So recht wusste Horst Heldt nicht, was er denn davon halten soll, welche Spieler Sir Alex Ferguson aufstellte. "Hoffentlich werden sie dafür bestraft", sei ihm als erstes durch den Kopf gegangen, erklärte Schalkes Sport-Vorstand.
Doch nachdem er mit Bedacht Manchester Uniteds Aufstellung einige Mal las, wäre ein Gedanke gereift: "Eigentlich ist die Mannschaft immer noch erstklassig."
Einige fanden es gewagt, andere schlichtweg respektlos, was sich Ferguson für das Rückspiel des Champions-League-Halbfinals erdachte. Um seine Besten wegen des anstehenden Spitzenspiels in der Premier League gegen den FC Chelsea so viel Rast wie möglich zu gestatten, nahm er im Vergleich zum Hinspiel gleich neun Änderungen vor.
"Es ist mehr oder weniger eine Frechheit", schimpfte etwa "SKY"-Experte Franz Beckenbauer.
SPOX-Analyse: Scholes der Star
United nimmt Euphorie
Die darauffolgenden 90 Minuten bestätigten jedoch lediglich, was Ferguson bereits zuvor gewusst hatte: Selbst die Ansammlung aus vermeintlichen Reservisten erwies sich für Schalke als unbezwingbar.
"Manchester hat uns jede Euphorie genommen", sagte Christoph Metzelder nach dem 1:4. "Sie haben uns immer das Gefühl gegeben, nie richtig ins Spiel zu kommen. Das zeigt deren Klasse."
Die tatsächliche Leistungsstärke der Schalker ist hingegen nur schwerlich zu quantifizieren. Das Weiterkommen gegen Inter resultierte aus dem Zusammenwirken mehrerer Faktoren: in der Blüte der Kraft, aufgeputscht durch den Trainerwechsel, taktisch perfekt ausgerichtet und ein im Gefühl der Übermacht verblendeter Gegner.
Neuer sieht wieder sterblich aus
In Manchester hingegen folgte der Kontrast. Die vergangenen Wochen voller Extreme zehrten an Nerv und Physis, was sich unter anderem in Jefferson Farfans fehlender Inspiration sowie Spritzigkeit offenbarte. Hinzukam das unerwartete Schwächeln von Torwart Manuel Neuer, der beim Fehler zum 0:2 "wie ein Sterblicher aussah" (Daily Express).
Eklatant vor allem das Leistungsgefälle im Zusammenspiel. Während bei United die Rollen klar definiert und umgesetzt wurden, mangelte es Schalke an der mannschaftstaktischen Reife - was angesichts von Rangnicks kurzer Amtszeit und dem, wegen des engen Zeitplans, Mangel an Trainingseinheiten aber nicht weiter verwunderlich ist.
"United ist als Team über Jahre gewachsen und die Philosophie steckt in jedem drin. Dahin müssen wir auch kommen", sagte Metzelder.
Rangnicks Freiburg-System
Immerhin war im Rückspiel bei aller Ernüchterung durchaus Rangnicks Plan zu erkennen. Offiziell lief Schalke im 4-2-3-1 auf, tatsächlich umgesetzt wurde jedoch ein System, das dem von Robin Dutt in Freiburg gleicht.
Rangnick bot einen Sechser (Papadopoulos) und davor vier spielstarke und wendige Mittelfeldspieler auf: Baumjohann und Draxler bildeten links ein Pärchen und wechselten sich im Halbfeld und am Flügel ab, ähnlich gingen Jurado und Farfan rechts vor.
Das Grundproblem jedoch: Das 4-1-4-1 bedingt ein Höchstmaß an Abstimmung, weil die Mittelfeldspieler bei aller Rochade die Ordnung halten und auch defensiv mitdenken sollten.
Heldt: " Es muss im richtigen Moment angelaufen und Pressingsituationen geschaffen werden. Jeder muss mitmachen. Wenn sich aber einer ausklinkt, funktioniert es nicht, dann laufen drei Spieler einfach ins Leere und es entstehen Lücken."
Einzelkritik: Note 6 für Baumjohann
Scholes macht vor, wie es geht
Vermutlich zielte die Kritik auch auf die zentral postierten Baumjohann und Jurado, die sich die Last der Spielorganisation und des Agierens gegen den Ball teilen sollten. Baumjohann enttäuschte bitterlich, Jurado zeigte sich immerhin couragiert, bei aller Geschäftigkeit jedoch kam der Eindruck auf, dass er sich übernahm. Sein Fehlpass, der das 0:1 erst ermöglichte, "darf auf diesem Niveau nicht passieren", sagte Rangnick.
Wegen Schalkes generell fehlender Genauigkeit im Zuspiel wurde auch Rangnicks zweite Vorgabe schnell zur Makulatur. Wie Manchester im Hinspiel sollte seine Mannschaft mit vielen Diagonalpässen das Feld breitmachen.
Vor allem Papadopoulos zeichnete jedoch dafür verantwortlich, dass diese des Öfteren weit ins Aus flogen. Sein 17 Jahre älterer Gegenüber Paul Scholes hingegen bewies, dass bei einem Sechser fußballerische Qualitäten mit cleverem Zweikampfverhalten einher gehen können.
"Haben Spuren hinterlassen"
Das Ausscheiden hat aus Schalker Sicht jedoch auch etwas Erfreuliches: Ohne die Champions League kann die Mannschaft unter der Woche taktische Feinheiten einstudieren und den weniger straffen Terminplan zur emotionalen Rehabilitation nutzen.
Die vier Niederlagen in Folge "haben Spuren hinterlassen", sagt Rangnick.
"Wir müssen aber dafür sorgen, dass wir mit breiter Brust zum Pokalfinale gegen Duisburg reisen. Wir brauchen wieder ein Erfolgserlebnis."
Manchester United - FC Schalke 04: Daten zum Spiel