Die zwei Gesichter der Roma

Ben Barthmann
21. Oktober 201414:53
Können Francesco Totti und Co. dem FC Bayern gefährlich werden?spox
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Rudi Garcia hat beim AS Rom alte Tugenden mit neuen Ideen versehen. Herausgekommen ist eine Mannschaft, die wandlungsfähig, aber immer attraktiv spielt und dem FC Bayern München in der Champions League (Dienstag 20.45 Uhr im LIVE-TICKER) große Probleme bereiten kann.

Der AS Rom ist zurück im europäischen Wettbewerb. In der Liga haben sich die Hauptstädter als ernsthafter Konkurrent für Juventus Turin erwiesen und spielen den vielleicht ansehnlichsten Fußball Italiens. Eine Vorgehensweise, die die Mannschaft von Rudi Garcia gegen den FC Bayern München allerdings nicht umsetzen wird.

In der Serie A erobert der AS Rom immer den Ballbesitz. Egal ob der Gegner Juventus Turin oder Chievo Verona heißt - Garcia will, dass sein Team das dominante ist. "Die Roma spielt immer, um zu gewinnen", gab er bei seiner Vorstellung bekannt, Fußball sei "immer ein Spektakel" unter ihm. Die Liga hat das zu spüren bekommen, ein neuer Startrekord und der zweite Platz sprangen am Ende der Saison 13/14 heraus.

Grundbaustein von Enrique

Das Abenteuer begann bereits unter Luis Enrique. Der derzeitige Barcelona-Trainer installierte eine 4-3-3-Grundordnung in der Ewigen Stadt und ließ vom angestaubten Defensivfußball ab. Weil es am Ende nicht für das internationale Geschäft reichte, musste der Spanier bereits nach einer Saison wieder die Koffer packen. Seine Nachfolger profitieren allerdings weiter vom Grundbaustein, den er legte.

Es ähnelt ein wenig der Situation des FC Bayern München. Louis van Gaal begann mit dem Fundament, Jupp Heynckes erweiterte es um neue Aspekte und durchbrach alte Grenzen, ehe Pep Guardiola derzeit den nächsten Schritt verübt. Einen Schritt, den Rudi Garcia schon vollzogen hat. Die Roma spielt attraktiv, offensiv, mit viel Ballbesitz und steter Torgefahr.

Aktionsradius gegen AC Florenz: Am ersten Spieltag der Saison zeigte die Roma ihr offensives Gesicht. Hohe Verteidiger, zentrale Stürmer, die Außenverteidiger geben die nötige Breite. Es entsteht, wenn man so will, ein 2-1-4-1-2.

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Totti in der Urform

Ein geordneter Spielaufbau bis in die gegnerische Hälfte erlaubt es der Mannschaft, geschlossen aufzurücken. Ohne Eile spielen die Innenverteidiger nach vorne und nähern sich immer mehr der Mittellinie. Dann wird es schneller, direkter und gerne auch mal hoch. Der ewige Francesco Totti kommt aus dem Zentrum entgegen, die schnellen Außenbahnspieler stechen in die Mitte.

Ein System, das gut funktioniert. Die Roma hält einen Schnitt von zwei Toren pro Spiel. Weil die Mannschaft geschlossen aufrückt und die Defensive rund um Daniele de Rossi auf der Mittellinie verteidigt, können Bälle nach Verlust schnell wieder erobert werden, so steht auch die Defensive sicher.

Stärken im offensiven Eins-gegen-Eins

Gefahr erzeugt man nicht nur über die sehr guten Distanzschützen, sondern auch durch auffallen viele, sehr präzise Lupfer über die Abwehrkette in den Rücken der Innenverteidiger. Die gesamte Offensivabteilung Roms ist sehr stark im offensiven Eins-gegen-Eins, kommen sie mit Tempo nach innen, sind sie kaum zu halten.

Erobert der Gegner den Ball, steht die Roma bereits kompakt und nah am Mann. Das Rückwärtspressing fällt leicht, ehe man sich in eine tiefe Abwehrformation zurückzieht. Denn das Verteidigen bleibt auch unter Garcia eine Tugend der Mannschaft, erst vier Gegentore musste man in dieser Liga-Saison hinnehmen.

Angriffspressing bei kurzem Spielaufbau

Ein mindestens ebenso wichtiger Faktor ist das phasenweise sehr hohe, aggressive Anlaufen im Spielaufbau. Entscheidet sich der Gegner für den kurzen Aufbau vom Torwart heraus, wird auf dem Spielfuß angelaufen und so zu langen, ungenauen Bällen gezwungen.

Dann spielt die Roma einen ihrer großen Trümpfe aus: Das extrem zweikampfstarke Zentrum rund um de Rossi und Leandro Gastan und die Neuzugänge Konstantinos Manolas und Davide Astori.

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Mittel und Wege, auf die Rudi Garcia natürlich auch in der Champions League nicht verzichten will. Dennoch zeigte die Roma gegen Manchester City, dass sie auch ganz anders kann. Defensiv ausgerichtet, mit allen Spielern hinter dem Ball, überließen sie den Engländern den Ball und konzentrierten sich auf schnelle Gegenangriffe über die Flügel.

Ein Bild, das man wohl auch gegen den FC Bayern München erwarten kann. Denn bereit ist die Roma noch nicht, sich mit den Größen des internationalen Fußballs mit offenem Visier zu messen. Dafür fehlt auf entscheidenden Positionen die Erfahrung, wie bei Miralem Pjanic oder dem blutjungen Mapou Yanga-Mbiwa in der Innenverteidigung.

Spiegelung des gegnerischen Systems

So entschied sich Garcia gegen City - und damit wohl auch gegen die Bayern - für eine Spiegelung des gegnerischen Systems. Eine simple Methode für defensivorientierte Mannschaften, um dem gegnerischen Spiel Schwierigkeiten zu bereiten. Aus dem 4-4-1-1, das Manuel Pellegrini auf das Feld schickte, wurde für die Roma ein 4-1-4-1, in dem verteidigt wurde.

Die Italiener gaben tatsächlich den Ballbesitz auf und zogen sich weit zurück. Bis hinter die Mittellinie drängten David Silva und seine Mittelfeldspieler den Gegner, erarbeiteten sich aber auch kaum Chancen. Das einzige Tor fiel durch einen Elfmeter. Ganz anders machte es die Roma. Bestes Beispiel war das Tor: Spielaufbau über drei Stationen vom Innenverteidiger zu Totti, der Joe Hart überlupft.

Fünf Ballkontakte sind es bis zum erfolgreichen Torabschluss. Keine zehn Sekunden hat es gedauert. Die Roma hat bewiesen, dass es auch ohne große Ballbesitzzahlen geht - das Kontern funktioniert. Mit sehr engen Mannschaftsteilen und ein oder zwei konsequent mitverschiebenden Spitzen.

Flügel? Mitte!

Weil die Bayern gerne über die Flügel kommen, um dann den Weg in die Mitte zu suchen, versuchen viele Mannschaften, die Flügel doppelt zu besetzen oder gar vom Rest des Spielfelds abzuschneiden. Werder Bremen versuchte es und musste sechs Gegentreffer hinnehmen. Was dabei nämlich gerne vergessen wird, ist dass der FCB die Tore im Zentrum erzielt.

Schon sobald der Ball auf dem Flügel ist, rücken die Mittelfeldspieler an die Strafraumgrenze, um einen zweiten oder schlecht abgewehrten Ball schnell zu erobern und wenige Meter vor dem Tor zum Abschluss zu kommen. Die Roma zeigte gegen City, die mit einem ähnlichen Ansatz spielen, wie es anders gehen kann.

Pässe von Francesco Totti gegen Manchester City: Totti, der auf dem Papier als Sturmspitze auflief, spielte einen Großteil seiner Pässe aus dem Mittelfeld heraus. Entweder ließ er direkt zurück prallen, oder spielte selbst den langen Ball auf die startenden Flügelstürmer.

Dreifache Absicherung gegen zweite Bälle

De Rossi, Radja Nainggolan und Miralem Pjanic besetzten den Raum rund um den Strafraumkreis. Totti fungierte in Nähe des Mittelkreises als Umschaltstation, die schnellen Alessandro Florenzi und Gervinho als Spitzen. Es entstand situativ und meist nur sehr kurz ein wirklich so zu erkennendes 4-3-1-2 mit breit stehenden Stürmern.

Wurde der Ball erobert, schalteten sich die Außenverteidiger ein, spielten aber schnell wieder zu dem sich kurz anbietenden Totti. Gleichzeitig zogen die Außenstürmer in die Mitte und wurden in die entstandenen Lücken mit hohen, langen Bällen geschickt. Fast ein Fünftel der Pässe schlug die Roma gegen Manchester City lang, normalerweise befindet sich das Team bei einer Quote von ungefähr neun Prozent.

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Dabei zeigte die Roma über lange Phasen des Spiels weg auch eine mutigere Methode. Hatten sie es geschafft, den Ball in der gegnerischen Hälfte unterzubringen, stellte die vordere Dreierreihe im 4-3-3 die nächsten Passstationen zu, während die drei Spieler dahinter sich sehr mannorientiert bewegten. Allerdings nur so lange der Ball in der gegnerischen Hälfte war. Wurde er über die Mittellinie gespielt, ging die Mannschaft wieder zur raumorientierten Deckung zurück.

Eine Möglichkeit, die auch gegen die Bayern nicht unwahrscheinlich ist. Die Spielidee Guardiolas sieht einen zentralen Spieler vor, der Balance gibt und das Spiel lenkt. In Deutschland wurde er schnell im 4-1-4-1 entdeckt und festgemacht, auch wenn der Spanier selbst nicht viel von diesen Zahlenspielen hält. Xabi Alonso wird es wohl sein gegen die Roma, der sich des zentralen Mittelfelds annehmen wird.

Dass dieser allerdings unter Gegnerdruck nicht so sicher ist, wie es der Name vermuten lässt, war bereits in der letzten Saison sowohl in der spanischen Nationalmannschaft, als auch mit Real Madrid zu erkennen. Schaffte es der Gegner konsequenten Druck auszuüben, unterlaufen dem sonst so ballsicheren Alonso ungewohnte Ballverluste.

Zerstören des Spielaufbaus

Bauen die Bayern das Spiel auf, will Guardiola Pässe von innen aus der Verteidigung nach innen ins Mittelfeld und von dort nach außen. Das Überspielen der Linien des Gegners ist zentraler Bestandteil seiner Spielphilosophie in München. Defensiver Ballbesitz von Verteidiger zu Verteidiger und zurück verabscheut der Spanier. Dazu wird ihn Rom zwingen wollen.

Pässe von Martin Demichelis und Vincent Kompany gegen die Roma: Beide Innenverteidiger der Citizens fanden kaum Anspielstationen in der Mitte. Trotz Dreifachbesetzung durch David Silva, Yaya Toure und Fernandinho lief der Ball ohne Raumgewinn meist quer. Von links nach rechts und von rechts nach links.

Die erste Linie aus den drei Spitzen wird konsequent mitverschieben, allerdings nicht attackieren, solange der Ball bei einem Verteidiger liegt. Währenddessen hält sich die zweite Reihe eng orientiert an ihren Männern im Mittelfeld. Gut möglich, dass bisweilen lange Bälle gefragt sind, um sich selbst davor zu bewahren, in V-Form den Ball im eigenen Drittel zirkulieren zu lassen.

Zwei Gesichter werden zu einem

Somit könnte die Kombination aus Fähigkeiten, die einen in der Liga wieder zu einem Spitzenteam, sowie dem defensiven Gesicht der Roma aus dem City-Spiel den Bayern die vielleicht unangenehmste Aufgabe der Gruppenphase liefern.

Garcia wird sich nicht entscheiden zwischen der defensiven Variante und der riskanten, aber näher am eigenen Torerfolg liegenden Möglichkeit. Er wird beide im Laufe des Spiels einsetzen, sich dem Spiel anpassen und phasenweise die Bayern in Sicherheit wiegen oder unter Druck setzen. Denn das ist das, was die Roma so stark macht, diese Flexibilität, wie sie nur wenige Mannschaften in Europa umsetzen können.

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