Eigentlich wollte Julian Nagelsmann nicht mehr über Leroy Sane sprechen. "Lasst den Jungen jetzt einfach mal machen. Er wird schon bald durch die Decke gehen, darauf könnt ihr euch verlassen", sagte der Coach des FC Bayern vor der Länderspielpause Anfang September auf einer Pressekonferenz.
"Schon bald" ist keine drei Wochen später. Beim 7:0 gegen den VfL Bochum am Samstag zeigte Sane seine vielleicht stärkste Leistung von vielen starken Leistungen seit seiner von Pfiffen begleiteten Halbzeit-Auswechslung am 22. August gegen den 1. FC Köln. Insbesondere nach seinem Freistoßtor in der 17. Minute skandierten die Fans lautstark seinen Namen, ehe er später unter tosendem Beifall verabschiedet wurde. Drei Gründe für diese bemerkenswerte Entwicklung.
1. Zuspruch von allen Seiten für Sane
Nach dem "Denkzettel" vonseiten der Bayern-Fans am 2. Bundesliga-Spieltag erhielt Sane von allen Seiten Zuspruch. Besonders deutlich wurde sein Bayern-Mitspieler Joshua Kimmich, der die Pfiffe als "frech", "bitter" und "ungerechtfertigt" bezeichnete.
Nicht nur seine Kollegen, die Führungskräfte um Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic sowie Nagelsmanns Trainerteam stellten sich demonstrativ hinter ihn, auch beim DFB zeigte man sich verständnisvoll für die schwierige Situation des Spielers, der bereits während der EM wegen enttäuschender Leistungen öffentlich kritisiert und teils sogar angefeindet worden war.
Sein neuer alter Trainer Hansi Flick machte es sich während der Länderspielpause zur Aufgabe, viele Einzelgespräche mit Sane zu führen. "Leroy braucht Selbstvertrauen, um befreit aufzuspielen", stellte Flick klar.
Gegen Liechtenstein, Armenien und Island zahlte Sane die Unterstüzung des Nachfolgers von Joachim Löw zurück. Spätestens danach glänzte er auch im Bayern-Trikot.
2. Nagelsmann und Flick setzen Sane besser ein
Wichtiger als der moralische Beistand: Sane wird nicht mehr zwanghaft in die alles andere als zu ihm passende Arjen-Robben-Rolle gepresst. Unter Flick und auch zunächst unter Nagelsmann meist als rechter Außenbahnspieler aktiv, durfte er seit dem Köln-Spiel auf dem linken Flügel ran, auf dem er sich bei Manchester City zwischenzeitlich in eine Weltklasse-Form gespielt hatte.
Das Resultat? Elf Torbeteiligungen (acht für den FC Bayern, drei für die Nationalelf) in 541 Einsatzminuten. Nagelsmann gab zuletzt jedoch mehrfach zu verstehen, dass er von Sane erwarte, auf mehreren Positionen zu spielen. Besonders beim 7:0 gegen Bochum wurde deutlich, dass die Aufgabe des Ex-Schalkers nicht darin besteht, konsequent auf dem linken Flügel zu kleben. Er rückte oft ein, spielte laut Nagelsmann "zum vierten Mal in Folge im Halbraum zwischen Acht und Zehn".
Der Grund dafür: Mit Alphonso Davies haben die Münchner einen sehr offensiv denkenden Linksverteidiger, der häufig mit ins letzte Drittel vorprescht. Sane soll in diesem Fall entweder den Kanadier hinterlaufen oder aber in andere strafraumnahe Zonen vordringen, um Platz für Davies zu schaffen.
Das beste Beispiel: Bei der Entstehung des fünften FCB-Treffers gegen Bochum durch Robert Lewandowski stürmte Sane in die Nähe der rechten Strafraumkante, um den Ball nach Zuspiel von Serge Gnabry mit viel Übersicht in den Fünftmeterraum zu legen, wo Lewandowski mit Unterstützung von Gnabry letztlich vollstreckte.
3. Sanes perfekte Reaktion auf die Pfiffe der Bayern-Fans
Den Kopf hängen lassen oder neue Motivation schöpfen - diese zwei Optionen hatte Sane nach seinem rabenschwarzen Tag gegen Kön. Er entschied sich für Zweiteres. Laut Nagelsmann habe Sane den Schalter schon direkt nach jenem 22. August umgelegt und sowohl im Training als auch in den Spielen vor der Länderspielpause "Gas gegeben".
"Ich weiß ja, was ich abliefern kann, das hat mich auch die Spiele davor genervt", sagte Sane nach dem 7:0 gegen Bochum. "Ich wusste, ich brauche Zeit. Es ist jetzt auch nicht so, dass ich mich zurückgelehnt habe und gesagt habe: Ah ja, ich schau mal, wie es abläuft."
Sane habe sich seine Leistungsexplosion "hart erarbeitet", stellte auch Nagelsman klar. "Ich finde, er hat eine ganz extrem gute Entscheidung getroffen, ohne dass sie ihm irgendeiner mitgeteilt hat: Dass er in den Momenten, die nichts mit seinem Riesentalent zu tun haben, sich volle Kanne reinwirft, weil das dann honoriert wird und er so in gute Spielsituationen kommt."
Speziell in puncto Gegenpressing habe der Nationalspieler "unglaubliche Schritte gemacht, auch heute wieder", resümierte der 34-Jährige. Ein Beleg dafür: Sane kommt nach Angaben von Opta wettbewerbsübergreifend schon auf 25 Balleroberungen für die Bayern in dieser Saison - nur Gnabry (33) und Jamal Musiala (27) haben von allen Offensivspielern des Rekordmeisters mehr.
Spieler | Balleroberungen | davon im letzten Drittel |
Leroy Sane | 25 | 4 |
Serge Gnabry | 33 | 6 |
Jamal Musiala | 27 | 5 |
Kingsley Coman | 7 | 2 |
Thomas Müller | 23 | 9 |
Robert Lewandowski | 15 | 5 |
Eric Maxim Choupo-Moting | 7 | 3 |