Jerome Boateng und seine Situation beim FC Bayern: Nicht mehr zu retten

Jerome Boatengs Situation beim FC Bayern München ist verfahren.
© getty

Jerome Boateng will eine neue Herausforderung in seiner Karriere, der FC Bayern München will dem Nationalspieler bei seinem Wechselwunsch keine Steine in den Weg legen. Die Liste der Interessenten ist mittlerweile jedoch auf einen Klub zusammengeschrumpft: PSG. Noch ist im Poker um einen Transfer Zeit. Dass dieser zustandekommt, ist angesichts des zerstörten Verhältnisses auch beinahe Pflicht.

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Schaufenster ist im Fall Jerome Boateng nicht der richtige Begriff. Der FC Bayern hat ihn im Laufe der letzten Wochen nicht nur ins Schaufenster gestellt. Vielmehr glich das Vorgehen des Rekordmeisters im Umgang mit Boateng dem eines Marktschreiers. In Zeiten von täglichen Dementi machten die Münchner mehr als klar, dass sie sich sehr gut mit einem Abgang Boatengs anfreunden könnten.

Karl-Heinz Rummenigge posaunte das bereits im Juni heraus. Damals reagierte Boateng irritiert ("Ich weiß nicht, warum diese Aussagen getätigt wurden"). Doch der Vorstandsvorsitzende wiederholte seine Aussagen mantraartig.

Boateng schwieg in der Folge. Was soll er auch sagen? Das Reden übernehmen ja die Verantwortlichen der Bayern für ihn.

Salihamidzic und Hoeneß stimmen Rummenigge zu

Hasan Salihamidzic führte den Rummenigge-Sprech fort. Am Sonntag sprach nun auch Uli Hoeneß Tacheles: "Wir haben gesagt, wenn er einen Verein findet, werden wir uns damit beschäftigen", sagte er bei Sky.

Mittlerweile komme als Abnehmer "nur noch Paris" in Frage, fügte der Präsident hinzu. Einen möglichen sportlichen Verlust Boatengs könne der FC Bayern abfangen: "Wir glauben, dass wir mit Niklas Süle, Mats Hummels und Javi Martinez Spieler haben, die ähnlich gut sind. Wenn der Spieler weg will und wir Geld bekommen können, dann beschäftigen wir uns damit. Die Chancen stehen 50:50."

Die einen 50 Prozent wären den Münchnern offensichtlich lieber als die anderen 50. Das klingt bei den Verantwortlichen durch. So sagte Hoeneß: "Wenn Paris nicht entsprechend bezahlt, dann bleibt er eben und alles ist okay." Klingt nicht nach Wunschlösung.

FC Bayern: Führung nicht respektvoll gegenüber Boateng

Die Situation zwischen Boateng und der Vereinsführung ist zerfahren und eigentlich nicht mehr zu retten.

Es mag sein, dass Boatengs Berater Christian Nerlinger die Vereinsführung von seinem Wechselwunsch informierte. Dass die Bosse das jedoch zum Anlass nehmen, ihn öffentlich derart offensiv anzubieten, ist nicht der respektvollste Umgang.

Der FC Bayern kämpft nicht um Boateng. Einen verdienten Spieler, der insgesamt 16 Titel im roten Trikot gewann, im Mannschaftsrat ist und in fittem Zustand nach wie vor zu den besten Innenverteidigern der Welt gehört. Stattdessen fordern die hohen Herren PSG quasi öffentlich dazu auf, ein gutes Angebot abzugeben, dann werde es schon klappen.

Damit dekonstruieren sie Boatengs Status in München. Sollte sich ein Transfer zerschlagen, hätte sein Verbleib mindestens einen seltsamen Beigeschmack. Alleine deswegen kann Boateng aus seiner eigenen Sicht kaum bleiben, zumal er eher eine Aufwertung seines Status anstrebt.

Jerome Boateng: Titel mit dem FC Bayern München

WettbewerbAnzahlJahr
Deutscher Meister62013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018
DFB-Pokalsieger32013, 2014, 2016
Champions-League-Sieger12013
Klub-Weltmeister12013
UEFA-Supercup-Sieger12013
DFL-Supercup-Sieger42012, 2016, 2017, 2018

Robben, Ribery, Müller und Neuer werben für Boateng

Hoeneß, Rummenigge und Salihamidzic handeln mit ihrem Vorgehen kurioserweise gegen den Willen der Mannschaft. Wortführer wie Arjen Robben, Franck Ribery, Thomas Müller oder Manuel Neuer forderten allesamt einen Verbleib Boatengs. Die beinahe deckungsgleichen Aussagen beinhalteten Sätze wie: "Er ist sehr wichtig für uns", "Er ist einer der besten Innenverteidiger der Welt" und "Ich hoffe, dass er bleibt".

Trainer Niko Kovac war da nicht ganz so offensiv. Doch er betonte, dass er "drei Weltklasse-Innenverteidiger" wie Boateng, Hummels und Süle unbedingt brauche. Und dass er deswegen "Stand heute" von einem Verbleib ausgehe. Im Pokal setzte er gegen Drochtersen/Assel auf ihn. Boateng zeigte - unterklassiger Gegner hin oder her - mit seiner Präsenz, Antizipation und Ballverteilung, wie wichtig er sein kann.

Umso skurriler ist die Situation des Weltklasseverteidigers. Er kann sich einen Wechsel vorstellen, die Bayern auch, dennoch tut sich (noch) nichts. Verwunderlich, schließlich sollte ein Spieler dieser Qualität sich seinen Arbeitgeber frei aussuchen können und nicht in einem Zwischenzustand schweben.

Jerome Boateng: Ziele begrenzt

Ganz so unkompliziert ist die Lage jedoch nicht. Weil Boateng immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen wurde, kam er selten über einen längeren Zeitraum ins Rollen. In den letzten drei Saisons machte Boateng in der Bundesliga 19 (2015/2016), 13 (2016/2017) und 19 (2017/2018) Spiele. Das ist wenig für einen Spieler, der ein Preisschild von etwa 50 Millionen Euro umhängen hat. Die nicht dauerhaft vorhandene Fitness sorgte auch dafür, dass Boateng einige durchwachsene Leistungen zeigte.

Ebenfalls durchwachsen war seine WM. Im ersten Spiel gegen Mexiko im Defensivverbund überfordert wie seine Nebenleute, im zweiten Spiel gegen Schweden nach einer übermotivierten Aktion vom Platz gestellt. Turnier vorbei. Klar, das kann passieren und Boateng war im DFB-Team nicht der Einzige ohne Form. Aber einen Hype hat er damit nicht befeuert.

Zudem ist der Markt für Boateng ohnehin nicht der größte. Mit seinem Anspruch will er zu einem Klub, der um Titel mitspielt. Klartext: die Champions League. Einen deutlichen sportlichen Abstieg will er vermeiden. Deswegen soll er Manchester United abgesagt haben. Also kamen nur fünf bis sechs Vereine in Frage. Es gibt nicht viele Plätze, schließlich kickt dort die Creme de la Creme.

PSG, Thomas Tuchel und Financial Fairplay

Die Liste potentieller Abnehmer für Boateng hat sich auf genau einen Klub eingedampft: PSG. Thomas Tuchel kennt Boateng aus der Bundesliga bestens und weiß seine Qualitäten zu schätzen. Boateng selbst könnte als Guardiola-Jünger zu Tuchels Art passen, die Stadt Paris und die Ambitionen des Klubs wären prädestiniert für ihn. Eine Back-to-Earth-Debatte würde ihn dort nicht erwarten.

Spätestens seit dem 37-Millionen-Euro-Transfer von Thilo Kehrer muss PSG bei Transfers aber aufpassen. Stichwort Financial Fairplay. Ein weiterer 50-Millionen-Euro-Deal ist nicht so einfach zu verklickern.

Vom Tisch ist das Thema trotzdem lange nicht. Die jüngsten 50:50-Aussagen von Hoeneß deuten darauf nicht hin. Eher auf einen Poker. Forderung und Angebot müssen sich entgegenkommen.

Und: Ob die Bayern wirklich mit nur zwei Innenverteidigern in die neue Saison gehen wollen, wenn Martinez fest im Mittelfeld, Alaba links und Kimmich rechts in der Viererkette eingeplant sind, darf bezweifelt werden. Nicht umsonst sagte Kovac, er gehe davon aus, dass im Falle eines Boateng-Abgangs noch etwas gemacht werden könnte.

Kommt Benjamin Pavard sofort zum FC Bayern?

Gut möglich, dass ein Deal mit Benjamin Pavard vom VfB Stuttgart in die Personalie Boateng mit hineinspielt. Angeblich ist ein Wechsel im Sommer 2019 beschlossene Sache. Würden die Bayern das Angebot für den Weltmeister aber noch einmal deutlich erhöhen, könnte er eventuell doch sofort kommen.

Bislang gab es beim FC Bayern im Sommer keinen Paukenschlag auf dem Transfermarkt. Doch noch ist das Fenster offen. Und das Schaufenster beleuchtet. Oder eher: der Marktstand aufgebaut.

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