Am Anfang stand der Schmerz. Für eine Weile war sogar nicht mehr an Fußball zu denken. Als 15-Jähriger war er in wenigen Monaten fast zehn Zentimeter in die Höhe geschossen, die Wachstumsschübe hatten unerträgliche Rückenschmerzen zur Folge.
"Ich konnte kaum laufen", sagt er über die schlimmste Zeit seines Lebens. Das war 2004. Sechs Jahre später sprintet Gareth Bale die Seitenlinien der Premier League und Champions League rauf und runter, als ob es kein Morgen gäbe.
Es ist sicherlich nicht die Geschichte eines medizinischen Wunders. Keine Story, die man sich am Kaminfeuer erzählt. Aber es ist die bemerkenswerte Geschichte eines jungen Fußballers, der Schicksalsschläge mit Leichtigkeit zu überwinden scheint und gestärkt daraus hervor geht. Immer das Ziel vor Augen, einmal zu den Besten der Welt zu gehören. Wenn er das nicht schon tut.
So gut wie Messi?
"Ich bemesse Spieler anhand von drei Kategorien: Einstellung, Intelligenz und Können - er ist in allen dreien herausragend", sagt Brian Flynn, und der muss es wissen. Der Waliser coacht seit 2004 die U 21 seines Landes, für die Bale 13-mal auflief, und ist seit kurzem auch Interimscoach der A-Nationalmannschaft.
Laut Flynn könne man Bale vom Potenzial her ruhig mit einem gewissen Lionel Messi vergleichen: "Die Zeit wird das zeigen. Er ist erst 21. Messi ist 23 - in zwei Jahren sehen wir, ob Gareth dieses Level erreicht."
Bales Vereinstrainer Harry Redknapp sieht das ähnlich und erklärte seinen Linksaußen vor kurzem für unverkäuflich.
"Ich habe gelesen, dass Bale sich mit seinen Leistungen für andere Klubs interessant gemacht hat. Auch für Real Madrid. Aber eines ist klar: Ich lasse Gareth nirgendwo hingehen", sagte Redknapp resolut. Ende der Durchsage.
Durchbruch kurz vor dem Rauswurf
Aber zurück auf Anfang. Als Bale acht Jahre alt ist, fällt einem Scout des FC Southampton auf dem Bolzplatz ein für sein Alter ungeheurer präzise spielender Linksfuß auf. Der Junge wird ohne Zögern ins Nachwuchsprogramm des Vereins aufgenommen. Als der pubertierende Bale Jahre später seine Rückenprobleme überwindet und sich mit seinem Körper wieder zurecht findet, wird er im Leistungszentrum mit einem gewissen Theo Walcott in ein Doppel-Zimmer gesteckt.
Southamptons Nachwuchschef Malcolm Elias erinnert sich im Gespräch mit dem "Guardian" noch genau an Bales Durchbruch bei einem Jugendspiel in Norwich im Januar 2005, vor dem Bale paradoxerweise kurz davor stand, aus dem Team zu fliegen. "Nach seinen vielen Verletzungsproblemen war es einfach wahnsinnig schwer, ihn richtig einzuschätzen - er konnte bis dato nie zwei Spiele hintereinander absolvieren", erzählt Elias.
Bei besagtem Spiel in Norwich erzielte Walcott dann einen Hattrick. Die eigentliche Sensation aber war Bale, der unglaublich abgeklärt spielte und keinen Fehler machte. "Die Charakterstärke, die er an diesem Nachmittag an den Tag legte, überzeugte jeden im Verein davon, dass er für ein Stipendium geeignet ist. Dieses Spiel war der Wendepunkt", berichtet Elias.
Schlitzohr Redknapp besiegt den Bale-Fluch
Von da an geht es erstmal steil bergauf. Nur eineinhalb Jahre später löst Bale mit 16 Jahren und 295 Tagen Ryan Giggs als jüngsten walisischen Nationalspieler ab, wenige Monde später folgt er Walcott nach London und wechselt für angeblich nur fünf Millionen Pfund zu Tottenham Hotspur. Beide Vereine schweigen sich bis heute darüber aus, wie hoch die Ablöse wirklich war.
Dann schlägt die Seuche wieder zu. Nach drei Toren in fünf Spielen für die Spurs reißen Bänder in Bales rechtem Sprunggelenk - zwei Operationen und acht Monate Pause sind die Folge. Als er wieder spielen kann, wird ihm von der Presse ein Fluch angedichtet, weil Tottenham in Bales ersten 24 Premier-League-Einsätzen kurioserweise nie als Sieger vom Platz geht.
Es ist Bales Glück, dass der junge Spieler in dieser schweren Phase mit Harry Redknapp eine Vaterfigur hinter sich weiß. Der macht dem Zauber am 7. Spieltag der vergangenen Saison kurzerhand ein Ende, indem er Bale gegen Burnley beim Stand von 4:0 kurz vor Schluss einwechselt, obwohl der Linksaußen zuvor alle Spiele wegen einer Knieverletzung verpasst hatte und noch nicht mal richtig fit war. Der Fluch war damit beendet.
"Es war einfach eins dieser abgefahrenen Dinge, die im Fußball nun mal passieren", sagt Bale heute und lacht darüber. "Damals hat es mich schon geärgert, dass die Leute nur auf diese Statistik geschaut haben. Mein Spiel hat das aber nicht beeinflusst", sagt er im Rückblick.
"Er braucht zwei gute Jahre"
Vaterfigur Redknapp kann aber auch anders, wenn es sein muss. Als Bale in der vergangenen Spielzeit wieder mal angeschlagen das Training abbrach, sprach Redknapp Tacheles und unterstellte seinem Youngster, er würde immer aufstecken, wenn er was auf die Hölzer bekommt.
Bale nahm es sich zu Herzen. "Ich musste auf jeden Fall härter werden, aber das kommt mit dem Alter", sagt er heute. "Ich bin immer noch sehr jung. Aber ich bin in den letzten Jahren erwachsener geworden. Ich habe gelernt, was zu lernen war. Und ich habe kapiert, welche physischen Anforderungen die Premier League an mich stellt."
Im April schlugen die Spurs binnen drei Tagen Arsenal und Chelsea zuhause mit 2:1, Bale erzielte jeweils das 2:0 und überragte auf dem Platz. Redknapp meinte hinterher, sein Schützling wäre "mental stärker" als jemals zuvor, müsse sich aber weiter steigern. "Er hatte jetzt ein paar gute Monate bei uns, er braucht aber zwei gute Jahre", meinte der Coach damals. "Dann fangen wir an, darüber zu reden, ob er der beste Linksaußen in der Liga ist."
Gala gegen Inter
Seit dem 2. Januar hat Bale kein Spiel mehr verpasst, stand immer in der Startelf. Anfang November hatte Bale in den zwei Champions-League-Duellen mit Inter Mailand (3:4/3:1) endlich auch sein internationales Coming Out. Gegen den Champion steuerte Bale in zwei Spielen drei Tore und zwei Assists bei - und die Presse überschlug sich beinahe.
"Bale hat aus Maicon Asphalt gemacht, und der ist nicht unbedingt der schlechteste Rechtsverteidiger der Welt", meinte die "Gazzetta dello Sport" ehrfurchtsvoll. Die spanische "El Mundo" sah in Bale hingegen den Prototypen des kompletten Athleten. "Er kombiniert den Körper eines 800-m-Läufers mit der Schnelligkeit und Zielstrebigkeit eines Rugby-Flügelspielers. Dazu flankt er wie ein Brasilianer", meinte das Blatt entzückt: "Fragen Sie mal Maicon, wie er darüber denkt."
Bale selbst bekannte nach dem Sieg im Rückspiel, dass es ohne Zweifel sein bestes Spiel als Profi gewesen sei. Sein Fokus liegt aber auf etwas anderem. "Wir spielen nicht Champions League, um gute Statistiken abzuliefern. Wir sind hier, um was zu erreichen."
Neuer Vertrag unterschriftsbereit
Vielleicht ist es ja ganz gut, dass Bale einen walisischen und keinen englischen Pass hat und "nur" bei Tottenham spielt und nicht bei Chelsea oder Arsenal. Als sein Kumpel Walcott am 2. Spieltag einen Hattrick erzielte, sah Bale die Sendung "Match of the Day" und wunderte sich darüber, dass Walcott vorgeworfen wurde, außer seinen drei Toren nur wenig zum Spiel beigetragen zu haben.
Die Erwartungen im Mutterland des Fußballs sind nun mal hoch. Zu hoch? "Die Leute vergessen manchmal, wie jung wir noch sind und erwarten trotzdem viel von uns", sagte Bale über die Walcott-Episode. "Aber wir wissen schon, wie wir damit umgehen."
Derzeit scheint der 21-Jährige trotz aller Avancen fremder Klubs nicht den Kopf zu verlieren. Von der "BBC" wurde er vor kurzem gefragt, ob er denn gedenke, seinen bis 2014 gültigen Vertrag zu erfüllen. "Ja", antwortete Bale und sah dabei nicht aus, als ob er darüber groß nachdenken müsse.
"Wieso soll ich auch woanders spielen", wurde er später in der "Sun" zitiert. "Viele Spieler im Verein haben langfristige Verträge, das sorgt für Stabilität im Team. Und wir haben gegen Inter gezeigt, dass wir auf der großen Bühne mithalten können - warum sollte also jemand wechseln wollen?" In der Tat, ein gutes Argument.
Tottenham ist auch gerne bereit, den Mann, der schon viele Rückschläge verkraften musste, anständig zu entlohnen. Laut Medienberichten soll ihm bereits ein verbesserter Vertrag mit einer Laufzeit bis 2016 unterschriftsbereit vorliegen. Wochengage: 50.000 Pfund. Nicht schlecht für einen 21-Jährigen, der vor sechs Jahren zeitweise nicht mal laufen konnte.
Gareth Bale im Steckbrief