Der Grenzgänger

Stefan Rommel
02. April 201420:30
Luka Modric wechselte im Sommer 2012 von den Tottenham Hotspur zu Real Madridgetty
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Er ist kein Sechser und kein Zehner - und doch die bestimmende Figur im Spiel von Real Madrid: Luka Modric hat sich vom vermeintlichen Flop zu einem der wichtigsten Protagonisten in Weiß gemausert.

Wann bei Luka Modric dieser Entwicklungsschub eingesetzt hat, ist schwer zu bestimmen. Mit dem wichtigen Tor im Achtelfinale der Champions League damals gegen Manchester United? Mit den Verletzungen einiger seiner Kontrahenten? Mit dem Wechsel von Jose Mourinho zu Carlo Ancelotti?

Es gibt einige Ansätze, die Wahrheit dürfte aber vermutlich lauten: Luka Modric, kroatischer Nationalspieler und der beste Fußballer seines Landes, ist einfach einer der komplettesten Mittelfeldspieler unserer Zeit.

In der Primera Division und der Champions League kommt er in dieser Saison im Schnitt auf etwas mehr als 66 Pässe pro Partie, seine Passquote beträgt 90,3 Prozent. Noch nie in seiner Karriere konnte Modric bessere Werte aufweisen. Die Passquote von 93,4 Prozent in der Champions League wird nur noch übertroffen von Barcas Xavi (94,4) und Bayerns Philipp Lahm (94,6).

Gründe für den holprigen Start

Vor etwas mehr als einem Jahr bedeuteten seine Quoten wenig Verheißungsvolles. Die Leser von Reals Hauspostille "Marca" wählten Modric mit knapp einem Drittel aller Stimmen zum Transferflop des Jahres. Für kolportierte 33 Millionen Euro war Modric von den Tottenham Hotspur nach Madrid gewechselt, selbst für die großzügigen Einkäufer der Königlichen kein Pappenstiel.

Die Vorbereitung lief auf vollen Touren, der Kroate wurde erst kurz vor Schluss der Transferperiode transferiert. Als er das erste Mal überhaupt den Trainingskomplex Valdebebas betrat, hatten die neuen Kollegen schon den Schliff von Trainer Jose Mourinho aufgesogen und dessen Doktrin verinnerlicht. Modric hetzte diesem frühen Rückstand in seiner ersten Saison vergeblich hinterher.

Er blieb hinter den Erwartungen, seine Presse war schlecht. Und als Kroate, einem vergleichsweise kleinen Land ohne große Erfolge in der Geschichte des Fußballs, fehlte es ihm im Land der Welt- und Europameister auch an der nötigen Reputation.

"Die Leute mögen es eben, immer über andere zu urteilen. Ich habe mich darum aber nie geschert. Ich hatte meine Ziele und habe immer an mich geglaubt. Ich habe einige schwere Zeiten in meinem Leben durchgestanden, aber letztlich haben genau diese Dinge mich stärker und zu einem besseren Menschen gemacht", sagt Modric.

Suche nach System und Personal

"Das erste Jahr bei einem neuen Klub und eine neue Art Fußball zu spielen bringen immer Probleme mit sich. Erfahrungsgemäß ist das für keinen Spieler der Welt so einfach", sagt sein aktueller Trainer Carlo Ancelotti. Dem Italiener ist es gelungen, nicht nur die Balance zwischen Offensive und Defensive seiner Mannschaft zu verbessern, sondern auch eine der Kernfragen des Traineralltags listig zu beantworten: Richte ich ein Spielsystem nach den Spielern aus, die ich zur Verfügung habe oder presse ich bestimmte Spieler in ein System, das ich für richtig halte?

Luca Modrics OPTA-Champions-League-Statistiken 2013/2014

Luka Modric war einer der Härtefälle in Ancelottis Amtszeit in Madrid. Als Xabi Alonso zu Beginn der Saison noch verletzt war, stellte Ancelotti in einem 4-2-3-1 Modric an die Seite von Sami Khedira. Mit der Rückkehr von Alonso hieß die Reihe Khedira-Alonso-Modric, mit dem Kroaten auf der halblinken Achterposition in einem 4-3-3. Khediras Verletzung im Spätherbst trieb Ancelotti kurz zurück zum 4-2-3-1-System, um dann mit dem Rückzug von Angel di Maria auf die Halbposition die zurzeit perfekte Mischung zu finden.

Di Maria (links) und Modric (rechts) flankieren Alonso in der Zentrale. Di Maria kennt diese etwas zurückgezogene Position aus seiner Zeit bei Benfica und in der argentinischen Nationalmannschaft. Er geht dort die langen Wege, offensiv wie defensiv, kann seine Dribbelstärke und seine Geschwindigkeit zur Geltung bringen und findet oft eine aufgerissene Flanke vor, wenn Cristiano Ronaldo oder wahlweise Gareth Bale sich früh zur Mitte orientieren und so wie aus dem Lehrbuch abräumen.

In der Defensive ist er stark eingebunden, weil sich Ronaldo und Bale nur mühsam davon überzeugen lassen, hartnäckig gegen den Ball zu arbeiten. Auf die beiden Halbpositionen samt den Außenverteidigern kommt da jede Menge Arbeit zu. Nicht umsonst hat Modric in dieser Saison bisher häufiger gegrätscht als Alonso.

Seite 1: Modrics schwere Anfangszeit in Madrid und seine Rolle im 4-3-3

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In der Hauptsache bleibt seine Rolle aber die des Ballträgers. In Mourinhos System mit vielen (Diagonal-)Bällen auf die konternden Dribbler Ronaldo und Di Maria wirkte Modric phasenweise verloren, wenn ein weiter Schlag nach dem anderen über seinen Kopf segelte - und die Angriffe am Boden zumeist in die Füße von Mesut Özil gespielt wurden. Jetzt ist Özil nicht mehr da und Madrids Stil hat sich entwickelt zu einem auf Ballbesitz und Positionsspiel orientierten Spiel.

Als klassischer Sechser sind viele Elemente seines Spiels ebenso verschenkt wie auf der Position hinter den Spitzen. Madrid gönnte sich den Luxus, im Sommer mit Asier Illarramendi den hoffnungsvollsten defensiven Mittelfeldspieler und in Isco den begabtesten Spielmacher der Primera Division zuzukaufen. Würde man die beiden Zugänge kreuzen, heraus käme wohl so ein Spieler wie Modric. Kaum verwunderlich, dass der sich auf der Halbposition am wohlsten fühlt, und hier seine Fähigkeiten besonders zur Geltung kommen.

Sein tiefer Körperschwerpunkt, seine Technik und seine Dribbelstärke helfen ihm auch unter hohem Gegner- und Zeitdruck in Eins-gegen-Eins-Situationen aus der Bredouille, die Seitenlinie als "besten Verteidiger" (Pep Guardiola) lässt Modric, der ehemalige Zentrumspieler, nur selten gelten. Vorausschauend und antizipativ kann er sich auch aus engsten Konstellationen befreien, seine strategischen Fähigkeiten sind enorm: Modric sucht sich immer bereits vor der Ballannahme mehrere mögliche Auswege, er scheint die Rochaden der Gegner vorausahnen zu können.

Gegenstück zu Busquets-Xavi-Iniesta

Ist der Ball im Besitz der Königlichen, flaniert Modric in dessen Dunstkreis. Er sucht den Ball und seine Mitspieler suchen mittlerweile auch ihn. Über 1000 Pässe hat Modric so in der gegnerischen Hälfte an den eigenen Mann gebracht. Im teaminternen Ranking liegt er damit unangefochten an der Spitze. Und in Europas Top-5-Ligen gibt es keinen anderen Spieler mit fünf oder mehr Assists, der ähnlich eingebunden ist in das Spiel seiner Mannschaft.

Für Real Madrid als Klub sind das erfreuliche Neuigkeiten. Jahrelang gehörten dem FC Barcelona die Schlagzeilen, wenn es um die dominanteste Mittelfeldformation der Welt ging. Busquets, Xavi und Iniesta waren als Trio unerreicht. Vielleicht sind sie es auf gewisse Weise immer noch, aber Reals Troika hat die Lücke nahezu geschlossen. Und für die Fans der Königlichen stellt sich die Frage ohnehin nicht mehr.

Manchmal ruft das Bernabeu nun auch seinen Namen. Ganz geheuer sind ihm die Ovationen der Anhängerschaft nicht. Er hält sich gerne aus allem raus. Wenn sich in vorderster Linie Benzema, Bale und Ronaldo mal wieder uneins waren, wer denn nun den finalen Abschluss hätte tätigen sollen und sich anblaffen, oder wenn sich in einer hitzigen Partie mal wieder massenhaft Spieler untereinander kabbeln und nicht mehr nur verbal aufeinander losgehen, ist Modric stets außen vor.

Zu viel Getöse ist ihm fremd, darin unterscheidet er sich fundamental zu Teilen seiner Kollegen. Modric ist jetzt 28 Jahre alt, hat 73 Länderspiele für sein Heimatland bestritten und weit über 500 als Profi. Er ist verheiratet mit Vanja und hat zwei Kinder, Ema und Ivano. Der Hausmann ist er nicht nur auf dem Papier.

Kein typisches Fußballerleben

Die Familie hat sich im Nobelvorort La Moraleja im Norden der Stadt zurückgezogen. "Ich genieße mein Leben in Spanien. Madrid ist eine große und wunderschöne Stadt, mit großen Parks, in denen ich gerne spazieren gehe. Es gibt viele große Plätze und Museen, auch historische Bauten. Und trotzdem bin ich eher der Typ, der zu Hause bleibt. Dort fühle ich mich mit meiner Frau und meinen Kindern am wohlsten. Ich spiele mit meinen Kindern, wir schauen ein paar Zeichentrickserien - was alle anderen Familien eben auch so tun."

Irgendwo in der Nachbarschaft residiert auch Ronaldo, aber das ist eher ein Zufall. Von CR7s Strahlkraft außerhalb des Platzes besitzt Modric keinen Funken, und wenn er mal ein paar Tage oder sogar Wochen Zeit hat, taucht er nicht ab ins Madrider Nachtleben, sondern verabschiedet sich nach Hause. Dann sind ihm die heimische Adriaküste und ein Treffen mit den Verwandten in Zadar doch lieber.

Hier ist er aufgewachsen, hier hat er die schlimmsten Momente seines Lebens erlebt. Als er sechs Jahre alt war, musste seine Familie vor dem Bürgerkrieg fliehen. Die Modrics wurden in einem Hotel in Zadar untergebracht, weil sein Vater Soldat war und die Armee das Gebäude zusätzlich gesichert hatte. Die Spielplätze der Umgebung waren längst zerstört, also trafen sich die Kinder und Jugendlichen in der Tiefgarage, um Fußball zu spielen.

Der Lenker des Spiels

Heute spielt er beim populärsten Klub der Welt. Für Real hat er vor dem Saisonfinale schon mehr Spiele absolviert als in der kompletten letzten Saison, 24 Mal stand er alleine in der Primera Division in der Startelf. Nur Pepe, Sergio Ramos, Ronaldo und Karim Benzema standen bisher länger auf dem Feld. Nicht umsonst behauptet Sportdirektor Predrag Mijatovic, Modric sei "neben Ronaldo der wichtigste Spieler von Real Madrid". SPOX

In Spanien nennen sie Spieler wie ihn "volante", den Lenker des Spiels. Modric pendelt zwischen den Spielabschnitten und stellt den fließenden Übergang her zwischen den defensiv ausgerichteten Linien und dem Angriff, der in Reals 4-3-3-System nicht nur quantitativ überdurchschnittlich gut besetzt ist.

An die gehobenen Ansprüche in Madrid hat sich Modric längst gewöhnt. Schon in der vergangenen Saison ließ er seine Fähigkeiten aufblitzen, er durfte sie nur nicht permanent unter Beweis stellen. "Mourinhos Taktik war nie ein Problem für mich", sagt er rückblickend trotzdem. Am Ende seiner Entwicklung sieht sich Luka Modric auch noch nicht.

"Ich spiele bei Real Madrid - das ist der Klub auf der Welt, in dem du dich nie zurücklehnen kannst. Was gestern war, kann morgen schon nicht mehr funktionieren. Die Fans, der Klub: alle sind so fordernd, du musst dich immer weiter verbessern", sagt er. "Der Druck ist enorm. Aber damit habe ich nie ein Problem gehabt. Ich mag Druck - er macht aus mir einen besseren Spieler."

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