FC Bayern München: "Es gibt Haaland, Mbappé und Kane. Das war's!" - FCB-Wunschspieler sogar besser als Lewandowski?

Von Justin Kraft, Marcus Blumberg
Harry Kane zum FC Bayern München? Der Engländer bringt reihenweise Stärken mit - aber an einem Punkt dürften die Münchner ins Zweifeln kommen.
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Der FC Bayern ist auf der Suche nach einem Mittelstürmer nun offenbar wieder beim englischen Starstürmer Harry Kane gelandet und soll seinem aktuellen Klub bereits ein erstes Angebot unterbreitet haben. Doch wäre er die Lösung aller Probleme beim Rekordmeister?

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Bereits vor mehr als einem Jahr galt Harry Kane als Wunschspieler des FC Bayern für die Nachfolge von Mittelstürmer Robert Lewandowski. Doch Tottenham Hotspur verhinderte einen Wechsel seiner Klublegende. Die Schmerzgrenze von mindestens 100 Millionen Euro Ablöse wollte kein Klub bezahlen, vor allem nicht der FC Bayern München. Noch im Frühjahr bezeichnete Bayern Münchens Ehrenpräsident Uli Hoeneß die Ablöseforderung für den 29-Jährigen als "gaga".

Daher beschäftigten sich die Münchner in diesem Jahr erst mal mit anderen Spielern. Victor Osimhen (SSC Neapel), Randal Kolo Muani (Eintracht Frankfurt) oder Dusan Vlahovic (Juventus) etwa. Doch auch die wären nicht unbedingt günstiger zu haben als Kane beziehungswiese scheinen bisher einem Wechsel nach München und in die Bundesliga nicht allzu offen gestanden zu haben. Nun soll nach nach der Entlassung der Vorstände Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic in der neuen Transfer Task-Force um die Aufsichtsräte und früheren Klub-Bosse Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, dem neuen Vorstandschef Jan-Christian Dreesen, Trainer Thomas Tuchel und Salihamidzics ehemaligem Assistenten Mario Neppe vor allem ein Spieler nach Informationen der Süddeutschen Zeitung tatsächlich alle begeistern: Harry Kane.

Bayern soll sich mit Kane sogar schon einig sein, meldeten am Dienstag mehrere Insider übereinstimmend. Mehr noch: Kane soll sich mit den Münchnern auf einen Wechsel verständigt haben, so denn ihn sein Klubbesitzer Daniel Levy ein Jahr vor Vertragsende gehen ließe. Bayerns Hoffnung: Levy würde Kane lieber für etwas weniger Geld ins Ausland ziehen lassen als ihn für etwas mehr (also mindestens 100 Millionen Euro) an einen Premier-League-Rivalen abzugeben - etwa an Manchester City oder Manchester United. Weiterer Unterschied zu vergangenem Jahr: Tottenham verpasste die Qualifikation für die Champions League, Kane sehnt sich danach, endlich Titel zu gewinnen. Die Chancen, dass es diesmal klappt mit Bayern und Kane - auch für eine Ablöse unter 100 Millionen Euro - sie scheinen nicht mehr so schlecht.

Der Engländer schießt für Tottenham seit vielen Jahren zuverlässig Tore. In 435 Pflichtspielen traf er 280-mal und bereitete 64 Treffer vor. Doch wäre der 1,88 Meter große Stürmer tatsächlich die Lösung für die derzeitigen Probleme des deutschen Serienmeisters? Auch da spricht einiges dafür.

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FC Bayern: Die Kane-Chronologie - was ist dran?

"Er ist ein brillanter Spieler, einer der besten Stürmer der Welt", adelte Ex-Bayern-Coach Julian Nagelsmann den 29-Jährigen im vergangenen Sommer. Damals berichteten erste Medien davon, dass die Münchner Interesse am Kapitän der englischen Nationalmannschaft hätten. "Ich kenne den genauen Preis nicht, aber es ist sehr hart für Bayern", gab der FCB-Coach gleichermaßen zu: "Wir werden sehen, was in der Zukunft passiert."

Sport1 berichtete von einem astronomischen Finanzpaket im dreistelligen Millionenbereich. Ganz vom Tisch scheint die Geschichte dennoch nicht zu sein. Denn Kanes Vertrag bei den Spurs läuft 2024 aus. Im kommenden Sommer hat Tottenham also die letzte Möglichkeit, eine hohe Ablösesumme zu kassieren.

Sky bezeichnete Kane sogar als "Transferziel Nummer eins" des FCB und es habe sogar schon einen ersten Kontakt gegeben. Der Stürmer könne sich demnach vorstellen, nach München zu wechseln.

Und auch die Bild berichtete damals davon, dass Bayern dem Engländer geraten habe, seinen Vertrag in Nord-London nicht voreilig zu verlängern. Denn das große Ziel von Tottenham ist es, das Arbeitspapier um weitere Jahre zu erweitern. Im Januar allerdings hatte Hoeneß noch erklärt, dass Kane für den FC Bayern nicht zu bezahlen sei.

Die nun angeblich erfolgte Einigung mit Kane widerspricht zwar der damaligen Einschätzung des Aufsichtsrats, unterstreicht jedoch die sonstigen Meldungen nur.

Bleibt die große Frage: Passt Harry Kane überhaupt zum Rekordmeister?

FC Bayern: Ist Harry Kane das fehlende Puzzleteil?

Für Michael Reschke, den früheren Technischen Direktor des FC Bayern München, der heute für eine große Spielerberatungsagentur arbeitet, ist die Sache Klar. Kane sei eine "Voll-Granate", er gehöre zu den drei besten Stürmern der Welt, sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Es gibt Haaland, Mbappé und Kane. Das war's." Moment: Kane besser als Lewandowski?

Ein Blick auf die oberflächlichen Zahlen (Quelle: FBref) genügt, um zumindest mal Nagelsmanns alte These zu stärken, dass Kane wohl auch in der Bundesliga viele Tore schießen würde. Selbst in der Saison 2021/22, die für den Rechtsfuß Höhen und Tiefen hatte, kam er auf 0,47 Tore und 0,25 Assists pro 90 Minuten. In der abgelaufenen Spielzeit stand er durchschnittlich bei 0,79 Treffern und 0,08 Vorlagen.

Harry Kane und Robert Lewandowski im Datenvergleich

Statistik pro 90 Minuten (nur Liga)Kane 21/22Kane 22/23Lewandowski 21/22
Tore0,470,791,07
Assists0,250,080,09
Expected Goals (xG)0,560,571
Expected Assists (xA)0,250,180,17
Schüsse3,653,284,8
xG pro Schuss0,150,130,21
Tore pro Schuss0,120,200,22

An Robert Lewandowski kommt er damit nicht heran, aber Kane ist dennoch ein sehr abschlussstarker Spieler, der regelmäßig seine Expected-Goals-Werte übertrifft. Was oft fälschlicherweise als "Überperformance" abgetan wird, ist im Gegenteil auf Dauer ein Merkmal großer Klasse. Denn Expected-Goals-Modelle ermitteln aus einer Vielzahl an vergleichbaren Abschlüssen auf der ganzen Welt eine durchschnittliche Torwahrscheinlichkeit für einen Schuss. Dass Weltklasse-Spieler überdurchschnittlich sind, sollte nicht überraschen.

Kane ist definitiv überdurchschnittlich. Dass er in der Diskussion um die besten Stürmer der Welt oft keine oder nur eine kleine Rolle spielt, liegt maßgeblich an seinem Umfeld. Tottenham zählt nicht zu den Top-Klubs in Europa. Die Spurs hatten in den letzten Jahren gute und schlechte Phasen, nahmen 2019 sogar am Champions-League-Finale teil. Einen Titel gewannen sie aber nicht. Für jeden Spieler der Welt wäre es eine große Herausforderung, derart konstant Tore und Torvorlagen zu liefern, wie es Kane seit Jahren macht. Aber er kommt eben nicht auf jene Quoten, die bei einem Top-Klub vielleicht eher möglich wären.

Für den Spieler würde es dementsprechend Sinn ergeben, seine vielleicht letzte große Chance auf einen Wechsel zu einem großen Klub zu nutzen. Der FC Bayern wäre nicht nur wegen der vakanten Neunerposition im Kader eine Top-Adresse, sondern auch wegen der bisher in jedem Jahr guten Chancen, international lange im Wettbewerb vertreten zu sein.

Harry Kane steht noch bis 2024 bei Tottenham Hotspur unter Vertrag.
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Harry Kane: Ein unterschätzter Spielmacher

Fußballerisch könnte Kane auch deutlich mehr anbieten als nur die reine Torquote. Wegen seiner Statur und seinen oftmals etwas schwerfällig wirkenden Bewegungen wird der Stürmer oft in die Schublade des reinen Zielspielers gesteckt, der mit Flanken und Pässen gefüttert werden muss.

Zudem ist Kane nicht gerade schnell, was es in offensiven Umschaltsituationen erschweren würde, ihn in entsprechende Abschlusspositionen zu bringen. Aber der gebürtige Londoner ist ein unterschätzter Spielmacher. In den letzten Jahren hat er sich zunehmend vom Abschlussspieler zum mobilen Angreifer entwickelt. Er weicht häufig in die Halbräume aus oder lässt sich ins Mittelfeld fallen, um sich an der Ballzirkulation zu beteiligen, Gegenspieler zu binden und so Räume für Mitspieler zu öffnen.

Kane kann Bälle festmachen, sie kontrollieren und solide weiterverteilen. Er ist dahingehend sogar aktiver ins Spiel eingebunden als es Lewandowski in München war. Der Vize-Europameister spielte in den letzten Monaten mehr Pässe mit einem vertikalen Raumgewinn von mindestens neun Metern, er hat durchschnittlich mehr Ballkontakte und von diesen auch mehr im Mittelfeld. Außerdem spielt er fast fünfmal so viele Schnittstellenpässe im Vergleich zum Polen.

Harry Kane und Robert Lewandowski im Datenvergleich

Statistik pro 90 Minuten (nur Liga)Kane 21/22Kane 22/23Lewandowski 21/22
Pässe (erfolgreich)26,5 (18,4)24,4 (17,0)23,5 (18)
Pässe mit Raumgewinn > 9 m3,264,761,71
Vertikaler Raumgewinn103,5 m105,1 m46,7 m
Schnittstellenpässe0,610,530,12

In den meisten Statistiken (Quelle: FBref), die nicht mit Abschlüssen, Toren oder dem gegnerischen Strafraum zu tun haben, hat Kane höhere Werte anzubieten als Lewandowski. Vor allem deshalb, weil er bei Tottenham weiträumiger eingesetzt wird als der Pole in München.

Harry Kane: Hier sollte der FC Bayern genauer hinschauen

Die Daten zeigen, dass der Engländer deutlich vielseitiger ist als ihm oft unterstellt wird. Sollte er zum FC Bayern wechseln, bestünde die größte Herausforderung dennoch darin, mit deutlich weniger Raum zurechtzukommen. Nicht nur ist das Pressing in der Bundesliga qualitativ ein anderes als in England, sondern auch die Spielweise der Münchner wäre für Kane eine große Umstellung.

Harry Kane und Robert Lewandowski im Datenvergleich

Statistik pro 90 Minuten (nur Liga)Kane 21/22Kane 22/23Lewandowski 21/22
Ballkontakte38,635,136,7
Ballkontakte im Mittelfelddrittel17,617,114,9
Ballkontakte im Angriffsdrittel17,815,821,9
Ballkontakte im gegnerischen Strafraum4,744,428,35
Dribblings (erfolgreich)2,79 (1,50)2,86 (1,06)1,99 (1,04)

Unter Thomas Tuchel spielten die Münchner bislang kaum mit echtem Mittelstürmer, weil schlicht keiner da war - Eric Maxim Choupo-Moting war in der kurzen Zeit seit Tuchels Amtsübernahme meist verletzt, sodass etwa Thomas Müller oder Serge Gnabry an vorderster Front versucht wurden. Dennoch ist Tuchels Spiel in der Regel auf Ballbesitz und -kontrolle ausgelegt. Zudem stehen gegnerische Mannschaften gegen den FCB meist sehr tief. Ein Mittelstürmer würde vorne im Strafraum also wie gehabt beim FC Bayern nur wenig Platz haben, sich zu entfalten.

Und dass Kane beispielsweise mehr Mittelfeldkontakte hat oder er mit seinen Pässen mehr vertikalen Raumgewinn erzeugt als Lewandowski, liegt auch daran, dass Tottenham seltener gegen tief gestaffelte Abwehrketten spielen muss und sich insgesamt mehr auf die offensiven Umschaltmomente konzentrieren kann. Kane müsste seine Spielmacherqualitäten also dann auch deutlich häufiger gegen tief gestaffelte Gegner zeigen - und damit tat er sich in der Vergangenheit durchaus schwer.

Kane hat dennoch einige Qualitäten, die den Bayern gerade ganz offensichtlich fehlen. Es würde primär gar nicht darum gehen, dass er die Tore von Lewandowski im Alleingang auffangen kann. Vielmehr wäre er mit seinen Fähigkeiten als robuster und mobiler Stürmer ein Mehrwert, indem er Bälle festmacht und Schnittstellen für die restlichen Angreifer öffnet, weil er Gegenspieler bindet. Auch seine Kopfballstärke würde das Bayern-Spiel wieder etwas variabler machen.

Kanes Vorzüge sind für den FC Bayern verlockend. Gleichwohl spielen die Zweifel daran eine Rolle, ob er im engmaschigeren Positionsspiel der Münchner funktionieren kann. Insbesondere mit Blick auf die finanziellen Kehrseiten.

Harry Kane, Tottenham Hotspur
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FC Bayern: Die finanziellen Kehrseiten des Harry Kane

So gilt Daniel Levy als harter Verhandlungspartner. Der Präsident ist nicht gerade dafür bekannt, jemandem einen Gefallen zu tun. Schon als Kane 2021 zu Manchester City wechseln wollte, blieb der 60-Jährige konsequent bei seiner Entscheidung, ihn zu halten. Er lässt sich dabei nicht unter Druck setzen.

Dementsprechend dürfte der Preis für Kane auch 2023 sehr hoch sein. Angesichts der Tatsache, dass der Stürmer im Juli 30 wird, müssen die Bayern also gut überlegen, ob der sportliche Mehrwert ausreicht, um die notwendigen Ausgaben zu rechtfertigen. Das angesprochene Angebot in Höhe von 70 Millionen Euro plus Boni soll er laut englischen Medien sogar schon abgelehnt haben.

Was in jedem Fall nach der schwierigen Saison 2022/23 aber klar sein dürfte, ist, dass die Münchner dringend einen neuen Topstürmer brauchen, um sich selbst das Leben leichter zu machen und wieder mehr gewohnte Struktur ins Angriffsspiel zu bringen. Deshalb soll an der Säbener Straße mit einer verbesserten Offerte auch ein weiterer Versuch unternommen werden, Kane loszueisen.