Unai Emery: Pragmatisch, praktisch, gut

Von Haruka Gruber
Ein klassischer Emery: Kaum ein Trainer steht während den 90 Minuten derartig unter Strom
© Getty

Cuper, Benitez, Flores - Valencia hat in der letzten Dekade viele Top-Trainer "produziert". Der Neueste in dieser illustren Reihe: Unai Emery. Ein Mann irgendwo zwischen Spieler und Trainer, Taktikfuchs und Rumpelstilzchen, Tiki-Taka und Ergebnisfußball. Seine Gegner sagen: Er kann sich nur selbst stoppen!

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Es erinnert entfernt an Figuren aus dem Eiskunstlauf - nur dass Unai Emerys Bewegungen gänzlich das Grazile abgeht und vielmehr ein Ausdruck einer hektischen Rastlosigkeit ist.

"El Arquero" (der Bogenschütze), "El Avion" (das Flugzeug) oder "El Agente de Trafico" (der Verkehrspolizist): Ein spanischer TV-Sender machte sich jüngst einen Spaß, filmte den Trainer des FC Valencia während eines Ligaspiels und untertitelte Emerys Zappeligkeit mit passenden Beschreibungen.

Auch sehenswert: "Rocky". Vor lauter Erregung versetzt Emery einem Mitarbeiter einen derart heftigen Stoß, dass seine sonst so akkurat sitzende Krawatte verrutscht. (Hier geht's zum Video!)

Die Angst vor dem Versagen

Vermutlich verspricht auch während des Champions-League-Rückspiels beim FC Schalke 04 (Hinspiel: 1:1) ein Blick auf Valencias Bank Kurzweile, immerhin verhält sich kaum ein Trainer 90 Minuten lang derart aufgeregt wie Emery.

Dabei ist der erste Eindruck ein anderer. Mit den gegelten Haaren, dem perfekt sitzenden Anzug und der obligatorischen Krawatte wirkt der 39-Jährige zunächst wie der Prototyp des abgeklärten Fußball-Yuppies, nach dem Anpfiff jedoch "wird seine Angst vor dem Versagen deutlich", wie es Ricardo Moar formuliert. "Deswegen verhält er sich auch immer so nervös und unsicher. Das sollte er aber in den Griff bekommen, wenn er irgendwann zu den Top-Trainern Europas gehören will. "

Moar: "Er wird ein Großer"

An Emerys Befähigung dürfe jedoch keiner zweifeln, sagt La Corunas Sportdirektor. Moar: "Er wird sich nur selbst stoppen können. Als Trainer bringt er alles mit, er wird ein Großer."

Sollte es so kommen, wird er die illustre Reihe von talentierten Coaches fortsetzen, denen der entscheidende Schritt der Karriere in Valencia gelang. Angefangen hatte es Ende der 90er Jahre mit Hector Cuper, später wechselte sein Nachfolger Rafael Benitez zum FC Liverpool, auch Quique Sanchez Flores gehört zu den Etablierten, auch wenn sein Engagement bei Atletico Madrid durchwachsen verläuft.

Neue Generation in Valencia

"Das in Valencia traditionell vielen jungen Trainern der Durchbruch gelingt, ist kein Zufall, sondern hat strukturelle Gründe", erklärt Gerhard Poschner, bis 2010 Generaldirektor in Saragossa. "Der Klub besetzt eine Nische: Er ist zwar ambitioniert, aber nicht groß genug, um für Star-Coaches interessant zu sein. Von daher setzt Valencia zwangsläufig auf die neue Generation."

Nach dem fehlgeschlagenen Experiment mit Ronald Koeman, der Sanchez Flores beerbte, war es im Sommer 2008 entsprechend wenig überraschend, dass Valencia zu seinen Wurzeln zurückkehrte und die Wahl auf Emery fiel.

Die Liebe zum Coaching

Schon früh ahnte Emery, dass ihn das Leben als Profi nicht erfüllt. Er stammt zwar aus einer bekannten Fußballer-Familie, doch alleine die Tatsache, dass sein Opa, sein Vater und sein Onkel allesamt Torhüter waren, er jedoch Mittelfeldspieler wurde und sein Talent bereits in der 2. Liga an die Grenzen stieß, ließ Emery vermuten, dass sein Sinn ein anderer sein muss als selbst zu kicken.

Er begann parallel zur aktiven Karriere mit der Trainerausbildung und entdeckte die wahre Passion. "Ich habe früh gemerkt, dass das Coaching meine Liebe für den Fußball viel besser widergespiegelt hat als das Spielen. Das Coaching steckt ganz tief in mir drin", sagt Emery.

"Ich weiß noch, dass er schon als Profi andauernd über Taktik gesprochen hat", erinnert sich Moar. "In Spanien ist das unter Fußballern nicht unbedingt üblich, weil man sofort als Wichtigtuer und Besserwisser abgestempelt wird, aber das hat Emery nie gestört."

Tiki-Taka in Almeria

Als mitten in der Saison 2004/05 beim Zweitligisten Lorca der Trainer entlassen wurde, ergab sich die ersehnte Möglichkeit: Emery wurde als 32-Jähriger vom Spieler zum Chefcoach befördert und führte den Dorfklub beinahe zum Primera-Division-Aufstieg.

2006 ging er zum Zweitliga-Konkurrenten Almeria, ein Jahr darauf spielte der Verein bereits in der Primera Division, wo Emerys Team trotz eines Mini-Budgets auf Rang neun landete. Doch weniger die Platzierung als vielmehr die Art und Weise, wie der damals 35-Jährige Fußball spielen ließ, war der Grund dafür, dass ihn Valencia im Sommer 2008 als neuen Trainer vorstellte - als jüngsten Chefcoach der Klubgeschichte.

"Almeria hatte keine Stars, aber der Fußball war zum Zungeschnalzen. Man hat deutlich gesehen, dass sich Emery am FC Barcelona orientiert", sagt Moar. Emery selbst sagt: "Ich habe die tiefe Sehnsucht, etwas zu kreieren."

Erfolge trotz finanzieller Schieflage

Doch so logisch der Wechsel erscheinen mag - er erfolgte zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Dem ohnehin finanziell instabilen Konstrukt FC Valencia drohte damals der endgültige Niederschlag, beinahe täglich gab es Meldungen über angeblich neue Besitzverhältnisse und den tatsächlichen Schuldenstand. Es waren über eine halbe Milliarde Euro, weswegen im Februar 2009 der Bau des neuen Stadions gestoppt wurde. "Der Tiefpunkt", sagt Emery.

Umso höher sind die Erfolge einzuschätzen. Obwohl Valencia zwecks der wirtschaftlichen Konsolidierung in den letzten zwei Jahren mit David Villa, David Silva und Raul Albiol die besten Spieler verkaufen musste, erfüllte Emery die Erwartungen. In seinem ersten Jahr qualifizierte sich Valencia als Sechster für die Europa League, in dieser Saison liegt der Klub wie zum Ende der Vorsaison auf Platz drei.

Poschner: "Emery sucht nie nach Ausreden, sondern macht einfach seinen Job. Er weiß, dass er keine Weltstars kaufen kann, dafür stimmt die Mischung in der Mannschaft."

Ergebnisfußball sorgt für Unmut

Und doch ist Emery bei Valencias Fans nicht unumstritten - und das aus einem einzigen Grund: Die Mannschaft spielt nicht so attraktiv wie erwünscht, stattdessen regiert häufig die nüchterne Effizienz. Elf der 16 Siege in der Liga  wurden nur mit einem Tor Vorsprung errungen, in insgesamt 27 Saisonspielen gelangen nur dreimal mehr als zwei Treffer.

Doch genau dieser Pragmatismus ist womöglich Emerys wesentliches Merkmal. Statt seinem Barca-Ideal nachzuhängen, passt er sich flexibel den Gegebenheiten an und wechselt je nach Form und Gegner die taktische Formation und das Personal.

"Ich liebe es, strategisch zu denken und den Gegner auszumanövrieren, das habe ich vom Schach", erklärt Emery. "Es bringt doch nichts, aus Selbstzweck hoch zu stehen und den Gegner unter Druck zu setzen. Das muss nicht immer gut sein, genauso wenig, wie immer Kurzpassspiel zu bevorzugen. Es kann auch mal nützlich sein, tief zu stehen und abzuwarten."

Llorente: Egal ob Raute, Trapez oder Sechseck

Die Zuschauer in Valencia akzeptieren dies nur widerwillig - doch zumindest kann sich dabei Emery der Unterstützung seines Präsidenten Fernando Llorente sich sein - was für ihn von Belang sein dürfte. Sein Vertrag läuft nach der Saison aus.

Llorente aber gab ihm zuletzt Rückendeckung: "Er kann in der Raute spielen lassen, im Quadrat, im Trapez, meinetwegen auch im Sechseck. Hauptsache, wir gewinnen am Ende."

Ein Pragmatismus, der Emery vertraut sein dürfte.

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