Juventus Turin steht zum ersten Mal seit zwölf Jahren wieder in einem Champions-Legue-Finale (Sa., 20:45 Uhr im LIVE-TICKER). Nach dem Zwangsabstieg 2006 dauerte es lange bis die Alte Dame wieder Fahrt aufnahm. Dennoch kann die Geschichte nicht vergessen werden. Die Geschichte einer Wiederauferstehung.
Das Jahr 2006 war für den italienischen Fußball wohl das Bedeutendste, seitdem das runde Leder im Stiefelstaat über den Rasen gejagt wird. Am 9. Juli wurde man Weltmeister. An sich eine große Überraschung, da dem Kader keine weltmeisterliche Qualität zugesprochen wurde.
Interessanterweise war es aber nicht dies, was die italienischen und zahlreiche europäischen Sportgazzetten auf Dauerbetrieb hielt. Nicht der vierte Stern auf dem Trikot der Azzurri war das große Thema, sondern ein Schandfleck auf dem schwarz-weiß gestreiften Trikot des italienischen Rekordmeisters.
So blieb der große Tag des Fußballs in Italien nicht der 9. Juli, sondern der 2. Mai. An jenem Tag deckte die Gazzetta dello Sport den größten Skandal auf, den das fußballverrückte Land jemals über sich ergehen lassen musste: Juventus Turin wurde beschuldigt, in Person des damaligen Sportdirektors Luciano Moggi Schiedsrichter bestochen und Spiele manipuliert zu haben.
Der Kavalier und seine Angetraute
"Calciopoli" war geboren. Juventus musste absteigen. Nachdem man in erster Instanz zusätzlich zu einem Punkteabzug von 30 Punkten verurteilt wurde, wurde das Urteil gemildert und die Bianconeri begannen die Saison mit neun Minuspunkten.
Größen wie Fabio Cannavaro und Zlatan Ibrahimovic verließen den Verein. Doch die wahren Größen, die "Bandiere" Juves hielten ihrem Verein die Treue: Gianluigi Buffon und Alessandro Del Piero traten den Gang in die Serie B an, die Kapitäne gingen mit dem Flaggschiff des italienischen Calcios unter. "Ein Kavalier verlässt seine Dame nicht", ließ Juve-Legende Alessandro Del Piero damals verlauten.
Gleich im ersten Jahr wurde das Ziel Wiederaufstieg angepeilt und drei Runden vor Schluss auch erreicht. Del Piero und David Trezeguet schossen die Liga kurz und klein, Buffon musste nur 30 Mal hinter sich greifen. Der direkte Wiederaufstieg unter Trainer Didier Deschamps war perfekt, doch der Leidensweg fand erst seinen Anfang.
Deschamps hatte mehrmals angekündigt, dass Juve für den sofortigen Titelgewinn in der Serie A nicht bereit war. Sätze, die den Obrigkeiten in Turin gar nicht schmeckten. Deschamps wurde von allen Seiten kritisiert. Schließlich bat der Erfolgscoach um eine Vertragsauflösung.
Die Last vergangener Erfolge
Wie vom Franzosen angekündigt, gestalteten sich die ersten Jahre in der Serie A durchwachsen. Das lag nicht nur am Sportlichen, sondern vor allem an der Transferpolitik und den Personalentscheidungen der Turiner. Präsident Giovanni Cobolli Gigli wollte Juventus innerhalb kürzester Zeit wieder an die Spitze führen. Geld stellte dabei keine Herausforderung dar, jedoch wohl mangelndes Verständnis für den Sport und seine Dynamiken.
Für Deschamps kam ein altbekannter Taktikfuchs an die Seitenlinie des Stadio delle Alpi, dem jedoch die Erfolglosigkeit als ständiger Begleiter auf Schritt und Tritt folgte: Claudio Ranieri übernahm das Ruder.
Die Last, die Vergangenheit wieder aufzuarbeiten, lag auf den Schultern der alten Stars, der Del Pieros und Trezeguets, die ihre große Liebe mehr schlecht als recht weiter anführten. Die großen Neuzugänge floppten.
In der ersten Saison im italienischen Oberhaus konnte dennoch ein Achtungserfolg erreicht werden: Am Ende der Saison stand der dritte Platz, wenngleich der Königstransfer und zum zentralen Spieler auserkorene Diego in keinem Moment der Saison zu überzeugen wusste.
Das Trainerkarussell in der Endlosschleife
Ranieri wurde gehalten, obwohl der geforderte Titel nicht nach Turin wanderte. Die Saison 2008/2009 war schließlich erfolgreich, wenn auch nur für den neutralen Beobachter: Die Bianconeri erreichten Platz zwei. Trainer Ranieri wurde entlassen, zwei Spieltage vor Schluss. Den Ansprüchen Giglis wurde der Vizemeistertitel nicht gerecht. Für den ehemaligen Chelsea-Trainer übernahm eine Legende aus dem Hause Juventus.
Die Hoffnungen waren groß. Ein Juventino mit Leib und Seele sollte Turin wieder zur Fußballhauptstadt Italiens machen. Die Euphorie bei den Fans kannte keine Grenzen. Ex-Kapitän und Trainertalent Ciro Ferrara übernahm.
Doch auch Ferrara konnte die Wende nicht bringen und wurde im Januar entlassen. Alberto Zaccheroni übernahm als Interimscoach, erreichte Platz sieben und musste wieder gehen. Bis 2011 durfte der damals hochangesehene Luigi Delneri an der Seitenlinie sein Werk verrichten. Nachdem auch dieser scheiterte, wurde schließlich die Ära Conte eingeläutet.
Die Transferpolitik der Bianconeri in der Zeit nach dem Wiederaufstieg war auch ein Kapitel für sich. Zwischen 2007 und 2009 wurden 62, 5 Millionen Euro für vermeintliche Verstärkungen wie Tiago von Lyon, Felipe Melo von Fiorentina, Milos Krasic von ZSKA Moskau und Diego von Werder Bremen verpulvert. Vor allem der quirlige Brasilianer blieb den meisten Juventini als der größte Flop der Klub-Geschichte in Erinnerung.
Juventus Turin im Überblick
Seite 1: Ein Kavalier, die Last und ein Karussel
Seite 2: Zwei alte Bekannte und ein unerwünschter Gast
Familie Agnelli übernimmt
Nach einem kurzen Intermezzo von Jean-Claude Blanc als Präsident wurde im Juni 2010 jener Mann zum Oberhaupt in Turin ernannt, der schließlich die Wende bringen sollte. Andrea Agnelli, ein 35-jähriger Industrieller und Abkömmling der früheren Präsidenten Edoardo und Umberto Agnelli, übernahm das Zepter.
Mit ihm kam auch Giuseppe Marotta als Sportdirektor. Die Transfers wurden nun überlegter, als einzigen Fehlkauf kann man in dieser Zeit nur Milos Krasic sehen, wobei dieser schon vor Agnellis Ankunft auf den Einkaufszetteln stand.
Agnelli krempelte die ganze Führungsriege um und setzte von nun an auf einen aggressiven Kurs gegen all jene, die Juve immer noch als Kriminellen-Verein sahen. Der davor schon anhaltende Zwist mit dem größten Konkurrenten, Inter Mailand - die einzige Mannschaft der drei Großen, die keine Strafe im Zuge von "Calciopoli" erhielt - geriet immer mehr in den Mittelpunkt. Die Vorgabe von Agnelli war klar: Man wollte sich wieder zurückholen, was einem 2006 genommen wurde. Damit waren nicht nur die Titel, sondern auch die Würde und der Stolz gemeint.
Der erste Schritt war dabei die Eröffnung des neuerbauten Juventus Stadium, das sinnbildlich für den zweiten Neunanfang der Alten Dame galt. Unter Agnelli kamen neben Flop Krasic Andrea Barzagli und Leonardo Bonucci, die von nun an mit Giorgio Chiellini auch das Stammpersonal in der italienischen Innenverteidigung bildeten.
Die Ära Conte
Als 2011 dann Ex-Spieler Antonio Conte das Traineramt übernahm, war Agnelli auch dazu bereit, größere Transfers zu tätigen. Vom AC Milan wurde der zu Fallobst verkommene Andrea Pirlo verpflichtet, der bei Juve einen zweiten Frühling erlebte, Bayern München wurde Bayer Leverkusens Arturo Vidal vor der Nase weggeschnappt.
Mit Stephan Lichtsteiner holte man einen der begehrtesten Außenverteidiger in Europa. 2012 wurde schließlich Super-Talent Paul Pogba verpflichtet. Trotz der Verpflichtung von zum Teil erst mit der Zeit zu großen Namen gereiften Spielern gab man nicht Ansatzweise so viel Geld aus, wie in der Zeit unter Gigli. Der teuerste Transfer seit Agnellis Ankunft war Alvaro Morata, den man für 20 Millionen von den Königlichen aus Madrid holte.
Nach Contes Übernahme ging es stet bergauf. Die Voraussagen für die neue Saison sahen andere an der Spitze, die endgültige Tabelle aber sprach Bände: Juventus gewinnt das erste Mal seit dem Jahr 2003 offiziell wieder eine Meisterschaft. Kein Gegner konnte die Bianconeri in dieser Saison bezwingen.
Es folgten zwei weitere souveräne Meisterschaften, Antonio Conte hatte mit seinem System und durch die intelligente Transferpolitik von Marotta und Agnelli eine Mannschaft geformt, die weit über dem Niveau der restlichen 19 Mannschaften in der Serie A agierte.
#NoAllegri
Doch schließlich kam es auch mit Conte zum Bruch: Der Süditaliener wollte mehr Geld, das er in Spieler investieren konnte. Agnelli gewährt ihm diesen Wunsch nicht. Conte sah keine Perspektive mehr und legte sein Amt nieder: "Sie wollen in Europa gewinnen? Mit zehn Euro kann man in keinem Restaurant essen, wo man 100 Euro bezahlt."
Schließlich übernahm Massimiliano Allegri. Die Führungsriege in Turin gerat in die Kritik. Nicht nur holte man den Mann, der bei einem der größten Konkurrenten, dem AC Milan, das Traineramt innehatte; man ernannte jenen Mann zum Chef, der einst den neuen Liebling Andrea Pirlo für unbrauchbar befunden hatte. Die Fans standen Kopf, #NoAllegri kursierte im Internet.
Doch Allegri machte seine Sache gut. Juve dominierte weiterhin Italien, holte ungefährdet Titel Nummer vier in Folge und es wurde die Ko-Phase der Champions League erreicht. Als er das Halbfinale erreichte, ließ sich der sonst so besonnene Allegri zu einem Konter in Richtung seines Vorgängers hinreißen: "Wir können vielleicht nicht teuer essen, aber in das Restaurant reinsetzen können wir uns allemal."
Rehabilitation a la carte
Jetzt steht die wiederauferstandene Dame vor dem Ende der Odyssee "Calciopoli", die den Verein jahrelang durch den Hohn, den Hass und schließlich den Neid vieler Außenstehender führte und nun in den Hafen einlaufen lässt, wo er auch hingehört.
Man hat sich von der Absteige in die Serie B weiter hochgearbeitet. Die zur Snackbude verkommenen Serie A dominiert man mit gourmethaftiger Überlegenheit. Nun steht man kurz davor, trotz des nur halbvollen Geldbeutels endlich den Ehren-Platz im 100-Euro-Restaurant zu ergattern.
Juventus kann damit nicht nur Bedeutendes für den italienischen Fußball leisten, sondern die Beharrlichkeit und das Festhalten an den eigenen Prinzipien. Die Alte Dame hat den Anspruch, an die Spitze zu gehören und wie könnte man das besser untermauern als mit der Champions-League-Krone.
Juventus Turin im Überblick