"Jammern auf hohem Niveau"

Von Interview: Haruka Gruber
Auch an einem überragenden Mittelfeldspieler wie Xavi nagt inzwischen der Zahn der Zeit
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SPOX: Statt wie in der Vergangenheit zwischen Vierer- und Dreierkette zu variieren, spielt Barca fast ausschließlich mit Viererkette und zwei klaren Innenverteidigern. Ein Indiz dafür, dass Barca nach Stabilität sucht?

Wormuth: Ich denke, dass die Dreierkette in der Vergangenheit aus der Situation herausgeboren wurde. Da nun fast alle Spieler wieder an Bord sind, wird die Viererkette als Verteidigungslinie wieder der Standard. Die Viererkette beinhaltet grundsätzlich eine offensive Idee und die passt sehr gut mit der von Barcelona zusammen. Stichwort: hoch stehende Außenverteidiger als einzige Außenbahnspieler, um im letzten Drittel sowohl bei Ballbesitz als auch bei Ballverlust Überzahl beziehungsweise Gleichzahl herzustellen.

SPOX: Bei Bayerns Rückspiel in Barcelona wird wie so oft die vermeintlich überdimensionierte Platz-Größe im Camp Nou ein Thema sein. Hat das einen taktischen Einfluss?

Wormuth: Bei den heutigen konditionellen Eigenschaften der Spieler glaube ich nicht unbedingt daran, dass hier Vor- oder Nachteile entstehen. In der Defensive sowieso nicht, da sich hier die abwehrende Mannschaft am Ball orientiert.

SPOX: Dortmund nahm sich in vielen Aspekten ein Vorbild an Barcelona. Um es plakativ zu formulieren: Kann man sagen, dass Dortmund die taktisch stärkste Mannschaft im Champions-League-Halbfinale ist? Denn: Individuell dürfte Dortmund trotz eines Götze oder Lewandowski die schwächste Mannschaft sein.

Wormuth: Das Wort "schwach" würde ich bei diesen Mannschaften komplett aus der Analyse herausnehmen. Wenn alle vier Mannschaften ihr normales Leistungsvermögen abrufen, dann gibt es nur noch Stärken. Am Ende entscheidet dann die "stärkere Stärke" des Tages.

SPOX: Ein Thema bei der EM war die Fähigkeit Italiens, in verschiedene Grundordnungen spielen zu können. Dortmund praktiziert das diese Saison, indem gegen starke Gegner im zentralen Mittelfeld drei Sechser auflaufen. Ist diese Variante ein Zeichen der taktischen Weiterentwicklung?

Wormuth: Ein Zeichen der taktischen Weiterentwicklung ist, dass wir nicht mehr über drei Sechser oder zwei Sechser reden müssen, sondern über die Spielidee, das Spielverhalten der gesamten Mannschaft. Die Flexibilität der zentralen Mittelfeldspieler wird immer mehr vorhanden sein. Wir sprechen in der Ausbildung gerne davon, dass nicht mehr der Name entscheidend ist, sondern die Positionsbesetzung. Jeder kann jede Position spielen. Der SC Freiburg hat dies seit Jahren in seine Ausbildungsphilosophie verankert.

SPOX: Die Maxime "Jeder kann jede Position spielen" illustriert kaum einer so gut wie Mats Hummels. Wie wichtig ist er als Spielmacher aus der Abwehr heraus? Weil Subotic und Santana fußballerisch nicht ganz so stark sind, holte Ilkay Gündogan "als Libero" die Bälle hinten ab. Wenn Hummels gegen Real zurückkehrt, besitzt Dortmund gefühlt einen Mittelfeldspieler mehr?

Wormuth: Der Aussage ist nichts entgegenzusetzen. Genauso ist es.

SPOX: Während Dortmund einen Stil verkörpert, fällt es extrem schwer, Reals Fußball zu kategorisieren - anders als Chelsea oder Inter unter Mourinho, die für Effizienz und Defensive standen. Trotz der Erfolge in dieser Saison: Erkennen Sie bei Real eine Mourinho-Identität?

Wormuth: Keine einfache Frage, weil sie sich auf Mourinho und dessen Handschrift fokussiert. Vielleicht ist die Handschrift von Mourinho die, dass er so spielen lässt, wie es seine Mannschaft anbieten kann beziehungsweise der Gegner es überhaupt zulässt. Mit Chelsea und Inter musste er so spielen lassen, damit Erfolg möglich war. Mit Real hat er andere Spielertypen und daher auch eine andere Handschrift. Die Fähigkeit von Mourinho ist es wohl, aus einer Mannschaft die Philosophie herauszuholen, die diese Zusammenstellung überhaupt erbringen kann.

SPOX: Dennoch: Vieles im Real-Offensivspiel wirkt undurchdacht. Man hat das Gefühl, dass nur die individuelle Stärke eines Ronaldo oder Özil für die besonderen Momente sorgen. Wie sehen Sie das?

Wormuth: Daran ist nichts auszusetzen. Am Ende des Tages sind es immer die Ausnahmespieler, die ein Spiel entscheiden. Von daher bedeuten für mich persönlich die Kaderzusammenstellung mindestens 50 Prozent des Spielerfolges. Um es lustiger auszudrücken: Manch eine Mannschaft kann eben den Erfolg eines Trainers nicht verhindern.

SPOX: Widerspricht Cristiano Ronaldos exponierte Stellung nicht den Regeln des modernen Spiels - in dem alle elf Spieler zu jeder Zeit am Defensivverhalten teilnehmen sollen wie bei den Bayern und Dortmund?

Wormuth: Überspitzt gesagt: Cristiano Ronaldo ist hundertprozentig in der Abwehrarbeit involviert und zwar, in dem er vorne links stehen bleibt und zwei Gegenspieler, manchmal sogar drei, auf sich lenkt, die sich allein durch ihn nicht am Angriff der eigenen Mannschaft beteiligen. Und hier komme ich wieder zu meiner Ausgangshypothese: Man muss immer das Gesamtgefüge einer Mannschaft betrachten.