Viel kann man Julen Lopetegui nicht entlocken. Er ist kein Mann der großen Worte oder gar der großen Rede. Beeindruckend unspektakulär sind seine Pressekonferenzen, mit unglaublicher Präzision liefert er Minuten ohne wirklichen Mehrwert. Alles dreht sich in der Pressekonferenz vor dem Spiel im Viertelfinale der Champions League (Mi., 20.45 Uhr im LIVE-TICKER) um den FC Bayern München.
Wie er denn die Bayern finde. "Kolossal", natürlich. Ob es denn Parallelen gebe zum großen Gegner aus dem Freistaat. "Es gibt keine zwei gleichen Mannschaften." Eine Chance für sein Team? "Wir haben großen Respekt und werden sehen, was möglich ist." Auch angesichts der zahlreichen Ausfälle? "Wir dürfen nicht an die Spieler denken, die sie nicht haben, sondern an die, die sie haben."
Die Bühne ist so groß wie noch nie zuvor im Leben des Julen Lopetegui und doch interessiert sich kaum jemand für den blassen 48-Jährigen. Dabei hätte er so viel zu erzählen: Über seine Spielidee, seine Herangehensweise, seinen langfristigen Plan mit dem FC Porto.
Offensivspiel ohne Ausnahme
Man muss nur die richtigen Fragen stellen. Dann sprudelt es nur so aus ihm heraus, er gestikuliert wild und greift nach Gegenständen, um taktische Situationen nachzustellen. "Du kannst gegen eine Mannschaft verlieren, die nur 20 Prozent Ballbesitz hat", stellte er gegenüber UEFA.com vor dem Spiel gegen die Bayern fest.
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Das entspricht aber nicht der Idee, die Lopetegui vom Fußball hat. "Wenn wir den Ball haben, können wir angreifen und der Gegner kann uns nicht weh tun", bringt der Spanier es auf den Punkt. Egal ob in seiner Zeit als Jugendtrainer der spanischen Nationalmannschaften oder als Trainer beim FC Porto - er zieht sein Ding durch.
Sein Ding, das ist zielgerichteter Ballbesitzfußball, sogar ein bisschen Positionsspiel, kompromisslos offensiv und attraktiv. "Soll man sich dem Stil des Gegners anpassen? Nein. Aber man muss versuchen, auf die Fragen des Gegners eine gute Antwort zu finden, am besten indem man attackiert und die Initiative übernimmt", so Lopetegui.
Langfristiges Projekt in Porto
Klassisch spanisch, könnte man meinen. Zumindest in der Riege aus Pep Guardiola, Vicente del Bosque oder Paco Jemez dürfte sich der Porto-Coach wie zu Hause fühlen. Ein wenig Sturheit trifft auf eine klare Idee vom dominanten Fußball. Alle wollen die Partie stets im Griff haben, das Tempo lenken und agieren statt reagieren. Abweichen von der eigenen Linie gibt es im Normalfall nicht, auch wenn Ausnahmen die Regel bestätigen.
Jeder der genannten Trainer hat seine Kniffe, um seine Mannschaft variabler zu machen - die Strategie steht aber am Ende immer vor der Taktik. So auch Lopetegui, der in Porto ein "langfristiges Projekt" gefunden hat, mit jungen Spielern ungestört für einige Zeit arbeiten zu können.
16 neue Spieler durfte er vor Saisonbeginn unter Vertrag nehmen, sieben davon waren Spanier. Der Spanier hat eine klare Idee, für die er seine Mittel braucht, die ihm wiederum von Porto gestellt werden. Der Klub hat sich darauf eingelassen, einem auf Klubebene völlig unerfahrenen Trainer die Geschicke der ersten Mannschaft über Jahre hinweg anzuvertrauen.
"Schaue nicht in die Ausweise"
Porto ist abhängig von Verkäufen ins Ausland. Die portugiesische Liga bietet nicht die finanziellen Möglichkeiten, um eine Mannschaft aufzustellen, die regelmäßig um den Champions League Sieg mitspielt. Dementsprechend will man mit Lopetegui zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Einerseits ist der Trainer erfahren im Umgang und in der Entwicklung von jungen Spielern, andererseits sollen die Verluste den Kader nicht mehr so tief treffen wie zuletzt.
Dementsprechend prallte die Kritik zu Beginn der Saison ab, ohne Schaden zu hinterlassen. Die verlorenen Spiele gegen Sporting und Benfica brachten den Trainer nie in eine prekäre Lage, machte er doch von Anfang an klar, welchen Weg er gehen will. Auf dem Weg zur sportlichen Weiterentwicklung ist er keiner, der Kompromisse eingeht.
Altstar Ricardo Quaresma flog aus der Mannschaft, Lopetegui begann damit, ein junges Team zusammenzustellen. Mit knapp 22 Jahren im Schnitt ist Porto das jüngste Team dieser CL-Saison, allerdings auch als einziges noch ungeschlagen. Der Spanier vertraut ohne zu zögern auf Spieler ohne viel Erfahrung, aber mit großem Talent: "Ich schaue mir nicht die Personalausweise an, bevor ich die Aufstellung festlege."
Anerkennung von Guardiola
Für seinen Weg geht er auch Risiken ein, ähnlich wie Gegenüber Guardiola. Spieler nur an einer Rolle festzumachen, reicht ihm nicht. So wurde beispielsweise aus Flügelstürmer Juan Bernat in der spanischen Jugend ein Außenverteidiger, weil entsprechende Konkurrenz fehlte. "Ohne ihn wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin" zeigte sich der Bayern-Verteidiger im Müchner Merkur dankbar.
Lopetegui, einst selbst ein durchschnittlicher Torwart, hat ein Gespür dafür, wie er seine Spieler einsetzen kann und wie nicht. Die Mannschaftsführung geht ihm leicht von der Hand, innerhalb weniger Monate hat er aus vielen Einzelteilen einen Champions-League-Viertelfinalisten gemacht. Selbst Quaresma holte er zurück, nachdem er den Portugiesen von seinen Ideen überzeugen konnte.
Das ist auch in der Welt des Fußballs nicht unentdeckt geblieben. "Es ist eine Ehre für mich. Ich beglückwünsche ihn jetzt schon zu seiner tollen Leistung", zeigte sich Guardiola vor dem Duell beeindruckt von seinem ehemaligen Teamkameraden. Kein Wunder, ist er doch einer der wenigen Trainer, die eine bessere Quote aufzuweisen haben, als der Bayern-Trainer. 77 Prozent Siege sind es für Lopetegui, 75 Prozent Siege für Guardiola.
In Spanien halten ihn viele nicht umsonst für den bestmöglichen Nachfolger Vicente del Bosques als Nationaltrainer. Nichts, worüber Lopetegui gerne spricht: "Es macht keinen Sinn, im Fußball über eine Hypothese zu diskutieren."
Julen Lopetegui im Steckbrief