Nur einen Titel gewonnen und dazu 13 Tore weniger als im Triple-Jahr geschossen: Serge Gnabrys dritte Saison beim FC Bayern verlief nicht sonderlich zufriedenstellend. Im Interview mit SPOX und Goal zieht der 25-jährige Angreifer ein selbstkritisches Fazit, spricht über das Wiedersehen mit Julian Nagelsmann und nimmt den von einigen Fans als geldgierig abgestempelten David Alaba in Schutz, der die Münchner zum Saisonende verlassen wird.
Neben weiteren Themen rund um den FCB äußert sich Gnabry vor dem letzten Bundesliga-Spiel 2020/21 gegen den FC Augsburg (Samstag, 15.30 Uhr im LIVETICKER) auch zu dem Ziel mit der deutschen Nationalmannschaft, Bundestrainer Joachim Löw bei der anstehenden Europameisterschaft "einen perfekten Abschied" zu bereiten. Zudem verrät Gnabry, dass er auch für seine zweite Heimat, die Elfenbeinküste, hätte spielen können und welche zwei Superstars ihn in seiner Kindheit fesselten.
Herr Gnabry, die Saison mit dem FC Bayern neigt sich dem Ende entgegen. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Serge Gnabry: Nach all unseren Erfolgen in der vergangenen Saison hätte ich mir wieder mehr als einen Titel gewünscht, denn ich will immer so viel wie möglich erreichen. Besonders ärgerlich war das Zweitrunden-Aus im Pokal gegen Kiel, das hätte uns einfach nicht passieren dürfen. Die noch größere Enttäuschung war aber das Aus im Viertelfinale der Champions League gegen PSG. Die Jungs haben alles gegeben und gut gespielt. Bitter, dass wir ausgeschieden sind.
Welche Note würden Sie der Saison geben?
Gnabry: Eine 2-. Wir sind zum wiederholten Male Deutscher Meister geworden und darüber sind wir sehr glücklich. Aber natürlich hätten wir gerne wieder noch mehr Titel geholt. Wir sind Leistungssportler, wir spielen hier beim FC Bayern und wollen immer alles gewinnen.
imagoFC Bayern - Gnabry: "Bin nicht zufrieden mit mir"
Sie haben wettbewerbsübergreifend zehn Tore auf Ihrem Konto - 13 weniger als in der vergangenen Saison. Wie bewerten Sie Ihr persönliches Abschneiden?
Gnabry: Ich bin nicht zufrieden mit mir. Mein Ziel war, meine Tor- und Vorlagenquote zu verbessern. Das habe ich nicht geschafft. Es waren leider zu viele Spiele dabei, in denen ich sehr gute Chancen vergeben habe. Daran muss ich arbeiten.
Dafür waren Sie weniger verletzungsanfällig als noch in der Vorsaison.
Gnabry: Ja, ich hatte kaum Verletzungen, nur einmal musste ich wegen Corona aussetzen. Das ist definitiv etwas Positives, das ich aus dieser Saison mitnehmen kann.
Was muss passieren, damit Sie mit sich selbst zufrieden sind?
Gnabry: Ich muss viele gute Aktionen für mein Team haben und am besten einen Hattrick erzielen. Ich analysiere meist schon kurz nach dem Spiel im Bus oder auf dem Heimweg: Was war gut? Was war nicht gut? Was hätte ich besser machen können? Manchmal laufen die Dinge, manchmal laufen sie nicht. Das musst du akzeptieren. Wichtig ist, nie aufzugeben.
FC Bayern - Gnabry: "Sind Flick zutiefst dankbar"
Seit dieser Saison tragen Sie die legendäre Rückennummer 7 von Publikumsliebling Franck Ribery. Spüren Sie dadurch mehr Druck?
Gnabry: Nein, nicht wirklich. Am Anfang war das schon ein großes Ding, aber ich habe mich daran gewöhnt. Ich spüre keinen Druck.
Hat der Druck allgemein abgenommen, seitdem keine Fans mehr in die Stadien dürfen?
Gnabry: Auch das ist Gewöhnungssache. Wir Spieler müssen uns jeder Situation anpassen. Ohne Fans ist es weniger emotional und laut, das stimmt. Aber letzten Endes müssen wir trotzdem unseren Job machen und gewinnen. Klar ist auch, dass wir alle am liebsten mit Fans im Stadion spielen.
Immer funktionieren - war das auch im Zuge des Streits zwischen Trainer Hansi Flick und Sportvorstand Hasan Salihamidzic möglich?
Gnabry: Es wurde viel darüber berichtet, ich kann aber nichts dazu sagen, weil wir Spieler uns auf den Sport konzentrieren.
Mit Flick geht der Trainer, mit dem Sie und die Mannschaft in einer Saison alles erreicht haben.
Gnabry: Wir sind ihm alle zutiefst dankbar. Was er aus uns gemacht und wie er uns zu diesen Titeln geführt hat, war großartig. Aber Leute gehen, Leute kommen - das ist Teil des Fußballgeschäfts. Hansi hat einen hervorragenden Job gemacht. Hoffentlich kann ich bald wieder mit ihm zusammenarbeiten.
Vielleicht ja beim DFB.
Gnabry: Das werden wir sehen.
Neben Flick verlässt auch Hermann Gerland den Verein. Wie wichtig war der "Tiger" für die Mannschaft?
Gnabry: Sehr wichtig, vor allem für junge Spieler. Auch ich musste zum Beispiel ab und zu an sein Kopfballpendel. Es ist schade und traurig, dass er uns verlässt.
imagoFC Bayern - Gnabry: "Nagelsmann macht seine Spieler besser"
Was war Ihr schönstes Erlebnis unter Flick und seinem Trainerteam?
Gnabry: Schöne Erlebnisse gab es viele. Die Art und Weise, wie Hansi und seine Kollegen uns behandelt haben, bleibt mir aber besonders in Erinnerung. Wir waren stets auf einer Wellenlänge. Flick und sein Trainerteam waren nett und verständnisvoll, zugleich aber auch motivierend. Wir haben uns immer sehr, sehr wohl gefühlt.
Mit Julian Nagelsmann kommt im Sommer ein Trainer, den Sie bestens kennen. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit ihm?
Gnabry: Ja, wir haben uns getroffen, als ich noch bei Werder Bremen gespielt habe. Er hat mich damals davon überzeugt, zur TSG Hoffenheim zu gehen anstatt ein weiteres Jahr in Bremen dranzuhängen. Ich habe mich unter ihm sehr gut entwickelt. Er ist noch sehr jung, hat einen guten Drive und legt großen Wert auf kleine Details. Er ist jemand, der seine Spieler besser macht. Ich freue mich sehr, wieder mit ihm zusammenzuarbeiten.
Welche kleinen Details meinen Sie?
Gnabry: Gerade taktisch hat er uns immer hervorragend eingestellt. Er will in jeder Trainingseinheit und bei jeder Spielanalyse immer bestens vorbereitet sein. Wir haben meist die Dinge trainiert, die wir im vorherigen Spiel nicht gut gemacht haben. Immer und immer wieder, bis wir es besser gemacht haben. Julian Nagelsmann ist ein motivierter Trainer, der immer 100 Prozent gibt. Und damit komme ich sehr gut klar, weil ich auch immer alles gebe.
FC Bayern - Gnabry: "Hauptsache ich spiele offensiv"
Nagelsmann lässt gerne mit einer Dreierkette spielen. Zu Ihrer Zeit in Hoffenheim hat er Ihnen dabei ab und zu die Rolle des offensiven rechten Außenverteidigers aufgetragen. Können Sie sich vorstellen, diese Rolle auch beim FC Bayern einzunehmen?
Gnabry: Lieber nicht. (lacht) Generell macht es mir auf einer offensiveren Position mehr Spaß. Aber wenn der Trainer mich dort hinstellt, werde ich auch dort spielen.
Was ist Ihre Lieblingsposition? Beim FC Bayern spielen Sie meist auf den Außenbahnen, bei der Nationalmannschaft hingegen im Sturmzentrum.
Gnabry: Schwierig zu sagen. Ich habe ein bisschen mehr Spaß im Sturmzentrum, denn auf dieser Position habe ich schon in der Jugend immer gespielt. Aber auf dem Flügel, ob rechts oder links, fühle ich mich auch wohl. Hauptsache ich spiele offensiv.
Nicht nur auf der Trainerbank tut sich einiges. Mit David Alaba, Jerome Boateng und Javi Martinez verlassen drei verdiente Spieler den Verein. Alaba ist einer Ihrer besten Freunde. Wie gehen Sie damit um?
Gnabry: Es ist schade für mich, wenn Leute den Verein verlassen, mit denen ich sehr eng befreundet bin. Du gewöhnst dich über die Jahre einfach daran, mit so Typen wie David, Jerome oder Javi zusammen zu sein, die Umkleide mit ihnen zu teilen und auch privat viel miteinander zu unternehmen. Ich bin sehr traurig darüber - und werde sie jeden Tag vermissen.
Nicht wenige Fans ärgern sich über die Art und Weise des Abschieds von Alaba, haben Ihn nach den gescheiterten Vertragsverhandlungen mit dem FC Bayern als geldgierig betitelt. Wird er missverstanden?
Gnabry: Ich denke, wir Fußballer werden oft missverstanden. In der Öffentlichkeit weiß doch niemand genau, was hinter den Kulissen vor sich geht, worüber gesprochen worden ist, was letztlich die Motive für den Abschied sind. Am Ende sagen die Leute "Den Fußballern geht's doch eh nur ums Geld", aber ich denke nicht, dass es immer nur ums Geld geht. Als Außenstehender ist man in einer anderen Position und urteilt nach dem, was man hört und liest, aber das heißt nicht, dass man damit automatisch Recht hat.
Mit Alaba geht der Chef der Abwehr. Lucas Hernandez könnte seine Rolle einnehmen. Was halten Sie von ihm?
Gnabry: Lucas hat sich in den vergangenen Monaten enorm entwickelt. Als Stürmer ist es verdammt hart, gegen ihn zu spielen. Er ist sehr aggressiv und wachsam, lässt dir nach Ballannahme kaum Zeit und Platz.
DFB-Team - Gnabry: "Wollen Löw perfekten Abschied bereiten"
Am 15. Juni treffen Sie mit Deutschland beim ersten EM-Gruppenspiel auf ihn.
Gnabry: Ja, wir haben im Training schon ein bisschen darüber gescherzt. Es wird ein schwieriges Spiel, aber wir freuen uns sehr, uns direkt mit einem Gegner wie Frankreich messen zu können.
Für Sie wird es das erste große Turnier mit Deutschland sein, für Joachim Löw hingegen das letzte. Der Bundestrainer hat einmal gesagt: "Serge Gnabry spielt bei mir immer." Wie groß ist Ihre Motivation, Ihrem Förderer einen gebührenden Abschied zu bereiten?
Gnabry: Für mich ist es eine tolle Sache, einen Trainer zu haben, der so eine hohe Meinung von mir hat. Aber wir alle wollen ihm einen perfekten Abschied bereiten und ein starkes Turnier spielen, nicht nur ich. Denn: Jeder weiß, was Joachim Löw für den deutschen Fußball getan hat. Er ist einer der erfolgreichsten Bundestrainer aller Zeiten.
Die Zahl an Löws Kritikern ist in den vergangenen Jahren rapide angestiegen. Generell könnte die Stimmung in Richtung DFB und Nationalmannschaft besser sein.
Gnabry: Wir können nichts gegen die schlechte Stimmung von außen machen - außer zu gewinnen. Das ist unser Job. Wenn uns das gelingt, wenn wir uns nicht so Ausrutscher leisten wie zum Beispiel gegen Nordmazedonien, wird sich auch die allgemeine Stimmung wieder bessern.
DFB-Team - Gnabry: "Müller zu Recht bei der EM dabei"
Thomas Müller steht im EM-Kader. Was kann er der Mannschaft neben seiner fußballerischen Klasse geben?
Gnabry: Eine gute Einstellung und Führungsqualitäten. Er ist ein Antreiber, der jeder Mannschaft guttut. Über den Fußballer Thomas Müller brauchen wir nicht zu sprechen. Er hat zwei fantastische Jahre hinter sich und ist zu Recht bei der Europameisterschaft dabei.
Führungsqualitäten bringt auch Ihr langjähriger Kollege und Kumpel Joshua Kimmich mit. Würden Sie der jüngsten Aussage von Javi Martinez zustimmen, dass Kimmich der beste Sechser der Welt ist?
Gnabry: Ja, dem würde ich zustimmen.
Trotzdem diskutiert Fußball-Deutschland fleißig darüber, ob Kimmich bei der EM nicht besser als Rechtsverteidiger aufgehoben sei.
Gnabry: Das ist eine schwierige Entscheidung. Jo kann auf so vielen unterschiedlichen Positionen spielen. Egal wo, er macht seine Sache gut, weil er ein so intelligenter Fußballer ist. Er tut uns als Mannschaft sehr gut, auch aus mentaler Sicht, weil er immer hoch motiviert ist und seine Mitspieler antreibt. Wenn etwas nicht läuft, ist er zur Stelle. Jo ist jemand, auf den du dich verlassen kannst.
Kimmich wird hin und wieder auch als überehrgeizig bezeichnet. Muss man ihn ab und zu bremsen?
Gnabry: Manchmal muss ich ihm schon sagen: "Hey, chill mal!" Aber er ist so, das ist in seinem Blut - und deshalb ist er auch so weit gekommen und einer der besten, wenn nicht sogar der beste Sechser der Welt, wie Javi sagt.
FC Bayern - Gnabry schwärmt von Drogba und Zidane
Sie haben mit Kimmich nahezu alle Nachwuchsteams beim DFB durchlaufen. Anders als er hatten Sie die Möglichkeit, für ein anderes Land außer Deutschland zu spielen: die Elfenbeinküste. Stimmt es, dass der ivorische Verband Sie als Jugendlicher kontaktiert hat?
Gnabry: Ja, das war 2014, als ich bei Arsenal gespielt habe. Der ivorische Verband hat mich kontaktiert und nach einem Treffen gefragt, um mich davon überzeugen, für die ivorische A-Nationalelf zu spielen. Für mich war aber immer klar: Ich bin hier in Deutschland geboren und aufgewachsen, habe für fast alle U-Nationalmannschaften des DFB gespielt, also möchte ich auch für die deutsche A-Nationalelf spielen.
Gab es einen afrikanischen Spieler, den Sie in Ihrer Jugend besonders bewundert haben?
Gnabry: Didier Drogba, ganz klar. Er war nach Zinedine Zidane mein absoluter Lieblingsspieler. Ein großartiger Stürmer.
Wie haben Sie reagiert, als er den FC Bayern im "Finale Dahoam" nahezu im Alleingang besiegt hat?
Gnabry: Für den FC Bayern war das natürlich extrem bitter, aber in der Folgesaison hat es ja zum Glück mit dem Champions-League-Sieg geklappt.
SPOX/GoalFC Bayern - Gnabry: "Afrika ist auch Heimat für mich"
Welche Bindung haben Sie heute zu Afrika und der Elfenbeinküste?
Gnabry: Das ist auch Heimat für mich. Mein Vater ist von dort, ein Großteil meiner Familie lebt auch noch dort. Ich war schon ein paar Mal zu Besuch und will, wenn die Zeit es zulässt, häufiger dorthin.
Erden einen Fußballstar solche Besuche auch?
Gnabry: Was materielle Dinge angeht: Ja. Andererseits zeigen mir diese Besuche auch, wie glücklich du als Mensch sein kannst, wenn du einfach nur du selbst bist. Ich finde es auch ein bisschen hart, zu sagen: "Ich bin im Vergleich zu Menschen in Afrika ja so gesegnet, ich habe ja ein so gutes Leben." Wenn ich dort bin, habe ich nicht das Gefühl, dass die Menschen total unglücklich sind. Im Gegenteil. Sie sind mit dem glücklich, was sie haben. Sie lachen viel, sie vertreten gute Werte. Das ist inspirierend.
Dennoch spenden Sie einen Teil Ihres Gehalts zu wohltätigen Zwecken.
Gnabry: Ich bin so aufgewachsen: Wenn ich etwas geben kann, dann gebe ich auch etwas. Helfen und teilen, das sind Dinge, die von mir selbst kommen. Ich bin keine eigennützige Person.