Der FC Schalke 04 braucht am 6. Spieltag der Champions-League-Gruppenphase bei NK Maribor (20.45 Uhr im LIVE-TICKER) einen Sieg, um die Chance auf den Einzug ins Achtelfinale zu wahren. Manager Horst Heldt spricht im Interview vor der Partie in Slowenien über die Dominanz des FC Bayern München, seinen Lösungsansatz zur hohen Spielerbelastung, künftig aufgeblähte Kader und erklärt, weshalb Schalkes Philosophie auch als permanenter Drahtseilakt zu verstehen ist.
SPOX: Herr Heldt, nach der besten Rückrunde der Vereinsgeschichte herrschte während der Sommervorbereitung eine ziemliche Ruhe für Schalker Verhältnisse. Wie wird es in der Winterpause zugehen?
Horst Heldt: Anders, vermute ich. Wenn wir es schaffen, in der Champions League zu überwintern, dann wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung getan. Vorhersehen kann ich nichts, wissen tue ich aber folgendes: Die Stimmung wird wie immer auch von den Ergebnissen abhängig sein.
SPOX: Sollte sich bis dahin nichts Weltbewegendes tun, wird der FC Bayern München souveräner Herbstmeister. Im Sommer sagten Sie, man müsse es als Schalke 04 für möglich halten, die Bayern von ganz oben wegholen zu können - das dies möglich ist, habe ja schließlich die Vergangenheit gezeigt. Und nun?
Heldt: Ich wurde damals nach den Zielen von Schalke 04 gefragt. Nach einer WM ist es eigentlich traditionell so, dass die Vereine, die viele Spieler abgestellt haben, anfangs auch Probleme haben. Aufgrund dieser Erfahrungen der Vergangenheit dachte ich, dass dies eventuell auch für die Bayern gelte. Anfangs hatte sich das ja auch angedeutet, mittlerweile muss man jedoch konstatieren, dass es sich nicht bewahrheitet hat.
SPOX: Heißt für Schalke?
Heldt: Es ist für jeden Verein nichtsdestotrotz ein lohnendes Ziel, sich zu überlegen, was man tun könnte, um mittelfristig-perspektivisch am Status der Bayern zu kratzen. Wenn man wie wir drei Mal in Serie in die Champions League einzieht, muss man die Freiheit haben, darüber nachzudenken, welchen Reiz man sich für die kommenden Jahre setzen kann - auch wenn es ohne Frage ein hohes Ziel ist.
SPOX: Wie sehr beschäftigt Sie als Manager von S04 die erdrückende Dominanz der Bayern?
Heldt: Ich wundere mich immer wieder darüber, dass man das wiederholt zum Thema macht. Bayerns Dominanz ist doch nicht neu. Als ich noch Spieler war, standen die Bayern ebenfalls häufig mit großem Vorsprung an Tabellenplatz eins. Das wird auch in Zukunft der Normalfall sein. Doch es gab innerhalb ihrer Dominanz auch immer wieder Ausreißer und es ist mal eine andere Mannschaft Meister geworden.
SPOX: Während die Bayern einsam ihre Kreise ziehen, hat Schalke bereits einen Trainerwechsel hinter sich. Ihr Ex-Trainer Jens Keller sprach im ersten Interview nach seiner Entlassung davon, dass der Job auf Schalke sehr extrem und intensiv war. Halten Sie es in gewisser Weise für normal, dass egal ob im Negativen oder im Positiven ein Job in verantwortlicher Position auf Schalke als extrem empfunden wird?
Heldt: Wir sind alle sehr froh, dass sich so viele Leute mit Schalke 04 beschäftigen, auseinandersetzen und auch identifizieren. Je mehr Leute sich dafür interessieren, desto größer ist die Fokussierung und Thematisierung. Es gibt in der Bundesliga sicherlich Positionen, auf denen alles weniger hektisch wirkt und weniger intensiv begleitet wird. Man muss sich dessen eben bewusst sein - und das war Jens auch. Schalke 04 ist eine große Aufgabe und die hält nicht immer Sonnenscheintage bereit, das ist ganz normal.
SPOX: Inwiefern täte dem Verein in dieser Hinsicht auch eine gewisse Entschleunigung gut?
Heldt: Wir sind weit davon entfernt, uns zu beschweren oder zu jammern, aber ich glaube schon, dass es heutzutage dazu gehört, gerne auch über das Negative zu berichten. Das lässt sich gleichermaßen gut schreiben und verkaufen wie positive Dinge. Wenn es bei manchen Vereinen in gewissen Zyklen nicht optimal läuft, stehen sie eben auch im Vordergrund. Die Gesamtbetrachtung ist insgesamt schon recht oberflächlich geworden, die zentralen Themen bewegen sich oftmals nur noch in einem schwarzen oder weißen Bereich. Die Bereiche dazwischen scheinen nicht mehr interessant zu sein, so dass Recherche oder Ursachenforschung häufig auf der Strecke bleiben.
SPOX: Intensiv soll es bei Königsblau auch in der Winterpause zugehen, wenn der neue Coach Roberto di Matteo das erste Mal die Gelegenheit hat, längere Zeit am Stück mit der Mannschaft zu arbeiten. Ist es für einen Verein mit Mehrfach-Belastung nicht ein Jammer, während der Saison kaum zielgerichtete Trainingseinheiten abhalten zu können?
Heldt: Leider Gottes ist es so, absolut. Wir sind zwar leider früh im DFB-Pokal ausgeschieden, wären wir aber noch dabei, müssten wir aufgrund der zahlreichen Länderspielabstellungen eine Vierfach-Belastung verkraften. Wenn die Bundesliga pausiert, haben wir keine Möglichkeit, unsere Arbeit hier vor Ort auf dem Trainingsplatz besser zu gestalten. Da rennen dann sieben bis zehn Spieler rum und man ist nicht in der Lage, mit der Mannschaft an sich zu arbeiten. Das ist sehr bitter und zieht sich mittlerweile durch große Teile einer Saison. Vernünftiges Training ist eigentlich nur noch in der Sommer- und Wintervorbereitung möglich.
SPOX: Theoretisch besteht ja nicht einmal ein Unterschied darin, ob man während einer Saison aufgetretene Probleme über Trainingsarbeit minimieren möchte oder kontinuierlich Trainingsschwerpunkte abarbeitet.
Heldt: Dazu besteht mittlerweile einfach keine wirkliche Möglichkeit mehr. Während einer laufenden Spielzeit kommt hin und wieder ja auch zum Vorschein, dass sich ein Verein, der nur am Wochenende spielt und wenige Nationalspieler im Kader hat, zumindest für den Augenblick einen Vorteil über das Training regelrecht erarbeiten kann. Man ist auch begrenzt in den Möglichkeiten, einen Kader so aufzublähen, dass man auf alle Eventualitäten Einfluss nehmen kann.
SPOX: Glauben Sie dennoch, dass 30-Mann-Kader daher künftig häufiger an der Tagesordnung sind als jetzt?
Heldt: Davon bin ich fest überzeugt, jedenfalls was die Vereine mit der angesprochenen Vierfach-Belastung angeht. Bayern, Dortmund, auch Leverkusen und wir mussten in den letzten Jahren mit die größte Belastung aushalten - und alle haben jetzt enorme Verletzungssorgen. Deshalb glaube ich, dass man dort künftig anders denken wird. Andererseits betrifft diese Flut an Verletzungen ja die gesamte Bundesliga. Gefühlt liest man jeden Tag von einer neuen Verletzung.
SPOX: Ein solch großer Spielerkader birgt doch aber auch Probleme bei der kurz- und mittelfristigen Planung.
Heldt: Das kommt hinzu. Man darf ja nicht nur für ein Jahr planen, sondern muss mindestens die nächsten drei im Blick haben und hat dennoch keine Garantie für nichts. Es würde einen Verein natürlich aus dem Gleichgewicht werfen, wenn man mit einem 30er-Kader plötzlich eine Saison lang nicht international spielt. Dann schwinden die Einnahmen, die Verträge laufen aber trotzdem weiter und die Gehälter müssen bezahlt werden. Ganz zu schweigen von möglichen atmosphärischen Problemen, die auftreten können, wenn der Kader so groß ist und nur elf spielen können.
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SPOX: Der dichte Rahmenterminkalender und die hohe Belastung der Spieler werden praktisch von allen Seiten kritisiert. Dennoch hat man den Eindruck, diese Kritik verhalle ungehört, weil sich niemand wirklich zuständig fühlt. Täuscht dieser Eindruck?
Heldt: Ganz und gar nicht. Die Macht der Vereine ist begrenzt. Diejenigen, die Einfluss nehmen könnten, nehmen sich der Situation nur bedingt an, weil dort wieder andere politische Kräfte wirken. Vieles geht zu Lasten der Vereine, das lässt sich nicht mehr wegdiskutieren.
SPOX: Was muss also passieren, wer kann Einfluss nehmen?
Heldt: Europäisch gesehen müssten sich die starken Vereine zusammentun und gegen die FIFA und UEFA agieren. Das fordere ich nicht, aber es erscheint mir das einzig realistische Szenario. Viele kleinere Verbände finanzieren sich aber über die Länderspiele, so dass sich der Einfluss größerer Verbände wiederum in Grenzen hält. Fakt ist: Am Ende der Kette sind die Vereine die Leidtragenden.
SPOX: Hört sich ziemlich ausweglos an. Es müsste sich wohl der Fußball wieder zurückentwickeln.
Heldt: Tja, das ist nicht möglich. Damit hängen die Verletzungen und hohen Belastungen aber durchaus auch zusammen, keine Frage. Der Fußball ist noch dynamischer und athletischer geworden. Es ist erwiesen, dass man früher weniger gelaufen ist und weniger Sprints oder intensive Läufe abgespult hat. Das hat sich mehr oder weniger beinahe verdoppelt. Wenn man dann aber gefordert ist, dies im Dreitages-Rhythmus zu machen, macht der Körper das irgendwann nicht mehr mit.
SPOX: Eine Art Teufelskreis, an dem sich kurzfristig nichts ändern wird. Woran sich ebenfalls nichts ändern soll, ist, dass Schalke eingetragener Verein bleibt. Der FC Bayern und Borussia Dortmund haben sich strategische Partner ins Boot geholt und frisches Geld bekommen. Fürchten Sie um die Schalker Konkurrenzfähigkeit?
Heldt: Nein. Sehen Sie: Wir haben uns in den letzten drei Jahren in Vorstand und Aufsichtsrat der Aufgabe verschrieben, zwei große Ziele zu erreichen und ein drittes anzupacken. Das erste Ziel war, den Verein finanziell zu konsolidieren. Das ist gelungen, wir haben unsere Verbindlichkeiten um rund 70 Millionen Euro abbauen können. Gleichzeitig galt es, dabei den größtmöglichen Erfolg zu generieren. Mit den drei Teilnahmen in die Champions League hat das ebenfalls funktioniert.
SPOX: Welches ist Ziel drei?
Heldt: Mittelfristig in Steine zu investieren, um die Grundvoraussetzungen für die kommenden Jahre zu legen. Wir wollen ein Trainingsgelände, das den Anforderungen auch gerecht wird. Das packen wir in naher Zukunft an.
SPOX: Dennoch: Die Konkurrenz schläft nicht.
Heldt: Korrekt. Vereine wie der HSV oder wohl bald auch der VfB Stuttgart gliedern aus, andere haben schon strategische Partner. Das macht die Situation für uns, die wir ein e.V. sind und auch bleiben wollen, natürlich nicht leichter. Dennoch bleiben wir bei unserem Bestreben, unter diesen, unseren Voraussetzungen das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Das wird nicht einfach, aber wie beschrieben hat die jüngere Vergangenheit gezeigt, dass es durchaus möglich ist.
SPOX: Bei aller Konkurrenzsituation muss Schalke auch in den nächsten Jahren der Spagat gelingen, einerseits möglichst in der Champions League vertreten zu sein, andererseits die Verbindlichkeiten weiter abzubauen. Sähen Sie noch eine andere Möglichkeit?
Heldt: Nein, der Schalker Weg ist alternativlos. Aus dem gerade genannten Grund: Wir sehen uns als e.V. und wollen e.V. bleiben. Natürlich setzt man sich Rahmenbedingungen und tut sich leichter, wenn diese Leitplanken nicht zu eng gesteckt werden. Es ist auch ein Drahtseilakt, auf dem man sich befindet. Wir stehen weiterhin vor großen Herausforderungen, denen wir uns wie bislang stellen wollen.
SPOX: Wenn Sie den Vorsprung der Bayern und die Dortmunder Entwicklung zur deutschen Nummer zwei sehen, die finanziellen Schwergewichte aus Leverkusen, Wolfsburg und bald Leipzig noch dazu nehmen, welcher Anspruch ist dann für Schalke in den nächsten Jahren überhaupt realistisch?
Heldt: Das erklärte Ziel für die Zukunft habe ich gerade eben beschrieben (lacht). Wir wollen versuchen, diese Begebenheiten aufrecht zu erhalten. Es wäre falsch, sich von dem zu verabschieden, wovon wir in der Vergangenheit gelebt haben. Wir haben uns die Ziele in der aktuellen Konstellation gesetzt und wollen sie auch in dieser Konstellation angehen. Andererseits muss auch wirklich jedem bewusst sein, dass sich andere Vereine andere Voraussetzungen schaffen, die dadurch die Möglichkeit besitzen können, in der einen oder anderen Situation freier zu agieren.
SPOX: Keller meinte in seinem Interview auch, dass sich kaum ein Verein in Deutschland einen solchen Erfolgsdruck auferlege wie Schalke. Passt Understatement nicht zur Marke S04?
Heldt: Uns würde es doch niemand abnehmen, wenn wir nach dreimaliger Qualifikation für die Königsklasse plötzlich Platz sechs als Ziel ausgeben. Das glaubt doch niemand. Selbst die eigenen Spieler würden das als lächerlich empfinden.
SPOX: Borussia Mönchengladbach ist in letzter Zeit mit Understatement gut gefahren.
Heldt: Unsere Historie der letzten Jahre ist doch aber eine ganz andere. Wir waren in den letzten zehn Jahren neun Mal international vertreten und haben uns vielleicht auch durch den Druck, den wir uns selbst auferlegen, zu den Top 10 in Europa gemausert. Wir hätten es als zweiter deutscher Verein überhaupt fast geschafft, in Topf 1 der Champions-League-Auslosung zu kommen. Die ambitionierten Ziele, die wir uns gesteckt haben, tragen also durchaus ihre Früchte. Klar, man konnte und kann immer besser agieren. Man vergisst aber viel zu oft unsere Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahre.
SPOX: Dass das Thema Meistertitel zuletzt aber mehr hemmte als motivierte, hat Clemens Tönnies kürzlich eingestanden. Pflichten Sie ihm bei?
Heldt: Ja. 2001 und 2007 haben wir zwei Mal intensiv an der Schale gekratzt. Wenn man das aber aus der aktuellen Warte heraus analysiert, dann scheint man damals zu einem gewissen Zeitpunkt mit der Last des Drucks nicht zurechtgekommen zu sein. Das ist rückblickend von mir zwar einfach gesagt, denn ich war nicht dabei und brauche auch nicht so zu tun, als wüsste ich es besser.
SPOX: Aber?
Heldt: Natürlich haben diese beiden Episoden bei uns dafür gesorgt zu sagen, dass wir den Druck der unbedingten Meisterschaft aus den Köpfen der Leute kriegen müssen. Gleichzeitig dürfen wir aber auch nicht den Fehler machen, uns kleiner zu machen als wir sind. Wir dürfen den Traum vom Titel nicht verlieren, müssen uns aber realistisch sowie zeitgemäß einschätzen. In diesem Spannungsfeld bewegt man sich als ambitionierter und zweitgrößter Verein Deutschlands.
SPOX: Wer glauben Sie, wird der nächste Überraschungsmeister der Bundesliga?
Heldt: (überlegt lange) Dieses Jahr wird es keinen Überraschungsmeister geben. Um sagen zu können, was die nächsten Jahre passiert, dafür reicht mein Bauchgefühl nicht aus. Ich bin aber überzeugt, dass es auch weiterhin Überraschungsmeister geben wird.
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