"Es ist schwer, authentisch zu bleiben"

Jochen Tittmar
02. April 201423:01
SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Mats Hummels am Rande eines Fotoshootingshead and shoulders
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Mats Hummels ist Leistungsträger bei Borussia Dortmund sowie deutscher Nationalspieler - und seit Januar 2013 offizieller Markenbotschafter von "head&shoulders". Im Interview spricht Hummels über fremdgesteuerte Spieler im Fußball-Business, die Gründe für seine Vereinstreue und erklärt, weshalb ihm jemand lieb ist, der ihm seine Meinung ins Gesicht sagt.

SPOX: Herr Hummels, Sie haben einmal verraten, dass Sie Ihre Haare gerne ganz kurz abrasieren würden, aber nicht sicher seien, wie das am Ende dann aussieht. Wie sicher kann sich denn Ihr Partner "head&shoulders" sein, dass Sie sich dazu auch in naher Zukunft nicht trauen?

Mats Hummels: Ganz sicher. Dazu müsste ich erst einmal eine braunere Hautfarbe bekommen. Ich habe auch den einen oder anderen dezenten Ansatz zur Geheimratsecke. Ich glaube, es wird erst soweit sein, wenn mir die Haare eines Tages ausfallen würden.

SPOX: Sie taugen deshalb als Werbeträger, weil Sie als selbstbewusster und eloquenter Typ durchgehen. Manche haben Sie schon einen Fußballintellektuellen genannt. Nervt Sie das?

Hummels: Nein, ich nehme das eher als Kompliment auf. Es ist eben so, dass viele Fußballer vor einer Kamera oder einem Mikrofon auf Floskeln zurückgreifen. So lässt sich verhindern, dass mehr aus den Aussagen gemacht wird. Ich versuche in Interviews eigentlich nur, meine Meinung darzulegen. Sonst hätte das für mich ja auch keinen Mehrwert.

SPOX: Es gibt vereinzelt den Vorwurf, der heutige Fußballer würde zu einem gewissen Grad zur Unmündigkeit erzogen. Teilen Sie diese Meinung?

Hummels: Es ist auf jeden Fall schwer, authentisch zu bleiben - bedingt durch viele Faktoren.

Mats Hummels ist seit Januar 2013 offizieller Markenbotschafter von head&shoulders

SPOX: Die da wären?

Hummels: Einem Spieler wird im Alltag einerseits ziemlich viel abgenommen. Andererseits kann man beispielsweise in Interviews oft nicht das sagen, was man denkt, weil die Aussagen bewusst anders aufgenommen werden, um Schlagzeilen zu konstruieren. Daher kommt es, dass sich viele Spieler in ihren Handlungen und Äußerungen immer mehr angleichen. Aus Gründen des Selbstschutzes beschränken sich die meisten auf das Nötigste. Das erweckt in der Öffentlichkeit dann wiederum den Eindruck, dass es sehr wenige unterschiedlichen Typen gibt.

SPOX: Auch wenn es im Fußball um viel geht: Sollte es erwachsenen Menschen, die über weitreichende Dinge wie Familie oder Verträge entscheiden, überspitzt formuliert nicht möglich sein, mehr Herr über ihr eigenes Handeln zu werden?

Hummels: In der Theorie schon. Viele Spieler sind mittlerweile jedoch fremdgesteuert. Manche Inhalte werden dann gar nicht so herübergebracht, wie sie der Spieler meinte, sondern wie der Berater meint, es wäre gut für den Spieler. So handelt sich dieser keinen schlechten Ruf in der Öffentlichkeit ein. Das ist letztlich aber auch eine Entscheidung des Spielers: Will er nach außen den perfekten Ruf haben oder lieber so herüberkommen, wie er als Mensch wirklich ist?

SPOX: Wird diese Gleichheit irgendwann aufhören?

Hummels: Nein. Ich denke, das wird künftig noch drastischere Ausmaße annehmen, weil auch der Kampf der Medien um Aufmerksamkeit immer intensiver wird. Bereits jetzt werden die Themen teilweise bewusst größer und spektakulärer gemacht, als sie in Wahrheit sind. So entstehen viele Geschichten, die vielleicht gar keine sind.

SPOX: Sie selbst sind sehr interessiert an der Berichterstattung zu Ihren Partien. Halten Sie es für normal, dass sich die Wahrnehmung der Medien von Ihrer auf dem Feld extrem unterscheiden kann?

Hummels: Es stellt sich für mich als ein ganz anderes Spiel dar, wenn ich von der Tribüne aus zuschauen muss. Das Tempo und die Handlungsschnelligkeit der Spieler nimmt man auf dem Platz deutlich unterschiedlicher wahr als von oben. Da sieht es gefühlt nach der Hälfte der eigentlichen Geschwindigkeit aus. Daher habe ich schon Verständnis dafür, dass es Unterschiede zwischen Berichterstattung und eigener Meinung gibt.

SPOX: Aber?

Hummels: Die wenigsten Journalisten haben auch nur annähernd selbst auf diesem Niveau gespielt - und sie haben dazu eben nur diese eine Perspektive. Mich persönlich interessiert die Meinung ehemaliger Spieler deshalb mehr, weil sie am besten einschätzen können, wie es sich anfühlt, auf dem Platz zu stehen.

SPOX: Wenn Sie wie zuletzt während Ihrer Verletzungspause auf der Tribüne sitzen, bewegen Sie sich praktisch ganz normal in der Öffentlichkeit. Wie nehmen Sie es als berühmte Person wahr, sich kaum mehr frei bewegen zu können?

Hummels: Es ist schon ein bisschen problematisch. Wenn ich durch die Straßen gehe, kommen immer Leute auf mich zu und sprechen mich an. Viele sind dabei höflich. Manche sind etwas fordernder. Denen merkt man dann auch an, dass es für sie in dieser Sekunde die Option, ein Fußballer könne auch Privatmensch sein, gar nicht gibt.

SPOX: Wie gehen Sie dann vor?

Hummels: An manchen Tagen, an denen ich privat wie ein ganz normaler 25-Jähriger unterwegs sein möchte, sage ich mir aus Selbstschutz, dass ich heute auf nichts reagiere. Das sind unter dem Strich aber schon die Ausnahmen, weil einen die Menschen zu 95 Prozent nett ansprechen.

Seite 1: Hummels über fremdbestimmte Spieler und Probleme der Berichterstattung

Seite 2: Hummels über seine Vereinstreue und Bayerns Vormachtstellung

SPOX: Das ragt also ständig bis ins Privatleben hinein?

Hummels: Nicht wenn ich zu Hause bleibe (lacht). Bewege ich mich in der Öffentlichkeit, dann wie beschrieben aber schon. Wenn ich beispielsweise mit meinem Bruder und drei Freunden durch die Gegend laufe, dann nehmen es mittlerweile auch sie schon wahr, wenn andere Leute gucken und tuscheln. Man erkennt diese spezielle Verhaltensweise relativ schnell. Dann fühlt man sich nicht ganz so frei, wie wenn man unerkannt bleiben würde.

SPOX: Wäre Ihnen auch mal jemand lieb, der Ihnen seine Meinung ins Gesicht geigt anstatt Sie positiv anzusprechen?

Hummels: Ja, irgendwie schon - solange es nicht richtig beleidigend wird (lacht). Es wäre aber durchaus in Ordnung, wenn mal jemand sagen würde, dass ich ihn aus welchen Gründen auch immer nerve. Wenn er das begründen kann, wäre ich durchaus bereit zu sagen, dass man das vielleicht so sehen kann. Es liegt aber wohl auch daran, dass die meisten Menschen das Gefühl haben, total positiv reagieren zu müssen. Das ist für mich aber logischerweise alles andere als schlimm.

SPOX: Bei Trainer oder Mitspielern, das geben Sie ja auch zu, kann es aufgrund Ihres selbstbewussten Auftretens dazu kommen, dass Sie auch anecken. Wie begründen Sie das?

Hummels: Das steckt wohl einfach in mir drin. Mein Bruder ist in dieser Beziehung ganz ähnlich. Wir haben uns so entwickelt, dass wir Dinge ansprechen. Bewerte ich die Dinge für gut, hat damit niemand ein Problem. Bewerte ich sie schlecht, stört das eben auch manchmal die Leute.

SPOX: Wie reagieren die Mitspieler dann?

Hummels: Die Rückmeldung, die ich aus unserer Mannschaft bekommen habe, war so, dass es anfangs für manche ein bisschen gewöhnungsbedürftig war, wenn ich etwas auf eine direktere Art und Weise angesprochen habe. Wer diesen Aspekt an mir einmal richtig kennen gelernt hat, weiß das aber auch ziemlich schnell richtig einzuschätzen und kann damit umgehen. Ich bestehe ja auch niemals darauf, dass meine Meinungen oder Verbesserungsvorschläge immer total sinnvoll sind. Ich fühle mich nicht auf den Schlips getreten, wenn zu mir gesagt wird, dass man das Geäußerte für totalen Humbug hält.

SPOX: Der Großteil der Mitspieler dürfte sich demnach längst darauf eingestellt haben. Sie spielen jetzt seit Anfang 2008 in Dortmund, aufgrund Ihrer Leistungen kursieren ständig Wechselgerüchte um Sie. Ist es Ihnen wichtiger, einen zu Ihnen passenden Fußball zu spielen, als bei einem Verein anzuheuern, der mehr zahlt und eine höhere Wahrscheinlichkeit auf Titel mitbringt?

Hummels: Ja, absolut. Ich hatte schon immer meine eigene persönliche Vorstellung vom Fußballspiel. Die hat sich von klein auf über die Jahre natürlich entwickelt und sie entwickelt sich auch jetzt noch weiter. Mir ist es vor allem wichtig, dass ich beruflich das tue, was ich gut finde und woran ich Spaß habe. Deshalb möchte ich meine persönliche Art innerhalb des Fußballs unterbringen, den meine Mannschaft spielt. Wenn ein Verein an mir interessiert wäre und mir die dortige Art des Fußballspiels nicht zusagt, dann wäre das für mich ein glasklarer Aspekt, der gegen einen Wechsel sprechen würde.

SPOX: Ihr Ideal scheint folglich der BVB zu verkörpern. Hat die Borussia - wenn sie ihren Fußball nicht radikal verändert - gute Chancen, dass Sie ihr lange erhalten bleiben?

Hummels: Ich bin ja bereits sechs Jahre hier, das ist ja schon einmal etwas (lacht). Aber klar, das ist natürlich mit ein Grund, weshalb ich den Verein bislang nie verlassen wollte. Ich kann mich sehr gut damit identifizieren, wie wir Fußball spielen und ihn auch leben. Das entspricht schon sehr meiner Vorstellung, die ich als 16- oder 17-Jähriger hatte, als ich mir damals sehr intensiv Fußballspiele angeschaut habe.

SPOX: Dortmund liegt von den Gehältern, die europäische Topklubs zahlen, noch ein ganzes Stück entfernt. Das ist sicherlich auch ein Grund, weshalb der Verein momentan noch nicht in der Lage ist, Spielerabgänge zu vermeiden. Bis sich der BVB in diese Sphären entwickelt, dürfte zudem noch einige Zeit vergehen. Kann man als Spieler heutzutage überhaupt so geduldig und damit vereinstreu sein?

Mats Hummels' OPTA-Bundesliga-Statistiken 2013/2014

Hummels: Natürlich kann man das. Es gibt genügend Gründe, lange bei einem Verein zu bleiben. Letztlich dreht sich alles immer um die Frage: Was ist für mich als Spieler am wichtigsten? Es gibt sicherlich Spieler, die am Ende ihrer Karriere einen bestimmten Kontostand erreichen möchten - was auch keineswegs verwerflich ist. Dann gibt es welche, die eine gewisse Anzahl an Titeln gewinnen wollen. Manchen ist es wie mir wichtig, den passenden Fußball mit einer Mannschaft zu spielen, die man sowohl sportlich wie menschlich sympathisch findet.

SPOX: Nach dem verlorenen Champions-League-Finale im vergangenen Jahr sagten Sie, dass Ihre Träume als Kind bei einem Sieg fast schon zu schnell in Erfüllung gegangen wären. Hätten Sie dann die Befürchtung gehabt, keinen Antrieb mehr zu finden?

Hummels: Es bleibt zwar spekulativ, aber ich kann mir schon vorstellen, dass das zumindest für ein Jahr so geworden wäre. Natürlich hätte ich lieber als alles andere den Sieg geholt, aber ich finde, es ist auf eine gewisse Weise einfach schön, solchen Zielen etwas länger hinterher zu eifern. Der Weg ist interessanter als das Ziel - das fühlt sich für mich in der Tat häufig so an.

SPOX: Kann es passieren, dass einem die Ziele ausgehen?

Hummels: Die Ziele nicht, die Träume aber schon. Wenn man viele seiner Träume bereits erfüllt hat, wird die bloße Anzahl entsprechend geringer. Ich glaube, dass es etwas Gutes ist, wenn man Dinge nicht sofort bekommt. Siehe das Beispiel Champions-League-Finale: Das war jetzt unsere erste realistische Chance. Es hat nicht geklappt, aber man muss einfach immer weiter dran bleiben und weiter dran bleiben und weiter dran bleiben. Vielleicht wird es sich dann irgendwann in den nächsten Jahren ergeben.

SPOX: Derzeit gehen viele davon aus, dass zumindest die Meisterschale in den nächsten Jahren fest an den FC Bayern München vergeben ist. Die Ausgeglichenheit der Bundesliga scheint immer mehr zu leiden. Wie nehmen Sie diese Diskussion wahr? SPOX

Hummels: Mir wird da ehrlich gesagt zu viel gejammert. Die Bayern haben diesen großen Vorsprung, weil sie einerseits viel Geld besitzen - aber sie müssen trotzdem auf dem Platz erst einmal die Spiele gewinnen. Sie haben auf dem Spielfeld dieselben Voraussetzungen wie alle anderen Mannschaften und jedes Team hat dieselbe Chance, sie zu besiegen.

SPOX: Manche hissen mittlerweile aber schon vor Anpfiff die weiße Flagge.

Hummels: Ich finde, man sollte sich viel mehr auf den sportlichen Wettkampf konzentrieren und nicht teilweise schon vor dem Spiel nach Ausreden suchen, weshalb man verlieren wird. Ich persönlich möchte in den nächsten Jahren nicht vor jeder Saison sagen, dass wir den Abstand zu den Bayern irgendwie verringern möchten. Ich will immer, also in jeder Saison, vor den Bayern stehen, weil ich eben immer Erster sein möchte. Mir ist bewusst, dass dies ein schwieriges Unterfangen ist. Es stellt für mich aber eine sportliche Herausforderung dar, die es lohnt, angegangen zu werden.

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