Der Schlacht zweiter Akt

Ben Barthmann
03. Mai 201612:00
Pep Guardiola und Diego Simeone werden sich auch im Rückspiel nichts schenkengetty
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Im Hinspiel des Halbfinals der Champions League musste sich der FC Bayern München mit 0:1 Atletico Madrid geschlagen geben. SPOX wirft gemeinsam mit dem Institut für Fußballmanagement einen Blick auf die taktischen Möglichkeiten im Rückspiel.

Der Plan des FC Bayern im Hinspiel

Drei zentrale Mittelfeldspieler, dafür kein Thomas Müller. Die Personalwahl im Hinspiel gegen Atletico Madrid brachte Pep Guardiola einige Negativ-Kritik ein. Nicht nur, dass der Katalane den Publikumsliebling auf die Bank verbannte, er entschied sich auch für eine recht klassische 4-3-3-Herangehensweise, die vielen schlicht zu simpel erschien.

Das aus einem Geniestreich entstandene 0:1 durch Saul Niguez scheint die Wahrnehmung etwas getrübt zu haben. Guardiola entschied sich, wie bereits mehrfach geschehen, in einem K.o.-Hinspiel für die stabilere Variante und hatte die Rojiblancos so lange Zeit nicht nur im Griff. Die Bayern hatten besonders mit Blick auf die zweite Hälfte genug Chancen, um ein Auswärtstor zu erzielen.

Zurückhaltende Viererkette

In Ballbesitz hielten sich die Außenverteidiger der Viererkette ungewöhnlich stark zurück, lediglich Philipp Lahm rückte gegen hohes Angriffspressing nach vorne in den Sechserraum. Von dort eröffnete Bayern das Spiel, Xabi Alonso fiel gegebenenfalls zurück und stellte Überzahl her.

Die beiden nominellen Achter Thiago und Arturo Vidal tendierten viel zur Seite und unterstützen das bayerische Flügelspiel. Somit blieb die Mitte relativ unbesetzt, Atletico verbuchte allerdings auch nur wenige gefährliche Balleroberungen für Konterangriffe und wurde stets schnell wieder eingefangen.

Taktisch ist die erste Halbzeit des Hinspiels schwer zu erklären. Die Bayern hatten in ihrer Vorbereitung sichtlich Wege gefunden, um sich aus dem anfänglichen Druck der Madrilenen zu befreien und sich aus dem tieferen Pressing Atleticos im weiteren Verlauf des Spiels Vorteile zu erarbeiten. Die Probleme schienen in der Anfangsphase eher mentaler Natur, manche Spieler fanden erst nach ein paar Minuten den Zugang zum Spiel.

Sichere Ballzirkulation

In Halbzeit zwei stand Atletico sehr tief, trotzdem schafften es die Bayern, sich einige Chancen herauszuspielen. Besonders Lahm in seiner halbrechten Rolle im Mittelfeld (siehe Analyse zum Hinspiel) wusste für Gefahr zu sorgen, der aufrückende Alaba fand mehrmals gute Räume vor.

Der grundsätzliche Guardiola-Plan für das Vicente Calderon sah simple, aber keinesfalls schlechte Abläufe vor. Die Ballzirkulation war gut und sicher, dafür aber wenig druckvoll. Mit Überladungen auf den Seiten durch Außenverteidiger, Achter und Flügelstürmer sollten einfache Chancen kreiert werden, ohne dabei selbst Gefahr zu laufen, in gefährlichen Zonen den Ball zu verlieren.

Der Raum hinter Atleticos erster und zweiter Pressinglinie

Trotz Bayerns guten Anlagen stellen sich mit Blick auf das Hinspiel einige Fragen. Durch den Rückstand werden die Bayern in München ihre Herangehensweise ans Hinspiel nicht mehr nutzen können. Sie müssen sie zumindest anpassen, um mehr Druck aufzubauen. Guardiola kündigte bereits personelle Wechsel an und scheint dabei besonders auf Müller zu schielen.

Gerade Thomas Müller kann das Ballbesitzspiel der Bayern in vielen Gebieten bereichern. Durch die hohe Positionierung von Kingsley Coman und Douglas Costa im Hinspiel band der FCB die gegnerische Viererkette sehr tief, während das Mittelfeld im Angriffspressing nachrücken musste.

Heatmap der Atletico-Spieler beim Hinspiel-Duell: Gabi hatte als nomineller rechter zentraler Mittelfeldspieler sehr viele Aktionen auf der rechten Seite hinter Saul.

Somit entstand bisweilen eine für Atletico untypische, freie Zone zwischen Abwehr und Mittelfeld, die nur durch das Auffächern der mittleren Viererkette in eine N-artige und sehr bewegliche Formation aufgefangen wurde. Gefundenes Fressen für einen Spieler wie Müller, der sich gerade zwischen mehreren Gegnern pudelwohl fühlt.

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Lahms Vorrücken ins Mittelfeld

Die Bayern schafften es schon im Hinspiel gut, die beiden Stürmer Atleticos ins leere Laufen zu lassen. Lahm löste sich ins Mittelfeld neben Alonso, womit in erster Linie eine 3-gegen-2-Überzahl entstand, während im Mittelfeld Optionen frei wurden - trotz hervorragendem Anlaufverhaltens von Fernando Torres und Antoine Griezmann.

Für mobile Nutzer: Aufbauoption gegen Angriffspressing Atleticos

Kapitän Gabi entschied sich daraufhin zum Herausrücken aus der Viererkette im Mittelfeld oder sicherte den vorstoßenden Saul auf der rechten Seite ab. In diesen Momenten fehlte ein zentraler Spieler der Bayern, der sich in seinen Rücken bewegte. Müller oder ein beweglicherer Robert Lewandowski bieten die Möglichkeit, um im Rückspiel vor den gegnerischen Strafraum zu gelangen.

Alexander Schmalhofer, Leiter des Fachbereichs Spiel-und Taktikanalyse des Instituts für Fußballmanagement: "Dieses starke Angriffspressing des Gegners ist oft nur mit hohen Pässen in den freien Raum zwischen Atleticos Abwehrkette und Mittelfeld zu überspielen. Dieser entsteht, weil die Stürmer und Mittelfeldspieler der Spanier zwar weit nach vorne schieben, die Viererkette jedoch nicht immer konsequent nachrückt." Dementsprechend spricht er sich für eine Aufstellung "mit Lewandowski und Müller" aus, um die richtigen Abnehmer auf dem Feld zu haben.

Chipbälle gegen die Schieberichtung

So bliebe für Bayern die Möglichkeit bestehen, wie bereits in der Vorschau auf das Hinspiel angesprochen, gegen die Verschieberichtung zu verlagern. Das kann mit hohen Chipbällen passieren, genauso aber mit flachen. Ein Comeback von Jerome Boateng wäre interessant, der mit präzisen, flachen Zuspielen durch mehrere Linien zu glänzen weiß. Wichtig bei etwaigen Chipbällen: Sie sollten rasch wieder an Höhe verlieren, um eine schnelle Spielfortsetzung zu ermöglichen.

Diese Möglichkeit wurde im Hinspiel mehrfach genutzt. Im Rückspiel wird es darum gehen, die Chipbälle auch mit veränderter Formation in Ballbesitz sowie anderen Dynamiken dank neuen Spielern ebenso einzusetzen und gleichzeitig sauberer zu agieren, um unnötige Tempoverluste zu vermeiden.

Die angreifbaren Halbräume Atleticos in Ballnähe

Thomas Müller ist allerdings nicht nur für das Spiel durch die Mitte interessant. Der Bayern-Stürmer könnte auch eine Schwachstelle bespielen, die die Münchner im Hinspiel zwar fanden, allerdings nur selten ausnutzen konnten. Da die beiden Außenverteidiger Atleticos gegen Douglas Costa, Kingsley Coman und später Franck Ribery sehr mannorientiert agierten, ließen sie Lücken.

Diese entstanden an zwei Stellen. Einerseits zwischen Außenverteidiger und dem vor ihm spielenden Mittelspieler (Koke oder Saul) und andererseits zwischen Innenverteidiger und Außenverteidiger im Halbraum. Während die erste Lücke von den breiten Achtern des FCB angegriffen wurde, diese Spieler dann aber oft mit dem Rücken zum Feld angespielt wurden und somit leicht unter Druck gesetzt werden konnten, verlagerte Guardiola das Spiel in Halbzeit zwei deutlich höher.

Durch das neue Aufbauspiel im 3-2-4-1 wurden die Halbraumlücken zwischen Innen- und Außenverteidiger deutlicher. Während Xabi Alonso, Javi Martinez und Juan Bernat eine Dreierkette bildeten, stießen Alaba und Lahm auf die Halbpositionen im Mittelfeld. Vidal und Thiago standen höher, flankiert von den Flügelstürmern und vorne Lewandowski.

Ziel: Flanken oder Dribblings

Somit ergab sich eigentlich mehrfach die Möglichkeit, die Mannorientierung Atleticos auf dem Flügel auszuspielen. Ein Beispiel: Coman stand zu Beginn der zweiten Halbzeit rechts sehr breit und erhielt nach einer Verlagerung den Ball. Filipe Luis rückte heraus, der Rest der Viererkette verschob allerdings nicht mit.

Koke und Augusto Fernandez versuchten zwar, die Lücke zwischen Luis und dem Rest der Kette zu versperren, konnten den startenden Lahm allerdings nicht aufhalten. Er bekam das Zuspiel und wurde im letzten Moment an der Flanke gehindert. Arturo Vidal fiel in dieser Situation zurück, hätte sich allerdings auch einschalten können.

Schmalhofer: "Auf dem Flügel entsteht somit kurzzeitig Überzahl für die Bayern wodurch der finale Pass in die Schnittstelle gespielt oder gefährlich geflankt werden kann."

Hier könnte ein Schlüssel im Rückspiel liegen. Durch breite Flügelspieler erneut die Halbräume in Atleticos Abwehr öffnen, diese dann allerdings variabler und mit mehr Fokus zu attackieren, um zu Flanken oder gar Dribblings in den Strafraum zu gelangen. Allerdings, so Schmalhofer, muss dafür die Mitte besetzt sein: "Auch das spricht eindeutig für die Aufstellung von Lewandowski und Müller."

Das Vorstoßen von Innenverteidigern im Aufbau

Nicht ungefährlich scheint das Offensivspiel über den Flügel mit finaler Verlagerung ins Zentrum gegen die aggressiven und im Duell um den Ball sehr geschickten Rojiblancos. Dennoch zeigten sich im Hinspiel durchaus kleinere Abstimmungsprobleme bei Atletico, wenn die Bayern es schafften, ihre Überzahl in erster Linie auszuspielen und anschließend mit einem der Halbverteidiger vorzustoßen.

Gerade mit Alaba in der zweiten Hälfte zeigte sich, dass er entweder sehr viel Platz erhielt, wie etwa beim Lattenschuss oder Mittelfeldspieler aus dem Block lockte, um anschließend Räume zu öffnen. Mit der richtigen Absicherung, etwa durch das Abkippen Alonsos oder das Zurückbleiben des Linksverteidigers nahm zudem das Risiko bei einem Ballverlust ab.

Das Pressing der Colchoneros greift dann besonders, wenn das Zentrum durch die Stürmer verstellt wird, um anschließend die Verteidiger zu attackieren. Schaffen es diese allerdings sich zu befreien, können sie auf den Block aus zwei Viererketten zugehen oder das Spiel diagonal gegen die Verschieberichtung verlagern.

Andribbeln der Verteidiger?

Mit Rückkehrer Boateng wird Alaba wieder eine Option als Linksverteidiger. Das würde die Viererkette im Gegensatz zum Hinspiel variabler in ihren Optionen machen, könnte der Österreicher doch von links nach innen stoßen, während Lahm rechts aufrückt. Damit würde ein ähnlicher Effekt erzielt wie in der zweiten Halbzeit im Calderon.

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Dies ist nicht nur möglich, wenn Atletico hoch presst. Auch wenn die Rojiblancos eng am eigenen Sechzehner verteidigen, können Alaba und Lahm in den Halbräumen für schnelle Ballzirkulation und gute Absicherung bei zweiten Bällen nach Flanken sorgen.

Für mobile Nutzer: Optionen durch Andribbeln der Verteidiger im Spielaufbau

Neben dem Vorstoßen ist grundsätzlich auch ein aktiveres Verhalten der Verteidiger möglich. "Diese könnten mit dem Ball am Fuß immer wieder mutig andribbeln, um Griezmann und Torres irgendwann dazu zu zwingen, sie anzugreifen. In Verbindung mit schnellen Seitenwechseln über das Zentrum kann Atleticos Defensive in Bewegung gebracht werden. So ergeben sich zwangsläufig Räume für ein vertikales Zuspiel in die Halbräume, in die beispielsweise Müller und Lahm dann immer wieder stoßen können", sagt Schmalhofer.

Täuschungen im Ballbesitz

Eine weitere individualtaktische Anpassung könnte Guardiola im Passspiel seiner Spieler fordern. Atletico verteidigt, speziell am eigenen Strafraum, mit hohem Tempo und viel Einsatz. Kaum eine Mannschaft grätscht so viel, kaum eine Mannschaft attackiert mit der gleichen Aggressivität.

Zwar stellt sich das Team von Diego Simeone unglaublich gut an, wenn es darum geht, Passwege zu antizipieren und sie nicht nur frühzeitig zu schließen, sondern auch Bälle zu erobern. Doch könnte die aktive Verteidigung zum Nutzen der Bayern gedreht werden.

Speziell in einem engen Duell wie dem Rückspiel in der Allianz Arena werden im Zweikampf oder in der Antizipation bisweilen hastige Entscheidungen getroffen. Schaffen es die Bayern, in ihre Ballzirkulation plötzliche Richtungswechsel, schnelle Täuschungen und Finten einzubauen, ist es gut möglich, dass der ein oder andere Verteidiger der Gäste ins Leere grätscht.

Das Spiel gegen Atleticos zweite Bälle

Nicht nur offensiv werden die Bayern im Rückspiel vor Probleme gestellt. Atletico wird alle seine Chancen nutzen wollen, um ein Auswärtstor zu erzielen. Guardiolas Mannschaft geht zum dritten Mal in Folge mit einem Rückstand in das zweite Duell des Champions-League-Halbfinals und musste dabei bisher immer unangenehme Gegentreffer nach Kontern hinnehmen.

Während sich die Münchner im Hinspiel noch ungewöhnlicherweise darauf konzentrierten, die Bälle tief zu verteidigen und gegen das starke Spiel Atleticos auf die abgewehrten Bälle gut vorbereitet zu sein, wird es im Rückspiel regelmäßiger Szenen geben, in denen das Team sehr, sehr hoch steht.

Staffelung der Verteidiger

Dann ist entscheidend, wie gut der lange Ball der Rojiblancos vermieden oder direkt attackiert werden kann, sind die Madrilenen doch Meister darin, diese zu behaupten, abzulegen oder direkt in den Lauf ihrer Mitspieler zu verlängern. Gelingt dies nicht, werden die Abwehrversuche direkt zurückerobert und der Angriff doch weiter Richtung gegnerisches Tor getragen.

"Im Rückspiel könnte es Sinn machen, Atleticos Verteidiger noch früher und intensiver anzulaufen, um die kontrollierten langen Bälle zu unterbinden. Was Zweikampfhärte und Aggressivität betrifft, ist sicher eine Steigerung notwendig, um ins Finale einzuziehen. Im Hinspiel gewannen die Bayern nur 42 Prozent ihrer Zweikämpfe", sagta Schmalhofer

Beinahe jeder fünfte Ball gegen den FC Bayern wurde lang gespielt, im Schnitt sind es sonst nur zwölf Prozent. Gerade im Rückspiel mit noch höherer Bayern-Defensive und noch tieferer Atletico-Elf, wird diese Zahl noch weiter zunehmen und zum bedeutenden Faktor. Ein rechtzeitiges Gegenpressing bei Druckmöglichkeit oder ein koordiniertes Zurückfallen bei offenem Ball sind entscheidend.

Gegen die Doppelspitze Atleticos werden sich die Innenverteidiger eventuell staffeln, um besser absichern zu können. Gleichzeitig wissen die Stürmer der Gäste ganz genau, das Tempo zu verschleppen, um dem Eins-gegen-eins mit Verteidiger im Rücken aus dem Weg zu gehen und auf die nachrückenden Mitspieler abzulegen. Einfach wird dieses Vorhaben definitiv nicht, ist aber entscheidend für die defensive Stabilität.

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