In der 56. Spielminute war Manuel Neuers großer Moment endlich gekommen. Er hielt einen Schuss! Tatsächlich! Und das kam so: Augsburgs Dong-Won Ji wurde halbrechts angespielt, lief ein paar Meter und zog dann mit dem linken Fuß ab. Der Ball segelte halbhoch rechts aufs Tor zu, Neuer warf seine beiden Arme in Volleyballspieler-Manier parallel vor seinen Körper und baggerte ihn ins Toraus. Und dann war sein großer Moment auch schon wieder vorbei. Das Spiel lief zwar noch weitere 34 Minuten plus Nachspielzeit, aber Schuss auf sein Tor kam keiner mehr.
Neuer kassierte somit zwar immerhin kein Gegentor mehr, aber davor waren es bereits zwei - an denen Neuer jeweils schuldlos war. "Wir haben uns vorgenommen, gut zu verteidigen und wollten mal wieder zu Null spielen", sagte Neuer, der nach seiner Daumenverletzung und drei Pflichtspielen Zwangspause in die Startelf zurückgekehrt war, danach. Der Vorsatz hielt exakt 13 Sekunden.
Dieses Spiel in Augsburg steht somit exemplarisch für Neuers schon etwas tragische Saison. Ihm unterlaufen nicht übermäßig viele Fehler, aber trotzdem kassiert er permanent Gegentore. In seinen 20 Bundesligaspielen in dieser Saison bereits 22. Letztmals Zu-Null spielte er vor der Winterpause.
Neuer hat prozentual die zweitschlechteste Quote der Liga
Neuer hat zumeist nicht viel zu tun, aber wenn doch, sind die Aufgaben zu schwer. Der FC Bayern bekam in dieser Bundesligasaison exakt 60 Schüsse aufs Tor und damit mit Abstand am wenigsten aller Klubs. Stand Neuer im Tor, landeten jedoch über 40 Prozent aller Schüsse aufs Tor auch darin. Das ist nach Fabian Bredlow vom 1. FC Nürnberg der schwächste Wert der Liga.
Vielen dieser Schüsse gingen individuelle Unachtsamkeiten der Abwehrspieler voraus. In Augsburg leistete sich etwa Joshua Kimmich zwei folgenschwere Stellungsfehler, Leon Goretzka ein Eigentor und Niklas Süle einen misslungenen Klärungsversuch. "Wir waren alle überrascht davon, dass wir da nicht aufgepasst haben", analysierte Neuer. "Die Gegentore waren natürlich Wahnsinn. Da kann man nicht viel machen als Torhüter. Da dreht man nicht nur als Keeper durch."
Potenzial zum Durchdrehen gibt es beim FC Bayern aktuell Woche für Woche. Ein individueller Fehler reiht sich an den nächsten und ausbaden muss all das Neuer - sofern er denn gesund ist. Langsam aber sicher scheint es ihn schon auch ein bisschen zu nerven. Für ihn sind es schließlich neue Erlebnisse: jahrelang stand er hinter Jerome Boateng und Mats Hummels im Tor. Damals, als sie noch als eines der besten Innenverteidigerduos der Welt galten.
In Liverpool wird Neuer öfter geprüft werden
Dann verletzte sich Neuer in der vergangenen Saison am Mittelfuß und als er pünktlich zur Weltmeisterschaft in Russland wieder fit wurde, war es nicht mehr wie zuvor. Weder in der Nationalmannschaft, noch danach beim FC Bayern. Irgendwie hatten Boateng und Hummels in der Zwischenzeit gleichzeitig eine gehörige Portion Sicherheit und Schnelligkeit eingebüßt.
In beiden Teams und unter den Trainern Joachim Löw und Niko Kovac sortiert sich seitdem die Rangordnung in der Innenverteidigung neu. Süle - dem jedoch auch gerne mal der eine oder andere Fehler unterläuft - zog an den alteingesessenen Kollegen vorbei. Kovac erklärte ihn neulich zum Stammspieler, Süle wird wohl auch beim Achtelfinalhinspiel in der Champions League am Dienstag beim FC Liverpool (21 Uhr im LIVETICKER) auflaufen.
Gegenüberstehen wird dem FC Bayern dann mit Sadio Mane, Roberto Firmino und Mohamed Salah das aktuell womöglich gefährlichste Sturmtrio Europas. "Liverpool ist eine offensivstarke Mannschaft und wird mehr Torchancen bekommen als Augsburg", erwartet Neuer. Es hörte sich fast ein bisschen so an, als würde er sich darauf freuen. Vielleicht darf er an der Anfield Road dann auch mal wieder mehr als nur einen Schuss abwehren.