Der SSC Neapel ist nach 21 Jahren wieder in der Königsklasse und hat in der "Todesgruppe A" bereits vier Zähler auf dem Konto. Die Begeisterung in der Stadt am Vesuv ist riesengroß, denn die Mannschaft um Torjäger Edinson Cavani spielt einen dynamischen, attraktiven Fußball. Was macht das Team von Coach Walter Mazzarri so stark? Eine Analyse.
Das Grundcredo von Napoli-Trainer Walter Mazzarri ist sein 3-4-2-1-System. Der Coach verlangt von seinem Team nicht immer, dass es auf Teufel komm raus das Spiel macht, er setzt mehr auf die Schnelligkeit und Dynamik seiner Akteure.
Die Süditaliener erwarten spielstarke Mannschaften oft in der eigenen Hälfte, um nach einem Ballgewinn blitzschnell umzuschalten und auszuschwärmen, wie eindrucksvoll beim 3:1 gegen Milan bewiesen.
GettyIn den Top-Spielen dieser Saison gegen Milan (38 Prozent) und Manchester City (39 Prozent) hatte Napoli jeweils deutlich weniger Ballbesitz. Selbst zuhause gegen Villarreal hatte Neapel "nur" zu 48 Prozent den Ball. Einzig gegen Inter war das Mazzarri-Team dominanter - allerdings spielte es auch über eine Halbzeit in Überzahl.
Die Parade-Charakteristik des Teams ist aber die Art und Weise, wie sie Fußball spielt: emotional und intensiv, unterstützt vom Hexenkessel "San Paolo". Das heißblütige Publikum gibt dem Mazzarri-Team oft den entscheidenden Kick, seine intensive und kraftraubende Spielweise auf den Rasen zu bringen.
"Der Spirit, mit dem meine Mannschaft die Spiele angeht, entspricht dem der Neapolitaner. Man kann auch verlieren, aber wir lassen nie nach. Es wird gerannt, es wird gekämpft - und das vom ersten Tag an, seitdem ich hier bin", beschreibt Mazzarri den Stil seiner Mannschaft.
"Bei meinem Amtsantritt habe ich gesagt, dass diese Mannschaft eine Seele haben wird - und so ist es auch." Bayern-Coach Jupp Heynckes zeigte sich bei der Pressekonferenz vor dem Spiel "beeindruckt von der Spielweise und der Leidenschaft Napolis".
Der SSC Neapel in der Analyse
Abwehr und Torwart: Paolo Cannavaro, Hugo Campagnaro, Salvatore Aronica: Einzeln betrachtet und von den Namen her verbreiten diese drei nicht Angst und Schrecken. Das Trio harmoniert aber blendend und ist bestens aufeinander abgestimmt. Frei nach dem Motto: In der Gruppe sind wir stark.
"Wir haben sehr viele Spieler, die medial nicht so im Vordergrund stehen, aber für das Team sehr viel Arbeit verrichten. Und letztlich den Jungs vorne auch den Rücken freihalten", bestätigt Gökhan Inler im SPOX-Interview.
Aronica ist ein beinharter Manndecker alter Schule und hat bereits zwei souveräne CL-Auftritte hinter sich, obwohl er erst dieses Jahr im Alter von 33 Jahren in der Königsklasse debütierte. Vor Saisonstart stehen in den Sporttageszeitungen meistens andere in der voraussichtlichen Napoli-Aufstellung, am Ende spielt aber wieder er.
Campagnaro und Cannavaro schalten sich bei Standards immer wieder in die Offensive mit ein und sorgen aufgrund ihrer Kopfballstärke für Torgefahr. Campagnaro erzielte bereits zwei Ligatreffer.
Kapitän Cannavaro (der kleine Bruder von Weltmeister Fabio) hat einen tollen Saisonstart hinter sich, viele Beobachter fordern seine Einberufung in die Nationalmannschaft. Die blieb bislang aber noch aus.
Die Eingespieltheit des Trios lässt sich auch an den Statistiken ablesen: Bis zum 0:1 gegen Parma am Wochenende kassierte Napoli wettbewerbsübergreifend 447 Minuten lang kein Gegentor. Das liegt zum großen Teil auch an Morgan De Sanctis, einem der konstantesten Torhüter Italiens in den letzten Jahren. Italiens Nummer zwei hinter Gigi Buffon fällt nicht auf und liefert abseits des Rasens keine Schlagzeilen. Dafür glänzt er mit tollen Reflexen und strahlt mit seiner Erfahrung viel Ruhe auf seine Vorderleute aus.
Ex-Napoli-Coach Roberto Donadoni sagte gegenüber "Radio KissKiss": "Die Mannschaft weiß, dass sie in der Offensive sehr viel Qualität hat. Das gibt der Defensivabteilung viel Sicherheit."
Die Flügelspieler: Zwei enorm wichtig Mosaiksteine im Mazzarri-Spiel. Beide Flügelspieler machen Druck und unterstützen so das Offensivtrio. Rechts ist Christian Maggio unumstritten, links kämpfen Andrea Dossena und Camilo Zuniga um einen Platz.
Zusammen mit Lavezzi verkörpert Maggio am markantesten die dynamische und intensive Spielweise Napolis. Der italienische Nationalspieler, der momentan einer der formstärksten Neapel-Spieler ist, vereint Elan und Wille und ist oftmals der vierte Angriffsspieler.
"Wir greifen immer mindestens zu fünft an: Lavezzi, Hamsik, Cavani, Maggio und Dossena, dazu die zentralen Mittelfeldspieler und manchmal auch Campagnaro", sagte Mazzarri im Interview mit der "Repubblica".
Damit Mazzaris "Kunstwerk" bei Maggios Vorstößen nicht defensiv anfällig wird, lässt sich Dossena auf die Linie der drei Verteidiger fallen. Dadurch entsteht eine Viererkette mit Cannavaro/Aronica in der Mitte und Campagnaro als Rechtsverteidiger. "Unsere Dreierabwehr wird häufig zu einer mit vier Mann. Normalerweise ist es ein großer Unterschied, ob man mit drei oder mit vier Mann verteidigt. In unserem Fall aber nicht, da die Laufwege nicht sehr unterschiedlich sind", bestätigte Cannavaro dem "Corriere della Sera". Aus dem 3-4-2-1 wird so phasenweise ein 4-2-4. Ist der Gegner in Ballbesitz, unterstützt Hamsik auf rechts Maggio.
Obwohl beim SSC meist die Rede vom Trio Cavani-Lavezzi-Hamsik ist, sind die zwei Außenspieler genau so wichtig für das Offensiv-Spiel der Süditaliener.
Teil 2: Zentrales Mittelfeld und Angriff von Napoli
Das zentrale Mittelfeld: Napoli hat seit dem Sommer das, was vergangene Saison noch gefehlt hat: Einen mit Übersicht und Weitblick ausgestatteten Regisseur, den die Verteidiger jederzeit anspielen können und der die Offensiv-Aktion einleitet: Gökhan Inler.
Der Schweizer hat vom ersten Tag an in Neapel das Kommando übernommen. Inler fällt es leicht, "den Trainer beim Führen der Mannschaft zu unterstützen".
Inlers Nebenmann ist Walter Gargano. Der Nationalspieler Uruguays ist der einzige "Überlebende" der Sommer-Mittelfeld-Revolution Neapels und schien vor der Saison im internen Ranking hinter dem zweiten Schweizer Neuzugang, Blerim Dzemaili, zu stehen. Doch bereits in den ersten Pflichtspielen kristallisierte sich heraus, dass Gargano und Inler das ideale Paar sind. Der Schweizer steht für Qualität, der Südamerikaner für Quantität.
Gargano, Neapels aktivster Pressing-Spieler, ist ein paar Meter hinter Inler postiert und klaut aufgrund seiner Dynamik und aggressiven Spielweise Ball um Ball. Die gewonnenen Bälle leitet er dann an Inler weiter, der sie weiter verarbeitet.
Diese Mischung hat Napoli im Vorjahr gefehlt, da neben Gargano mit Michele Pazienza (jetzt Juventus) ein zweiter defensivstarker Mann auf dem Platz stand. So musste Gargano oft auch die Offensivaktionen einleiten. Heute überlässt er das Inler und konzentriert sich ganz auf seinen Job als Bälleklauer. Dazu leitet er mit seiner Schnelligkeit oft mit dem Ball am Fuß Konter ein.
Das Offensivtrio: Cavani-Hamsik-Lavezzi: Die drei Tenöre sorgen mittlerweile auch in Europa für Angst und Schrecken in den Defensivreihen der Gegner. In der aktuellen Saison haben die Drei alle CL-Tore Napolis und sechs von zehn in der Liga erzielt. Vergangene Spielzeit waren sie für 43 der 59 Ligatore verantwortlich, zusammen kamen sie in der Serie A auf 74 Scorerpunkte (Tore plus Assists).
Lavezzi und Cavani sind nicht nur technisch und abschlussstark, sondern haben auch große läuferische Qualitäten. Cavani reist mit seinen raumgreifenden Schritten Löcher in die generische Defensive, Lavezzi ist mit einem außergewöhnlichen Antritt gesegnet. Für Inler ist Cavani ein Angreifer, "der sehr viel für die Mannschaft arbeitet und auch defensiv immer helfen möchte".
"Der moderne Fußball besteht aus Angriffsspielern, die keine Anhaltspunkte geben", sagt Mazzarri über seine Stürmer, die immer wieder ihre Positionen tauschen und am gefährlichsten sind, wenn sie freien Raum vor sich haben. Wenn Lavezzi, der aufgrund seiner klasse Technik auch auf engstem Raum für Gefahr sorgen kann, in die Sturmspitze geht, lässt sich Cavani leicht zurückfallen.
Hamsik ist trotz seiner erst 24 Jahre so etwas wie der Professor des Teams, sein taktisches Verständnis ist bereits weit fortgeschritten. Der Slowake hat ein tolles Gefühl für die Position und den Raum, in den er immer wieder stößt und so für Überraschungsmomente sorgt - so wie beim 3:0 gegen Inter in Mailand. In dieser Hinsicht ähnelt er Thomas Müller.
Die Gruppe A der Champions League im Überblick