Arsene Wenger: Die Faust auf dem Rücken

Von Stefan Moser
Arsene Wenger (M., beim Training) ist seit 1996 Trainer des FC Arsenal
© Getty

Unmittelbar vor der Champions-League-Qualifikation gegen Udinese Calcio (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) treibt der Abschied von Cesc Fabregas den FC Arsenal zu einer Grundsatzentscheidung. Bleibt Arsene Wenger seinen Idealen treu - oder nutzt er seine vorhandene Finanzkraft endlich für einen Schlag auf dem Transfermarkt? Der Druck auf den 61-Jährigen wächst.

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Ein Schwergewichtsboxer steigt zum Titelkampf in den Ring und bindet sich vorher freiwillig seine rechte Schlaghand auf den Rücken. Selbst wenn der Mann versichert, er habe dafür gute Gründe: Auf das Verständnis seiner Fans darf er kaum hoffen. Vor allem dann nicht, wenn er nach neun Runden auf die Bretter geht.

Knockout im Carling-Cup-Finale

Für den FC Arsenal kam der Knockout in der letzten Saison am 27. Februar, dem Tag des Carling-Cup-Finales. Die Niederlage gegen Birmingham besiegelte das sechste titellose Jahr in Folge, denn auch in der Liga taumelten die überraschend getroffenen Londoner plötzlich durch den Ring und rutschten von Platz zwei (ein Punkt hinter Manchester United) auf Rang vier ab.

Und wieder einmal murrten die Kritiker von Trainer Arsene Wenger: Der jüngsten aller europäischen Topmannschaften fehle es an physisch und mental robusten Spielern, die in schwierigen Phasen der Saison ihren Mann stehen. Vor allem am Glaskinn der Gunners, in der Abwehr.

Fans verlieren die Geduld

Wengers zögerliche und vermeintlich eindimensionale Transferpolitik ist mittlerweile längst ein Politikum in Highbury. Denn der FC Arsenal hat Geld. Laut Forbes-Liste gehört er mit Manchester United und Real Madrid zu den drei "wertvollsten" Klubs der Welt, Geschäftsführer Ivan Gazidis bekräftige erst jüngst zum wiederholten Mal, er habe "eine beträchtliche Summe zur Verfügung, um in den Kader zu investieren".

Wenger hat also durchaus Finanzkraft in der Hinterhand. Aber er setzt sie nicht ein, er schlägt auf dem Transfermarkt nicht ernsthaft damit zu. So zumindest sehen es viele Fans - und verlieren immer mehr die Geduld.

Transferüberschuss von bald 35 Millionen?

"Spend some fucking money!", skandierten die mitgereisten Anhänger am Samstag während des Ligaauftakts in Newcastle. Gut 24 Stunden später wurde der Wechsel von Cesc Fabregas zum FC Barcelona bestätigt. Die Fans wissen: Wenger hat nun weitere 30 Millionen im Sparstrumpf; und einiges spricht dafür, dass bald noch einmal 25 Millionen dazukommen, wenn auch Samir Nasri den Verein verlässt und zu Manchester City wechselt.

Insgesamt säßen die Gunners damit auf einem Transferüberschuss von gut 35 Millionen Euro: Selbst auf dem hysterischen englischen Markt ein ordentlicher rechter Haken. Doch die Fans fürchten, dass Wenger erneut die Faust auf dem Rücken behält.

Wenger rechtfertigt sich

"Ich habe keine Angst davor, Geld auszugeben", musste sich der 61-Jährige am Wochenende erstaunlich grundsätzlich rechtfertigen. In der Tat ist der gelernte Wirtschaftsingenieur kein Typ, der in einer Landkommune lebt, seine Hunde Che oder Mao nennt und aus Prinzip kein Geld in die Hand nimmt. Allein in diesem Sommer hat er bereits 28 Millionen Euro investiert, darunter fast 13 Millionen für den 17-jährigen Alex Oxlade-Chamberlain.

Und dennoch ist Wenger ein Fundamentalist. Neben einem soliden Haushalt scheint ihm die Idee eines ästhetischen und jugendlichen Fußballs wichtiger als der kurzfristige Erfolg. In den letzten Transferperioden kaufte er dafür praktisch den gleichen Spieler wieder und wieder: extrem jung, extrem schnell, technisch hochbegabt, launisch und verletzungsanfällig.

Wengers Ziel: Talente zu Weltstars formen

Als begnadeter Pädagoge gefällt sich Wenger in der Rolle als Mentor, der keine fertigen Spieler kauft, sondern junge Talente selbst zu Weltstars formt. Dass er damit am Ende auch erfolgreich sein kann, zeigte er, als er um Patrick Vieira und Thierry Henry die "Invincibles" erschuf. Eine Blaupause für das Modell der Zukunft.

Der Thronfolger sollte nun Cesc Fabregas werden. Als 16-Jähriger kam er 2003 zu Arsenal, und Wenger machte aus seinem Ziehsohn den wohl besten Mittelfeldspieler außerhalb Barcelonas. Um ihn herum sollte eine neue Mannschaft wachsen, die erneut in der Lage sein sollte, Titel zu holen. Auch deshalb kämpfte Wenger nun drei Jahre lang mit allen Mitteln um den Verbleib von Fabregas.

Wenger droht Neuanfang

Nun hat er den Kampf verloren - ohne zuvor einen Titel zu holen. Ein Zyklus ging ohne Trophäe zu Ende, und Wenger steht vor einer Grundsatzentscheidung. Mit Aaron Ramsey, Jack Wilshere und Theo Walcott steht die nächste Generation an Kronprinzen schon bereit. Bis sie allerdings das Niveau von Fabregas erreicht, wird es, wenn überhaupt, noch einige Jahre dauern.

Hält Wenger weiter fundamentalistisch an seinem Jugendstil fest, droht ihm die Zeit davonzulaufen. Und womöglich auch weitere Spieler, wenn sie woanders bessere Chancen sehen, wirklich um Titel zu spielen.

Wenger müsste praktisch von vorne anfangen - und Arsenal drohte, zu einem ewigen Versprechen auf die Zukunft zu verkommen. Die größte Angst vieler Fans.

Wettquote auf Wengers Entlassung

Oder aber Arsenal packt doch den rechten Haken aus und schlägt auf dem Transfermarkt richtig zu. Dazu aber müsste sich Wenger wohl von einigen Prinzipien trennen: 14 Tage vor Ende der Wechselfrist nicht zuletzt von dem einer flachen Gehaltsstruktur.

Eine Operation am offenen Herzen - unter Zeitdruck und im laufenden Spielbetrieb. Denn immerhin muss Arsenal am Dienstag bereits in die Champions-League-Qualifikation gegen Udine ran. Ein Scheitern wäre der größte sportliche Rückschlag für die Gunners seit über zehn Jahren. Und ein zusätzliches Handicap auf dem ohnehin schon schwierigen Transfermarkt.

Der Druck auf Arsene Wenger würde weiter wachsen. Seit Montag bieten die Wettbüros eine Quote von 16:1 auf die vorzeitige Entlassung des einst Unantastbaren. Die gleiche wie für Roberto Mancini und Mick McCarthy von den Wolverhampton Wanderers.

Die Champions-League-Qualifikation im Überblick

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