Der FC Bayern im Transfer-Dilemma! Warum der FCB den BVB kopieren muss - aber eigentlich nicht kann

Von Johannes Ohr
Rekordspieler Lucas Hernandez (r. mit Dortmunds Jude Bellingham) hat das Gehaltsgefüge bei den Bayern nachhaltig verändert.
© getty

Der FC Bayern München plant einen Paradigmenwechsel bei der Transferpolitik. Die neue Strategie ähnelt der des Rivalen Borussia Dortmund, gegen den der FCB am Samstag den zehnten Bundesligatitel in Serie klarmachen kann. Doch kann das überhaupt funktionieren? Oder müssen sich die Münchner von ihrem Selbstverständnis als Titelhamster verabschieden?

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So richtig groß ist die Vorfreude bei Julian Nagelsmann offenbar nicht. Gewinnt der FC Bayern München das Topspiel der Bundesliga gegen Borussia Dortmund (Sa., 18:30 Uhr im LIVETICKER), ist der Klub bereits zum zehnten Mal in Serie Deutscher Meister - eine in Deutschland beispiellose Dominanz, die selbst in den Top 4-Ligen Europas seinesgleichen sucht.

Für Nagelsmann wäre es der erste Meistertitel seiner Karriere. Doch trotz der besonderen Situation, gegen den einzigen Verfolger und ewigen Rivalen im direkten Duell Meister werden zu können, verspürt der Trainer nur wenig Euphorie. "Die letzten zwei Wochen trüben das Stimmungsbild", sagt Nagelsmann, es gebe "viele Dinge, die mich beschäftigen".

Allen voran natürlich das Aus im Viertelfinale der Champions League gegen den FC Villarreal.

In der Bundesliga ohne Konkurrenz, in Europa in dieser Saison überraschend früh abgehängt. Nicht erst seit dem Champions League-Aus arbeiten die Bosse um den Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn an einem Plan, wie die Vormachtstellung des Vereins in Deutschland in den kommenden Jahren erhalten werden kann. Und wie die Münchener gleichzeitig auf lange Sicht mit den Top-Klubs in Europa konkurrieren können.

FC Bayern will sich dem BVB anpassen

Eine zentrale Rolle spielt dabei die Transferpolitik - in der sich der FC Bayern ausgerechnet dem BVB anpassen will. Muss sich der Rekordmeister deshalb vielleicht sogar vom Selbstverständnis verabschieden, in der Champions League jedes Jahr unter die Top-4 zu kommen?

Hintergrund: Wie der kicker berichtete, sollen künftig vielversprechende Spieler "zwischen 20 und 22 Jahren" im Fokus stehen, die in der Folge gewinnbringend verkauft werden können. Somit würde sich der deutsche Rekordmeister der Transferstrategie des BVB annähern, der in den vergangenen Jahren immer wieder Leistungsträger wie etwa Jadon Sancho entwickelte und für viel Geld weiterverkaufte.

"Es ist ein Unterschied, ob man 16- oder 17-jährige Spieler verpflichtet, sie dann drei Jahre lang ausbildet und dann als fertige Spieler Real Madrid verkauft. Oder ob man 22-, 23-jährige Spieler zu einem noch vernünftigen Preis verpflichtet, die schon in der Lage sind, mit Bayern München alles zu gewinnen, die drei bis vier Jahre bei unserem Verein bleiben und dann - um eine Re-Finanzierung von Gehälter und Ablösen zu generieren - auch wieder verkauft werden", konkretisierte Nagelsmann Ende Februar den Fokus zwar auf Spieler mit Profi-Erfahrung.

Doch nach Informationen von SPOX und GOAL umfassen die Planspiele durchaus auch den Jugendbereich. Sprich: Bayern könnte ähnlich wie Erzrivale Dortmund schon früh - und künftig noch mehr - in talentierte Nachwuchskräfte aus dem Ausland investieren, diese dann selbst zu Profis entwickeln und wieder zu verkaufen.

Und auch wenn es keiner aussprechen mag: Ungeachtet des Alters der potentiellen Neuzugänge würde sich der FC Bayern damit de facto zu einer Art hochklassigem Ausbildungs- bzw. Verkäuferverein für die absoluten Top-Klubs entwickeln. Das wäre ein grundlegendes Umdenken in der Transferstrategie.

FC Bayern: Warum die Münchner umdenken müssen

Für Bayerns Umdenken gibt es gleich mehrere Gründe - alle sind sie wirtschaftlicher Natur.

1. Die finanziellen Einbußen der Corona-Pandemie

Auch der Bundesliga-Krösus FC Bayern München musste in der Corona-Pandemie erhebliche finanzielle Einbußen verkraften. Im Geschäftsjahr 2020/2021 erwirtschaftete der FC Bayern einen Gesamtumsatz in Höhe von 643,9 Mio. Euro.

Zum Vergleich: Der Rekordmeister bewegt sich damit aktuell auf dem Niveau aus der Saison 2016/2017 (damals 640,5 Mio. Euro). Im ersten Jahr der Pandemie (2019/2020) setzten die Münchner noch 698 Mio. Euro um. Im Rekord-Geschäftsjahr 2018/19 hatte der Verein noch rund 750 Millionen Euro erlöst.

Zahlen, die verdeutlichen, dass auch der Branchenprimus den Gürtel in Zukunft etwas enger schnallen muss.

"Wir müssen schauen, dass unsere Qualität in der Mannschaft und die wirtschaftliche Komponente zusammenpassen. Wir haben weiterhin eine Pandemie und kein volles Stadion", sagte deshalb Sportvorstand Hasan Salihamidzic Ende März über die Kaderplanung beim Rekordmeister. "Es ist finanziell eine schwierige Phase, aber wir versuchen, unseren Weg zu gehen."

FC Bayern AG: Umsatzentwicklung

GeschäftsfjahrUmsatz in Mio. EuroGewinn in Mio. Euro nach Steuern
2016/2017640,539,2
2017/2018657,429,5
2018/2019750,452,4
2019/2020698,09,8
2020/2021643,91,9

2. Die Ablösesummen steigen weiter

Entgegen allen Prognosen und Demutsbekundungen aus der Branche selbst bewegen sich die Ablösesummen weltweit trotz der Corona-Pandemie weiter nur in eine Richtung: nach oben. Die Folge: Internationale Topspieler wie Kylian Mbappe oder Erling Haaland sind für den FC Bayern längst nicht mehr finanzierbar. Im Wettbieten um die besten Spieler der Welt kann der Klub nicht mehr mithalten.

"Man ist in den nächsten Jahren vielleicht nicht immer in der Lage, bei einem 27-jährigen, fertigen Profi, der vielleicht auch ein Angebot von Paris, Chelsea oder ManCity hat, mitzubieten", ließ Nagelsmann vor einigen Wochen durchblicken.

Kahn legte im Sport1-Doppelpass in Sachen Haaland letzte Woche nach: "Es wird ja oft vom Haaland-Paket gesprochen. Matthias Sammer hat das gar nicht so schlecht ausgedrückt, als er sagte, da wird einem ein bisschen schwindelig. Das sind Bereiche, die sind sehr weit weg von dem, was wir uns vorstellen".

Das Problem wird noch verschärft, wenn man sich vor Augen führt, welche Summen mittlerweile sogar für Nachwuchsspieler ausgegeben werden. Nur ein Beispiel: Für den damals 16-Jährigen Hannibal überwies Manchester United im Sommer 2020 nach Informationen von SPOX und GOAL rund 10 Millionen Euro an die AS Monaco. Marcel Sabitzer (kam als Stammspieler und Kapitän von RB Leipzig) kostete die Bayern nur fünf Millionen Euro mehr.


3. Das hohe Gehaltsniveau

Wahr ist aber auch: Einen Teil des Problems haben sich die Verantwortlichen selbst geschaffen. Denn die Gehaltskosten des Kaders sind in den vergangenen Jahren krass gestiegen. Inklusive der Spitzengehälter beliefen sich die gesamten Personalkosten im abgelaufenen Geschäftsjahr auf rund 350 Millionen Euro - wie immer der größte Ausgabenposten.

Angesprochen auf die Langeweile nach neun Meistertiteln des FC Bayern in Folge erklärte Dortmunds Boss Hans-Joachim Watzke zuletzt in Sport-Bild: "Was man sich vor Augen halten muss: Der Abstand im Gehaltsvolumen zwischen dem Tabellenersten Bayern und dem -zweiten Dortmund beträgt mittlerweile wahrscheinlich mehr als 150 Millionen Euro. Und ist damit größer als der Abstand zwischen uns und Greuther Fürth auf Platz 18."

Die Gehaltsgrenze nach oben verschoben hat vor allem Bundesliga-Rekordspieler Lucas Hernandez. Der Abwehrspieler, der bei Atletico Madrid Medien zufolge vier Millionen Euro netto bekam, gehört seit seinem Transfer im Sommer 2019 zu den Topverdienern in München und erhält Schätzungen zufolge wohl immerhin rund 17 Millionen Euro brutto.

Damit verdiente er zunächst offenbar sogar mehr als Kapitän Manuel Neuer und dessen Stellvertreter Thomas Müller vor deren Vertragsverlängerungen im Frühjahr 2020. Entsprechend groß soll vorher die Unruhe in der Kabine gewesen sein.

Die meisten Leistungsträger respektive deren Berater sollen sich seitdem in den Verhandlungen auf Hernandez' Entlohnung berufen und die 20-Millionen-Marke als Ziel gesetzt haben. Bei Spitzenverdiener Robert Lewandowski, Müller, Neuer sowie offenbar auch Joshua Kimmich scheint dies bei ihren jeweils letzten Vertragsverlängerungen gelungen zu sein. Nun schnallt Bayern aber den Gürtel enger - was unter anderem Niklas Süle zu spüren bekam, der nächste Saison beim BVB spielen wird.

Insgesamt scheint der FC Bayern damit fast schon gezwungen zu sein, seine Transferpolitik künftig neu auszurichten und - entsprechend dem Vorbild BVB - Transfererlöse zu erzielen.
Doch kann das Dortmunder Modell in München überhaupt funktionieren? Kann der Rekordmeister den Kampf um die weltweit besten Talente auf lange Sicht überhaupt gewinnen?