"Alle Voraussetzungen für La Decima"

Daniel Reimann
21. April 201420:25
Luis Figo (l.) gewann 2002 mit Real Madrid die Champions Leaguegetty
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Vom "Verräter" zum Champions-League-Sieger: Luis Figo ist eine Legende des Weltfußballs. Im Interview mit SPOX spricht der Portugiese über seine Zeit bei den "Galacticos", die Stagnation des Barca-Fußballs und die Halbfinal-Giganten Real Madrid und FC Bayern München.

SPOX: Sie haben einst für Madrid und Barcelona gespielt. Wie haben Sie den letzten Clasico wahrgenommen?

Luis Figo: Es war ein großartiges Match, es war sehr spannend. Der Clasico ist definitiv eines der fesselndsten Duelle in Europa.

SPOX: 2000 standen Sie zum ersten Mal als Real-Spieler im Camp Nou auf dem Rasen. Die Barca-Fans empfingen Sie mit viel Hass und beschimpften sie als Söldner und Verräter. Beschreiben Sie doch Ihre Gefühle in jenem Moment.

Figo: Es war eine sehr spezielle Situation, weil ich zum ersten Mal im Trikot von Real in Barcelona und gegen Barcelona spielte. Es fiel mir schwer. Doch es hat mich als Spieler und als Mensch weitergebracht, so eine ungewöhnliche Situation zu erleben.

SPOX: Damals war die Rivalität vor allem zwischen den Fans extrem. Heutzutage ist sie auch innerhalb der Spieler gestiegen. Halten Sie diese Entwicklung mit Blick auf die Nationalmannschaft für gefährlich?

Figo: Ich sehe darin keine Gefahr. Die Rivalität ist gewaltig und das war sie schon immer. Das muss aber auf fußballerischer Ebene bleiben. Wenn diese Rivalität solch spektakuläre Spiele garantiert, dann steckt darin etwas Gutes.

SPOX: Barcelona hinkt diese Saison den Erwartungen hinterher. Kritiker sagen, sie hätten ihr Spiel nicht weiterentwickelt. Kann Königstransfer Neymar Barcelonas Spiel eine entscheidende Prägung verleihen?

Figo: Neymar ist zweifellos ein wahnsinnig guter Spieler. Er hat das Potenzial zum besten Spieler der Welt. Aber es wäre zu früh, das jetzt schon zu beurteilen. Es ist sein erstes Jahr in Europa und er muss sich erst einmal gut einleben. Er wird sich bestimmt noch enorm weiterentwickeln. Und mit ihm hat Barcelona so viele zusätzliche Optionen in der Offensive.

SPOX: Auch ihr damaliges Team bei Real Madrid hatte mit Ronaldo, Zidane, Beckham und Co. jede Menge Spektakel zu bieten. Gibt es irgendeine Mannschaft heutzutage, die man mit den "Galacticos" vergleichen könnte?

Figo: Das war auf jeden Fall eines der besten Teams in der Geschichte des Fußballs. Heutzutage gibt es keines mit vergleichbarem Potenzial. Das heutige Real Madrid hat zwar auch riesiges Potenzial, aber das sind zwei unterschiedliche Mannschaften. Es ist schwer, zwei Teams aus zwei verschiedenen Epochen des Fußballs zu vergleichen. Aber ich hoffe, dieses Real Madrid kann all das gewinnen, was wir einst gewonnen haben.

SPOX: Bei so vielen Stars und Führungspersönlichkeiten in einem Team kann es zu Reibungen kommen. Gab es solche Konflikte zu Ihrer Zeit bei Real?

Figo: Das Wichtigste ist, für ein gemeinsames Ziel zu kämpfen und sich dem Team zu opfern. Nur so bleibt die Truppe vereint und fokussiert, so kann jeder interne Konflikt gelöst werden. Große Champions müssen auch vorbildliche Profis sein und die Situation einschätzen können. So haben wir es damals vorgelebt und deshalb haben wir triumphiert.

SPOX: Das Highlight war 2002 der Champions-League-Sieg. Seitdem wartet der Verein sehnsüchtig jedes Jahr auf "La Decima". Ist das Team dieses Jahr endgültig bereit dafür?

Figo: Madrid gibt jede Saison den CL-Sieg als Ziel aus. Die aktuelle Mannschaft hat riesiges Potenzial. Diese Mannschaft hat alle Voraussetzungen, um "La Decima" zu holen und in die Geschichte einzugehen. Dahinter ist Bayern der zweite große Favorit in der Champions League. Ich kenne zwar nicht das Geheimnis von Pep Guardiola, aber er holt hervorragende Ergebnisse. Er ist ein Freund von mir und zugleich einer der größten Spieler, mit dem ich je zusammengespielt habe. Seine Professionalität lebt er auch als Coach vor.

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SPOX: Was ist mit Atletico Madrid? Sind Sie überrascht von deren Auftreten?

Figo: Atletico erfüllt die Außenseiterrolle bestmöglich. Die Manschaft hat ein brutal effektives Spiel verinnerlicht und einen kampfeslustigen Trainer. In der Champions League machen sie gerade außergewöhnliche Fortschritte.

SPOX: Die italienischen Teams hingegen können seit Inters Titel 2010 kaum noch mithalten. Weshalb?

Figo: Die Serie A ist immer schwer zu gewinnen. In den letzten Jahren hat die Liga an Wettbewerbsfähigkeit verloren, teilweise auch aus wirtschaftlichen Gründen. Nichtsdestotrotz beherbergt sie immer noch tolle Teams und fantastische Spieler.

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SPOX: Die besten Spieler werden jährlich mit dem Ballon d'Or ausgezeichnet. Bastian Schweinsteiger bemängelte, dass Defensivspieler dabei zu wenig Beachtung erhielten. Geben Sie ihm Recht?

Figo: Die Offensivspieler sind nun einmal die, die am meisten Aufmerksamkeit von Fans und Medien produzieren. Auch deshalb ging der Ballon d'Or nur selten an einen Verteidiger oder Mittelfeldspieler.

SPOX: Aber sind Spieler wie Schweinsteiger, Lahm, Busquets oder Xabi Alonso nicht genauso wichtig für ihr Team wie ein Ronaldo für Real oder ein Messi für Barca?

Figo: Ja, auf jeden Fall. Sie sind alle hochveranlagt und besonders wichtige Spieler für die Balance in der Mannschaft.

SPOX: Bei Madrid ist Ronaldo ein Star unter vielen, die Nationalmannschaft Portugals wird hingegen oft auf ihn reduziert. Wie viel wäre Portugal noch ohne ihn wert?

Figo: Ronaldo ist zweifellos sehr wichtig für Portugal. Aber wir haben auch so ein gutes Team mit vielen anderen exzellenten Spielern neben Ronaldo. Aber Portugal ist definitiv abhängiger von Ronaldo als Real Madrid.

SPOX: Bei der WM in Brasilien trifft Portugal in der Gruppenphase auf Ghana, die USA und Deutschland. Hat die Auslosung die Erwartungen in Ihrem Heimatland ein wenig gedämpft?

Figo: Bei einer WM gibt es keine einfachen Gruppen oder offensichtliche Prognosen. Portugal muss seine Rolle unabhängig davon so gut spielen, wie es nur geht und ohne Rechnerei versuchen so weit wie möglich zu kommen.

SPOX: Die "goldene Generation" um Sie, Deco, Rui Costa und Co. holte nie einen Titel. Wie stehen die Chancen für die aktuelle Generation? Hat Sie das Zeug zum Titelkandidaten?

Figo: Unsere Generation hat damals extrem vom Jugendfußball profitiert. Wir haben überragende Spiele gezeigt. Bei der EM 2004 im eigenen Land haben wir die Hoffnungen von elf Millionen Portugiesen beflügelt, genauso wie bei der Weltmeisterschaft in Deutschland 2006. Für das Wohl meines Landes hoffe ich, dass es die aktuelle Generation noch besser macht. Wir haben derzeit ein tolles Team. Natürlich sind wir kein Titelfavorit, aber wir haben Außenseiterchancen.

SPOX: Wer ist dann Ihr Titelfavorit Nummer 1?

Figo: Brasilien ist der absolute Favorit, danach kommen Argentinien und Deutschland. Spanien ist ebenfalls sehr stark, aber die Geschichte des Fußballs hat uns gelehrt, dass es statistisch unwahrscheinlich ist, dass eine Mannschaft zwei Weltmeisterschaften in Folge gewinnt. Dazu gibt es eine Gruppe von Außenseitern, zu der Italien, die Niederlande, England und Portugal gehören. Und Belgien hat das Potenzial zur großen Überraschung.

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