Uli Hoeneß ist ein Mann der alten Schule, das Gegenteil eines digital natives. Der langjährige Boss des FC Bayern gefällt sich in der Rolle des konservativen, internetaversen Grantlers. Dort, an diesem ominösen Ort namens Internet, sei er "noch nie" gewesen, kokettierte er stolz bei seiner letzten großen Pressekonferenz im August dieses Jahres - und unterstrich damit recht deutlich, dass er der virtuellen Welt nicht sonderlich viel abgewinnen kann.
Dementsprechend sperrte sich der 67-Jährige auch stets gegen ein Engagement des deutschen Rekordmeisters im eSport, also jenem Sektor, in den andere Bundesligisten und internationale Schwergewichte längst vorgedrungen waren.
"Es wäre totaler Schwachsinn, wenn der Staat nur einen Euro dazugeben würde", sagte Hoeneß im Sommer 2018 bei einer Veranstaltung der CSU in seinem Heimatort Bad Wiessee. Er bezog sich damals auf die im Koalitionsvertrag vorgesehene sportpolitische Anerkennung von eSport, die steuerliche Vorteile mit Blick auf die Gemeinnützigkeit von eSport-Klubs zur Folge haben würde.
Hoeneß bei eSports zunächst nicht empfänglich
"Junge Leute sollen Sport auf dem Trainingsplatz treiben", legte der gebürtige Ulmer nach und modifizierte damit unbewusst die Worte seines Freundes Franz Beckenbauer, der bei der Weltmeisterschaft 1990 als Bundestrainer seinen Schützlingen die einfache wie erfolgreiche Marschroute "geht's raus und spielt's Fußball" mit an die Hand gegeben hatte.
Trotz Hoeneß' ablehnender Haltung lotete sein Herzensverein zu jener Zeit bereits die Chancen aus, ins Gaming-Geschäft einzusteigen. "Es gibt beim FC Bayern auch Bestrebungen. Ich bin dagegen, stehe aber relativ alleine da", verriet er seinen Zuhörern in Bad Wiessee.
Ein paar Monate später, genauer im Februar dieses Jahres, klang Hoeneß etwas empfänglicher und bestätigte gegenüber der dpa, man wolle das Thema "weiterverfolgen".
Seit Dezember offiziell: FC Bayern stellt eSports-Team vor
Aufgeschlossener trat hingegen Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hinsichtlich einer Aktivität im eSport auf. "Wir haben da jetzt eine offensivere Haltung eingenommen. Wir haben eine Analyse vorgenommen, ob wir uns diesem Thema nicht doch nähern, weil es aus wirtschaftlichen Zukunftsgedanken interessant werden könnte", erklärte er am Rande des Sportbusiness-Kongress SPOBIS und schilderte vorangegangene Zweifel: "Ursprünglich waren wir nicht dafür, weil uns diese Ballerspiele nicht so gefallen haben." Seit Anfang des Monats ist der Sinneswandel offiziell.
Die von Rummenigge angesprochenen "Ballerspiele", die in der Vergangenheit regelmäßig gesellschaftspolitische Kontroversen entfachten, bisweilen sogar als Ursache für Amokläufe an Schulen ausgemacht oder zuletzt von Innenminister Horst Seehofer bezüglich des Anschlags in Halle erneut in den medialen Fokus gerückt wurden, gefallen den Verantwortlichen beim FCB auch nach wie vor nicht.
Aus diesem Grund konzentriert man sich bei den Bayern fortan ausschließlich auf die von Partner KONAMI entwickelte Fußballsimulation Pro Evolution Soccer.
Mennerich: "Der FC Bayern will immer zeitgemäß sein"
"Nach unserer Analyse sind wir gemeinsam beim FC Bayern zu dem Ergebnis gekommen, diesen Schritt zu gehen", erklärt Stefan Mennerich, Direktor Medien, Digital und Kommunikation bei Bayern, im Gespräch mit SPOX und Goal. "Der FC Bayern will immer zeitgemäß sein, solange und soweit dies auch vereinbar ist mit unseren Werten, unserer Haltung, unserer DNA. Bei Fußballsimulationsspielen ist das aus unser Sicht gewährleistet." Doch wie sieht der Vorstoß in bis dato neue Gefilde konkret aus?
Mit seinem Team, das aus dem spanischen Zocker-Trio Alejandro Alguacil, Miguel Mestre und Jose Carlos Sanchez sowie dem österreichischen Trainer Matthias Luttenberger besteht, tritt in der von KONAMI ins Leben gerufenen eFootball. Pro League an.
In dieser misst man sich zwischen Mitte Dezember und Mitte April 2020 mit neun eSports-Abteilungen anderer europäischer Fußballklubs wie Manchester United, Juventus Turin oder dem FC Barcelona im klassischen Liga-Modus (Best of Two).
Pro-League-Finale steigt Ende Juli in Barcelona
Die beiden besten Teams der Regular Season erreichen automatisch die Halbfinals der K.o.-Runde, die im Mai stattfinden wird, während die Plätze drei bis sechs im Best-of-Three-Modus die beiden vakanten Plätze für die Halbfinals ausspielen.
Das große Endspiel, das im Best-of-Five-Modus ausgetragen wird, steigt dann Ende Juli in Barcelona.
"Für uns war es selbstverständlich, in der eFootball.Pro League zu starten, weil wir in diesem Bereich eine Partnerschaft mit KONAMI haben", begründet Mennerich und schiebt nach: "Abgesehen davon finden wir, dass der Start in einer Liga mit so fantastischen Teams wie dem FC Barcelona, Manchester United und Juventus Turin sehr vielversprechend ist und der FC Bayern immer in der bestmöglichen Liga spielen möchte." Der Einstieg beim nach wie vor weltweit relevanteren PES-Konkurrenten FIFA von EA Sports kam also offensichtlich nicht infrage.
eSports-Experte: PES? "Die Spielerschaft ist klein"
"KONAMI, der Entwickler von PES, versucht sich seit mehreren Jahren gerade mit grafischen Finessen im Kräftemessen mit FIFA und EA Sports", sagt eSports-Experte Hauke van Göns von esports.com auf Nachfrage von SPOX und Goal.
"Zum großen Stich hat das bisher nicht so richtig gereicht, zumindest in der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit. In der eSport-Szene hat sich PES über die Zeit sehr schwergetan, die Spielerschaft ist klein, die Turniere teilweise ohne Besucher. In den Streams, also dem Zuschauermedium überhaupt im eSports, gibt es ebenfalls keine nennenswerten Zahlen. PES ist also eine eSports-Nische."
Nicht nur die von van Göns angesprochenen "grafischen Finessen" sollen die Spieler von FIFA zu PES locken. KONAMI sicherte sich schon im Sommer die gesamten Exklusiv-Lizenzen für Juventus Turin, weshalb der italienische Serienmeister bei FIFA mittlerweile nur noch unter dem fiktiven Namen Piemonte Calcio auswählbar ist, ohne Original-Trikots, -Wappen und -Stadion.
Klubs treten in einen "Nischensport" ein
Auch der Deal zwischen KONAMI und den Bayern hatte Auswirkungen für EA Sports. Wer mit Robert Lewandowski, Serge Gnabry, Philippe Coutinho und Co. in der Allianz Arena auflaufen will, wird feststellen, dass die virtuelle Spielstätte nicht länger zur Verfügung steht. Das Gleiche gilt übrigens für das legendäre Camp Nou von Barca.
"EA Sports wird immer größer, FIFA hat eine riesige Spielerschaft. KONAMI muss viel Geld in die Hand nehmen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Die Offensive mit den einzelnen Vereinen wirkt wie ein letzter Großangriff auf den Konkurrenten", bewertet van Göns die Situation.
Er ergänzt: "KONAMI merkt, dass die Luft immer dünner wird und es solche Deals wie mit Bayern und Juve braucht. Aber Cristiano Ronaldo spielt beispielsweise trotzdem eine entscheidende Rolle in der FIFA-Welt, auch wenn die Teamlizenz bei PES liegt." Letztlich seien die genannten Klubs "in einen Nischensport eingetreten. Das haben sich die Vereine vom Spielentwickler KONAMI bezahlen lassen. Das ist der fade Beigeschmack dieses Einstiegs."
Fan-Ärger nach Bekanntgabe von eSports-Engagement
Ein Punkt, der auch in Teilen des Bayern-Fanlagers kritisch gesehen wird. Im Bundesliga-Heimspiel gegen Werder Bremen machten etliche Anhänger aus der Südkurve ihrem Ärger mittels mehrerer Banner Luft. Die Botschaft: "'Mia san Mia' heißt auch, nicht jedem Scheiß wegen Kohle hinterherlaufen - kein eSports beim FC Bayern." Diese negative Resonanz hatte man sich freilich bei den Münchnern nicht erhofft, wenngleich klar gewesen sein dürfte, dass besonders der traditionell kommerzkritische Ultra-Kern nicht unbedingt mit Jubelarien auf die Neuigkeiten reagieren würde.
Ob das neue PES-Team um Alguacil, Mestre, Sanchez und Luttenberger den Ärger mitbekommen haben, ist nicht überliefert. Während die realen Fußballer die Gäste aus Bremen mit 6:1 aus dem Stadion schossen, scheuchten die eSportler in ihrer ersten offiziellen Pro-League-Partie die virtuellen Bayern-Stars gegen ManUnited über den Rasen. Am Ende setzte es mit 2:3 und 0:0 aus Sicht der Neu-Münchner gleich eine Niederlage zum Auftakt.
Uli Hoeneß, den normalerweise nichts mehr auf die Palme bringt als eine Bayern-Pleite, wird es kaltgelassen haben.