nicht stehen lassen.
Aufstieg zu einem der besten Trainer
Zumal er anschließend den Schritt ins Ausland machte und sich damit erst zu einem der anerkanntesten Trainer der Welt entwickelte: Meister in England mit Chelsea, Meister in Frankreich mit Paris Saint-Germain, Champions-League-Sieger mit Real Madrid.
Und mit den Bayern? "Ich finde es immer reizvoll, in ein anderes Land zu gehen, eine andere Kultur, eine andere Sprache und eine andere Liga kennenzulernen. Ich werde mein Bestes geben, um die Mannschaft für alle drei Wettbewerbe konkurrenzfähig zu machen."
Schon seit seinem Amtsantritt spricht Ancelotti bei den Bayern von "allen drei" Wettbewerben. Die Marschroute ist klar.
Entsprechend ernst geht er auch die Vorbereitung auf die kommende Saison an. Auch auf der in der Öffentlichkeit häufig kritisierten Tour soll seriös gearbeitet haben. Franck Riberys Aussage bei der Abreise, man sei "nicht im Urlaub, sondern zum Training" in die USA aufgebrochen, gefiel Ancelotti.
Weltvereine als Motivationshilfe
Dass die drei Gegner beim International Champions Cup keine Laufkundschaft, sondern prestigereiche Weltvereine sind, dürfte dem Italiener als Motivationshilfe für seinen Rumpfkader dienen. Zwar betonte Philipp Lahm nach dem Abschlusstraining, aus sportlicher Sicht sei sicherlich Real Madrid die reizvollste Aufgabe der kommenden Tage: "Aber Inter und Milan sind natürlich immer noch große Namen."
Für Ancelotti wird das Spiel gegen Real aufgrund seiner dortigen Trainertätigkeit ebenfalls besonders, doch gegen Milan zu spielen, ist aus seiner Sicht immer noch das Größte. Milan ist für Ancelotti eben nicht nur ein großer Name. Milan ist die große Liebe des Mister - und alte Liebe rostet bekanntlich nicht.
Carlo Ancelotti im Steckbrief