FC Bayern und das Sturmzentrum: Münchner Neuland

Nino Duit
19. Juli 202208:54
SPOXimago images
Werbung

Nach dem Abschied von Robert Lewandowski deutet einiges darauf hin, dass der FC Bayern München erstmals in seiner Bundesliga-Geschichte ohne prominenten Mittelstürmer in eine Saison geht. Wie lief es bisher im Sturmzentrum? Und was bringt die Zukunft?

Zum Abschied gerieten all die öffentlichen Scharmützel der vergangenen Wochen in den Hintergrund und Bayern Münchens Sportvorstand Hasan Salihamidzic schickte Robert Lewandowski noch ein paar süße Worte Richtung FC Barcelona hinterher. Der "beste Bayern-Stürmer seit Gerd Müller" sei Lewandowski gewesen, was durchaus als größtmögliches Lob überhaupt durchgeht.

Seit Gerd Müllers Abschied 1979 hatte der FC Bayern nämlich einige berühmte Stürmer und vor allem: immer mindestens einen. Nachdem der sogenannte "Bomber der Nation" den FC Bayern erst in die Bundesliga und dann auf Europas Thron geschossen hatte, übernahmen Karl-Heinz Rummenigge und Dieter Hoeneß. Es folgte Roland Wohlfarth, dem man in München nie viel zutraute, der aber trotzdem jahrelang immer weiter traf und irgendwie nicht zu verdrängen war.

Ab Anfang der 1990er-Jahre herrschte dann ein reges Kommen und Gehen mit allen möglichen Adolfo Valencias, Bruno Labbadias, Emil Kostadinovs, Jean-Pierre Papins und Jürgen Klinsmanns, ehe mit Carsten Jancker und Giovane Elber wieder Konstanz einkehrte. Es folgten Roy Makaay, Luca Toni und Miroslav Klose, Mario Gomez und Mario Mandzukic, alle echte und torgefährliche Mittelstürmer.

Seit 2014 ist das Sturmzentrum das Revier von Robert Lewandowski, der insgesamt 344 und allein in der vergangenen Saison 50 Pflichtspieltore geschossen hat. Jetzt ist er weg, was nun?

Der FC Bayern München betritt vermutlich Neuland

Die einzigen verbliebenen Mittelstürmer im Kader sind Eric Maxim Choupo-Moting und Joshua Zirkzee. Beide sind keine potenziellen Stammspieler, Zweiterer könnte den FC Bayern womöglich noch verlassen.

Ein standesgemäßer Lewandowski-Nachfolger wie Cristiano Ronaldo oder Harry Kane wird in diesem Sommer wohl nicht mehr kommen. Diese und andere Namen wurden in den vergangenen Wochen dem Vernehmen nach zwar intern diskutiert, jedoch allesamt als nicht finanzierbar oder unpassend eingestuft. Womöglich ändert sich das nächstes Jahr. Akutes Interesse besteht aktuell lediglich am 17-jährigen Mathys Tel von Stade Rennes. Er soll rund 25 Millionen Euro kosten und wäre wohl eher keine Soforthilfe, sondern eine Investition in die Zukunft.

Aller Voraussicht nach betritt der FC Bayern in der anstehenden Saison also Neuland: Nach aktuellem Stand stünde erstmals seit dem Bundesliga-Aufstieg kein prominenter Mittelstürmer mit Potenzial zum Stammspieler im Kader. Vergleichswerte von internationalen Topklubs gibt es diesbezüglich kaum. Selbst als der FC Barcelona um 2010 mit der falschen Neun Lionel Messi brillierte, hatte Trainer Pep Guardiola einen Thierry Henry, David Villa oder Zlatan Ibrahimovic zumindest in der Hinterhand. Genau so war es in der vergangenen Saison bei Manchester City mit Gabriel Jesus.

FC Bayern: Offensivallrounder sollen Lewandowski ersetzen

Beim FC Bayern soll das Sturmzentrum bis auf weiteres flexibel von all den verfügbaren Flügelstürmern und Zehnern besetzt werden. Trainer Julian Nagelsmann denkt nach Informationen von SPOX und GOAL diesbezüglich in erster Linie an Sadio Mane, er füllte diese Rolle zuletzt auch schon beim FC Liverpool aus.

Zweiter Kandidat dürfte Serge Gnabry sein, der bei der TSG Hoffenheim unter Nagelsmann sowie in der Nationalmannschaft schon im Sturmzentrum gespielt hat. Gnabry wünscht sich generell mehr Spielanteile im Zentrum, womöglich war diese Aussicht ein Mitgrund für seine Vertragsverlängerung bis 2026. Außerdem im Angebot: Thomas Müller, Leroy Sane, Jamal Musiala und Kingsley Coman.

Die Verantwortungsträger um Salihamidzic, Vorstandsboss Oliver Kahn und Trainer Julian Nagelsmann erachteten es als sinnvoller, viel Geld in den neuen Innenverteidiger Matthijs de Ligt zu investieren als in einen womöglich nicht rundum passenden Lewandowski-Nachfolger. Dass sie dessen Abschied ohne direkten Ersatz nun eher als Chance, denn als Gefahr verkaufen, überrascht also nicht.

"Wenn ich der gegnerische Trainer wäre, würde ich mir schon Gedanken machen, wer da wo spielt. Wir haben viel Flexibilität, da kannst du für viele Überraschungsmomente beim Gegner sorgen", sagte beispielsweise Kahn. Salihamidzic sieht die Offensive auch ohne prominenten Mittelstürmer "sehr gut aufgestellt", sprach gar von "einer Befreiung" für die übrige Belegschaft. Seinen Eindrücken zufolge fühle sich Nagelsmann "mit dem jetzigen Personal ziemlich wohl".

Nagelsmann nicht vollends zufrieden mit Lewandowski

Tatsächlich rumorte es zwischen Nagelsmann und Lewandowski in der vergangenen Saison beträchtlich. Der Stürmer sorgte mit seinem Verhalten im Training gelegentlich für Unmut, darüber hinaus schränkte er die Mannschaft taktisch ein. Die Ausrichtung war vollends auf Lewandowski zugeschnitten, was trotz seiner 50 Pflichtspieltore nach Ansicht Nagelsmanns zu wenig Ertrag brachte.

Von seinen Stationen in Hoffenheim und Leipzig als Taktik-Tüftler bekannt, hat Nagelsmann bei der Mannschafts-Zusammenstellung künftig deutlich weniger Zwänge. Als Alternative zum beim FC Bayern etablierten 4-2-3-1 könnte das von ihm vor allem in Hoffenheim angewandte 3-5-2 künftig regelmäßiger zum Einsatz kommen. Für dieses System spricht auch, dass Nagelsmann mit Noussair Mazraoui für die rechte Seite nun ein Schienenspieler-Pendant zu Alphonso Davies zur Verfügung hat.

FC Bayern: Mittelstürmer nicht immer erfolgreichste Schützen

Eine Mannschaft ohne prominenten Mittelstürmer wäre zweifelsohne ein Risiko für die Kaderplaner Kahn und Salihamidzic, aber auch für Trainer Nagelsmann. Seine taktischen Fähigkeiten stehen ohne den verlässlichen Torgaranten Lewandowski mehr denn je auf dem Prüfstand. Es gibt viel zu verlieren, aber auch etwas zu gewinnen - und vor allem zu beweisen: Es geht ohne!

Die Thematik beschäftigt auch die Mannschaft, wie Leon Goretzkas jüngste Aussagen belegen. "Der Verein stand immer für einen Fußball mit einer klaren Nummer 9, manchmal sogar mit zwei Mittelstürmern", sagte der derzeit verletzte Mittelfeldspieler der SportBild. "Der FC Bayern ist eine Mannschaft, die sehr oft im gegnerischen Strafraum ist. Da helfen auch heute noch Knipser-Qualitäten auf engstem Raum."

Gleichzeitig verwies Goretzka aber auf all die aktuell verfügbaren Weltklassespieler im Offensivbereich. Und überhaupt: Obwohl der FC Bayern historisch gesehen immer über prominente Mittelstürmer verfügte, sorgten sie zwar automatisch für Strafraumpräsenz, nicht aber für Torreigen.

1994 und 1995 war beispielsweise zweimal in Folge Regisseur Mehmet Scholl der gefährlichste Münchner Torschütze, in der ersten Saison sprang trotzdem der Meistertitel heraus. Als der FC Bayern 2009/10 unter Louis van Gaal ganz knapp am Triple vorbeischrammte, landete Gomez im klubinternen Torschützen-Ranking nur auf Platz vier. Und als es drei Jahre später schließlich klappte, war Thomas Müller der gefährlichste Torschütze.

FC Bayern: Sommerfahrplan im Überblick

DatumGegnerAustragungsortWettbewerb
Mittwoch, 20. JuliD.C. UnitedAudi Field, Washington D.C. (USA)Testspiel
Samstag, 23. JuliManchester CityLambeau Field, Green Bay (USA)Testspiel
Samstag, 30. JuliRB LeipzigRed Bull Arena, LeipzigSupercup