In der zweiten Minute der Nachspielzeit sprintete Leverkusens Jeremie Frimpong noch ein letztes Mal die rechte Außenbahn entlang. Doch plötzlich tauchte da dieser große, schnelle Abwehrschrank auf. Niklas Süle hatte aufgepasst, grätschte den Leverkusener sauber ab. Und dann?
Szenenapplaus! Für Niklas Süle. Einen Spieler, der den FC Bayern im Sommer ablösefrei verlassen wird - ausgerechnet zu Erzrivale Borussia Dortmund. Noch vor ein paar Wochen undenkbar.
Einen Sturm der Entrüstung rief die Bekanntgabe des Transfers beim FC Bayern zwar nicht hervor. Aber einen Kampf um die Deutungshoheit darüber, warum, wieso und weshalb Süle seinen auslaufenden Vertrag beim Rekordmeister nicht verlängert, den gab es natürlich schon. Fehlende Wertschätzung hier, hohe Gehaltsforderungen und Gerüchte über mangelnde Professionalität und ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen da. Abgehakt.
Beim 1:1 gegen Leverkusen bestätigte Süle seinen persönlichen Aufwärtstrend. Umsichtig und mit gutem Auge im Passspiel, stabil in den Zweikämpfen, laut und verantwortungsbewusst beim ordnen und motivieren seiner Kollegen. Fast auf den Tag genau einen Monat nach der offiziellen Bestätigung des Wechsels durch den BVB wirkt Süle befreit. Er kämpft, er ackert, er gibt Gas. Und wirkt nicht wie einer, der längst mit seinem Noch-Arbeitgeber abgeschlossen hat und nur noch seine Zeit absitzen will. Dass er gegen Leverkusen die Kugel auch noch zum 1:0 per Volley in die Maschen drosch, passte perfekt ins Bild.
Niklas Süle: der Unverzichtbare!?
"Wenn der Spieler alles gibt, dass sein Arbeitgeber erfolgreich ist, soll er auch spielen. Du arbeitest am Ende immer noch mit dem Menschen zusammen", sagte Trainer Julian Nagelsmann vor dem Spiel. "Du kannst nicht bis Mitte Dezember predigen: 'Niki, komm, gib Vollgas', und wenn er nicht verlängert, sagen: 'Du bist ein Vollidiot, du spielst nicht mehr.' Das ergibt keinen Sinn."
Süle spielt immer, Süle spielt stabil - und sprach nach der Partie erstmals über seine Gefühlslage und richtete sich an die Fans. "Ich habe mich nicht umsonst nie öffentlich geäußert, weil ich von meinen Eltern Dankbarkeit vermittelt bekommen habe", sagte der Verteidiger bei Sky. "Ich bin dankbar, es ist nicht selbstverständlich, dass ich hier spiele, jetzt nach Dortmund wechsle und die Zuschauer trotzdem meinen Namen rufen, wenn ich eine Grätsche mache. Daran sieht man, dass ich in den letzten fünf Jahren alles gegeben habe für den Klub, alles gewonnen habe."
Wie sehr Nagelsmann den Abwehrchef braucht, zeigt auch ein Blick auf dessen Defensiv-Kollegen Dayot Upamecano. Der Franzose gewann gegen Leverkusen zwar gute 56 Prozent seiner Zweikämpfe. Gleichzeitig streute er aber teils haarsträubende Fehlpässe ein, die nur deshalb nicht zu Gegentoren führten, weil Bayers Adli vor dem Tor zu schlampig agierte. Anders als Süle wirkt Upamecano nicht befreit, sondern vielmehr noch so, als sei er auch acht Monate nach seinem rund 42 Millionen Euro schweren Wechsel aus Leipzig noch nicht so richtig angekommen in München.
Dayot Upamecano: Maschine mit Anlaufschwierigkeiten
"Es geht darum, dass wir ihm Lösungen aufzeigen. Dass er die 50:50-Entscheidungen nicht so trifft, dass er zwingend eine spielerische Lösung wählt, sondern eine einfache - um die Fehler ein bisschen runterzuschrauben und sich selbst ein besseres Gefühl zu geben", sagt Nagelsmann über den Franzosen. "Er ist eine Maschine im Verteidigen. Darauf darf er sich immer besinnen. Ich habe nichts dagegen, dass er mal einen Ball in den dritten Oberrang schießt. Da sitzt aktuell eh keiner. Das ist eine einfache Lösung, die nicht super smart aussieht. Aber es sieht auch nicht super smart aus, wenn Adli an den Pfosten schießt."
Niklas Süle hat solche Probleme aktuell nicht. Der Nationalspieler liefert weiter ab. Für den FC Bayern um Sportvorstand Hasan Salihamidzic geht es in den kommenden Wochen und Monaten auch darum, einen geeigneten Nachfolger zu finden. Der aber muss zum einen in das Gehaltsbudget passen, zum anderen sportlich eine Verstärkung sein. Keine leichte Aufgabe. Macht Süle ("Ich werde bis zum letzten Tag hier alles geben und hoffentlich noch zwei Titel holen") so weiter wie bisher, könnten Bayerns Bosse seinen Abgang noch bereuen...