Roman Weidenfeller nahm beide Hände vor seinen Körper und hob sie im Abstand von zehn Zentimetern parallel übereinander. Er versuchte, die Bewegungen möglichst fließend erscheinen zu lassen. Ganz nach dem Vorbild des Großmeisters im weißen, langen Kittel vor ihm.
Im Yu Garden in Shanghai ließ sich der Keeper mit vier Teamkollegen in die chinesische Kampfeskunst einführen. Von schönen und grazilen Bewegungen waren die fünf Dortmunder allerdings weit entfernt. Auch ins Gesamtbild passten die Kicker mit ihren schrillen gelb-schwarzen Shirts nicht wirklich. Die Übungen waren Neuland für die Spieler. Dementsprechend staksig und vorsichtig bewegten sie sich.
Unbewusst wurden die Spieler dabei Sinnbild für den gesamten Trip der Dortmunder. Mit Sack und Pack reiste der BVB in diesem Sommer nach China und schlug damit vereinsintern ein neues Kapitel auf. Auf dem Papier fuhr der Klub nach Fernost, um dort die Spiele des International Champions Cup gegen Manchester United und Manchester City zu bestreiten.
Der eigentliche Grund war ein anderer: Die Marke Dortmund sollte in die Welt hinaus getragen werden. Das wiesen selbst die Verantwortlichen des BVB nicht von der Hand. Sportdirektor Michael Zorc sprach deshalb bei der Reise auch von einer "gesunden Mischung aus sportlich werthaltigen Spielen, Training und PR-Aktivitäten".
China als Zielmarkt definiert
Auch weil die Internationalisierung erst in der Klopp-Zeit auf die schwarz-gelbe Agenda kam, stecken die Promo-Events im Ausland derzeit noch in den Kinderschuhen. Doch der Klub hat eine Vision und gibt die Richtung bereits jetzt klar vor. Man will global denken und in einem ersten Schritt den Markt im fernen Osten erobern. "Asien ist nicht nur für die Bundesliga, sondern speziell für den BVB interessant. Wir haben diesen Raum als Zielmarkt definiert", analysierte BVB-Marketing-Chef Carsten Cramer, der einerseits auf die Partner Puma und Evonik verweist, die in Fernost gut vertreten sind. Andererseits aber auch die Entwicklung des chinesischen Fußballs im Blick hat.
Denn die Verantwortlichen des Staates fummeln dort gerade eifrig am Reißbrett herum und versuchen mit der Wucht der Regierung in den nächsten Jahren, eine fußballerische Großmacht auf die Beine zu stellen. Noch liegt einiges brach, doch die Entscheidungsträger sind dabei, dies zu ändern.
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Sowohl der BVB als auch zahlreiche andere Klubs wollen ein Stück dieser Torte abbekommen. Ein erster Schritt ist schon getan. Alleine in den vergangenen eineinhalb Jahren zog Cramer in China beispielsweise neun Sponsoren an Land, die insgesamt rund fünf Millionen Euro einbrachten.
Und das soll erst der Anfang sein. Im Testspiel gegen United saß eine Delegation des chinesischen Bier-Riesens Tsingtao auf Einladung der Dortmunder auf der Tribüne und sahen die ersten zarten Pflänzchen schwarz-gelber Fußball-Euphorie. Im sonst stark durch den englischen Fußball geprägten China hatten rund 7000 Fans auch das Dortmund-Trikots übergestreift. "Das hat uns sehr gefallen", erklärte BVB-Boss Hans-Joachim Watzke im Anschluss. Zahlen, die den Trend der letzten Jahre unterstreichen.
Hand in Hand mit dem FC Bayern
Von den 500.000 BVB-Trikots, die weltweit in der letzten Saison verkauft wurden, landeten bereits gut 15 Prozent im Ausland. Das ist im Vergleich zu Mannschaften der Premier League noch wenig, doch die Richtung der Dortmunder ist zu erkennen. "Sehr gut vertreten" sei der BVB im Ausland bereits, so Cramer.
Jetzt liege es daran, die Potenziale im Ausland weiter zu nutzen, denn dort sind die "größten Sprünge zu erwarten". Das helfe dem Verein, in allen Bereichen weiter zu wachsen, fügte Watzke hinzu. Eine alternativlose Entwicklung, wenn Dortmund international erfolgreich sein will.
"Wachstumspotenzial gibt es kurzfristig vor allem bei den internationalen Fernsehgeldern - und beim weltweiten Sponsoring sowie beim Merchandising. Wir wollen bei den großen Fischen mitschwimmen. Wer das will, muss in Asien Präsenz zeigen. Wir wollen das. Jeder, der weiß, welchen Stellenwert die Premier League in Asien hat, der ahnt, was uns dort ein 4:1 gegen United bringt", erklärte Watzke jüngst im Interview mit der FAZ.
Etwas neidisch schauen sie im Ruhrpott dabei noch zum Konkurrenten im Süden der Republik. Die Bayern sind dem BVB in Sachen internationaler Vermarktung noch um Längen voraus, doch speziell in den letzten Monaten schafften es die Dortmunder recht gut, sich Hand in Hand mit dem FC Bayern auf der großen Weltbühne zu verkaufen und am FCB hochzuziehen. Vielerorts ist gar die Rede davon, dass der neue Schmusekurs der Bosse Watzke und Rummenigge seinen Ursprung in der parallelen Vermarktung hat.
Rekorde auf zahlreichen Ebenen
Es gehört seit einigen Jahren zur Dortmunder DNA, stets kleinere Brötchen zu backen und diese mit einer ordentlichen Ladung Understatement zu salzen. Doch inzwischen braucht sich auch der BVB nicht mehr zu verstecken. Erst zuletzt vermeldete der Klub auf zahlreichen Ebenen Rekorde.
Der Konzernumsatz wurde um satte 36 Prozent auf 376,3 Millionen Euro gesteigert, alleine in der zurückliegenden Transferperiode wurden über 100 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Dortmund kratzt inzwischen wirtschaftlich sogar an den Top10 der europäischen Großklubs und mutiert zu einem internationalen Schwergewicht, das sich unmittelbar hinter Barca, Real und den Bayern einreihen könnte.
Dabei drohen die Grenzen zwischen herzlicher Fannähe und wirtschaftlichem Kalkül jedoch immer mehr zu verschwimmen. Eine Entwicklung, die im eigenen Lager hier und da äußerst kritisch gesehen wird. Vor allem den traditionellen Anhängern grummelt bei den weiten Reisen der Mannschaft der Magen. Diese fordern, dass das Team sich lieber den heimischen Fans präsentieren soll, statt in fernen Ländern herumzureisen.
Mit Plakaten ("Watzke: Viele Worte, keine Taten - Identitätsverlust auf Raten!") quittierten die Fans die jüngsten Trips. Der Verein solle seinen Fokus wieder auf die traditionellen Werte des Fußballs lenken und wegkommen von sturem Geld- und Kommerzdenken.
"Spagat zwischen Borsigplatz und Shanghai"
"Wir dürfen nicht den Fehler machen, alles nur Richtung Asien oder Fernost auszurichten, sondern müssen unsere Aufmerksamkeit nach wie vor auf die Heimat legen", lenkt Cramer ein. Auch Watzke sprach zuletzt gerne von einem "Spagat zwischen Borsigplatz und Shanghai".
"Alles geschieht immer in dem Wissen, wo wir herkommen. Wir bleiben der Verein, der wir sind", beruhigte der BVB-Boss: "In diesem Sommer haben von 55.000 BVB-Dauerkartenbesitzern nur 34 ihr Ticket gekündigt. Wir zählen inzwischen 140.000 Mitglieder. Das sind gute Indikatoren. Ich bin sicher, dass das Gros der Fans sich mit unserem Klub und dem eingeschlagenen Kurs identifizieren kann."
Dortmund, das seit Jahren von der "Echte Liebe" und den grandiosen Fans im Signal-Iduna-Park zehrt, steht ein ungemein schwerer Prozess bevor. Doch die ersten Schritte sind dabei gemeistert. Auch wenn diese teilweise noch etwas staksig wirken. Roman Weidenfeller kann davon ein Lied singen.
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