"Das Spiel war unter Kontrolle", sagte Robert Lewandowski im Anschluss an Hansi Flicks zweites Spiel als Cheftrainer des FC Bayern München im Herbst 2019. Nach einem 2:0 in der Champions League gegen Olympiakos Piräus hatte seine Mannschaft gerade äußerst souverän mit 4:0 gegen Borussia Dortmund gewonnen.
Unter Flicks Vorgänger Niko Kovac kassierte sie davor in acht Spielen hintereinander immer mindestens ein Gegentor, bei dessen letztem Spiel gegen Eintracht Frankfurt sogar fünf. Der FC Bayern suchte vergeblich nach der Kontrolle und bekam sie dank eines neuen, funktionierenden Defensivkonzepts von Flick: Er schob die Viererkette weiter nach vorne, verengte damit die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen und verordnete gleichzeitig ein wildes Pressing. Den Gegenspielern wurden nun so frühzeitig die Bälle abgejagt, dass diese meist gar nicht in Kontersituationen kamen. Das anschließende eigene Kombinationsspiel klappte weitestgehend fehlerfrei.
Statt mit angezogener Handbremse fuhr der Bolide Bayern nun Vollgas und raste bis zum Triple. Ein paar wenige Tage blieben anschließend zum Auftanken, ehe Fahrer Flick seiner Mannschaft wieder die davor gewohnte Geschwindigkeit verordnete und bis heute verordnet. Ein riskantes Manöver, denn die Bedingungen verschlechterten sich zunehmend.
Aktuell wirkt Flick wie ein übermüdeter Fahrer bei Nebel auf Blitzeis, der diese erschwerten Sicht- und Witterungsverhältnisse aber nicht wahrhaben will und seinen Boliden in gewohnter Schönwetter-Manier steuert. Seine Mannschaft hat die damals zurückerlangte Kontrolle längst wieder verloren. Spätestens nach der Pokalblamage beim Zweitligisten Holstein Kiel muss sich Flick zügig hinterfragen. Der erste Titel ist weg, weitere in Gefahr.
FC Bayern: Warum das Defensivkonzept nicht funktioniert
In den vergangenen 16 Pflichtspielen blieb der FC Bayern nur ein einziges Mal ohne Gegentor, was zunächst selten auffiel, weil die Offensive um ihren so unglaublich treffsicheren Torjäger Lewandowski eben vorne ein bis vier Tore mehr schoss. Nun verlor der FC Bayern aber in der Bundesliga bei Borussia Mönchengladbach und im DFB-Pokal in Kiel zwei Spiele in Folge.
Die Gegentore fielen bei diesen beiden Niederlagen zumeist nach demselben Muster wie in den Wochen davor: Das Pressing des hochstehenden FC Bayern griff nicht, der Gegner kam in Kontersituationen, durch Bälle in die Tiefe in gefährliche Räume und letztlich zum Torerfolg. Flicks Defensivkonzept funktioniert aktuell nicht und dafür gibt es einige Gründe.
Knapp 14 Monate nach Flicks Amtsübernahme haben die gegnerischen Trainer reichlich Erfahrungswerte und Videomaterial, um sich darauf einzustellen. Gleichzeitig ist die Ausführung nicht mehr so konsequent wie einst: Weil viele Spieler wegen des engen Spielplans und der schlechteren Kadertiefe im Vergleich zur vergangenen Saison physisch und psychisch müde sind. Weil sie nach den zurückliegenden Triumphen womöglich nicht mehr ganz so siegesgierig sind. Weil die Mannschaft bei eigenem Ballbesitz auch wegen des Abgangs des so passsicheren Thiagos und der Formschwäche einiger Stammspieler zu viele Ballverluste verzeichnet.
Hansi Flick ist zurück auf Anfang
Flick beachtete all das bisher wenig, änderte kaum etwas an seinem Defensivkonzept und kritisierte stattdessen die Ausführung seiner Spieler. "Das ist das gleiche Muster. Wir haben die Dinge angesprochen, wir müssen in so einer Situation das Zentrum dicht machen und die Tiefe sichern. Das haben wir nicht gemacht", sagte er nach der Blamage in Kiel. Ähnlich hatte er sich auch schon nach den vorangegangenen Spielen geäußert.
Nun sind aber weniger die Spieler, als vielmehr der Trainer selbst gefragt. Flick ist zurück auf Anfang: Genau wie bei seiner Amtsübernahme betreut er aktuell eine Mannschaft, der die Kontrolle fehlt und die nach einem funktionierenden Defensivkonzept sucht.
Kurz vor seinem Abschied hatte Flicks Vorgänger Kovac gesagt: "Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn die Spieler nur 100 schaffen. Man muss das anpassen, an das, was man hat - und wir haben andere Spielertypen." In beeindruckender Manier bewies Flick in der vergangenen Saison das Gegenteil. Jetzt muss er aber beweisen, dass er seinen Boliden auch auf erschwerte Bedingungen einstellen kann.