Der FC Sevilla steht im Achtelfinale der Champions League und trifft dort auf Leicester City (Mi., 20.45 Uhr im LIVETICKER). Die Spanier haben in dieser Saison einen großen Sprung gemacht - SPOX kennt die Gründe.
1. Die Arbeit von Sportdirektor Monchi
Wird irgendwo ein Europa ein Pokal ausgespielt, ist der FC Sevilla dabei. Egal ob Copa del Rey, Europa League oder der ehemalige UEFA Cup - die Andalusier spielen um den Titel mit. Nun steht das Team gar im Achtelfinale der Champions League.
Vor wenigen Jahren hätte das niemand geahnt: Sevilla stand kurz vor der Insolvenz, einer der ältesten Vereine Spaniens war derart verschuldet, dass ein radikaler Schnitt die einzige Lösung zu sein schien. Doch dann trat Ramon Rodriguez Verdejo auf den Plan, von seiner Mutter stets nur Monchi gerufen.
Der heutige Sportdirektor des FC Sevilla war einst Torhüter im Klub, brilliert allerdings seit 2000 hinter den Kulissen. Über 100 Spieler nahm er unter Vertrag, allein in diesem Sommer waren es 15. 66 Millionen Euro wurden in den Kader investiert und 100 Millionen wieder eingenommen. spox
15 Millionen Euro kostete der teuerste Mann Franco Vazquez. Auf der anderen Seite wurden Kevin Gameiro und Grzegorz Krychowiak für jeweils mehr als 30 Millionen Euro verkauft. Nicht wenige prophezeiten den Absturz des FC Sevilla ohne seine beiden Leistungsträger in Offensive und Mittelfeld.
Monchi strafte sie alle Lügen. Der neue Kader ist wieder vorne mit dabei. Wenngleich einige Spieler nur leihweise die Stiefel in Andalusien schnüren, hat man doch gute Argumente auf seiner Seite, um manche Leihgabe doch von einem Verbleib zu überzeugen.
Sevillas Sportdirektor Monchi im Porträt (August 2016)
Nicht umsonst hat Monchi also in Spanien einen ausgezeichneten Ruf. Mit dem Ruf als größtem Fachmann auf seinem Gebiet unterstrich er auch vor der laufenden Saison einmal mehr sein unnachahmliches Gespür für Schnäppchen mit großem Potenzial. Der wichtigste Transfer: Trainer Jorge Sampaoli, der von der chilenischen Nationalmannschaft kam.
2. Die Arbeit von Trainer Jorge Sampaoli
Vor Sampaoli galt Chile als unbequemer Gegner. Nach Sampaoli gilt Chile als unbequemer Gegner. Zwischendrin, da waren sie ein fast unbezwingbarer Gegner. Der Argentinier vermochte es, aus einer Nationalmannschaft ein derart homogenes Konstrukt zu bilden, dass sich selbst Größten der Welt die Zähne ausbissen.
Diesen Stil hat Sampaoli aber nur bedingt nach Sevilla mitgebracht. Noch immer spiegelt das Team auch seine Vorstellung von Fußball wieder, durch das zahlreichere Training und individuell große Unterschiede im Spielermaterial hat er allerdings einen anderen Weg eingeschlagen.
Sevilla überzeugt mit hohem Pressing, enormer Intensität und durchdachtem Ballbesitzspiel. Das reicht bisher für Platz drei in der Primera Division und für das Weiterkommen in der Gruppe H der Königsklasse hinter Juventus Turin. Mit seiner emotionalen Art fegt Sampaoli an der Seitenlinie auf und ab und stachelt seine Männer zusätzlich an.
Taktik: Der FC Sevilla unter Jorge Sampaoli (September 2016)
Der 56-Jährige ist lediglich bis 2018 gebunden, hat aber schon in einem halben Jahr enorm viel erreicht. Der fast komplett überholte Kader wurde von ihm zusammengeführt und erreichte bereits in den ersten Spielen der Saison ein herausragendes Maß an Kommunikation und Eingespieltheit.
Mit 44 Toren in 22 Spielen ist Sevilla nach Real Madrid und dem FC Barcelona die drittgefährlichste Mannschaft aus La Liga, hat dafür aber schon zahlreiche Gegentore hinnehmen müssen. 28 derer sind Mittelmaß in Spanien, werden aber durch das riskante Spiel von Sampaoli auch gewissermaßen miteingeplant.
Der Trainer hat es einmal mehr bewiesen, dass er es vermag, in seinem System die passende Rolle für seine Spieler zu finden. Das, gepaart mit einer harmonischen Mannschaftstaktik und dem Vorbild Sampaolis, der Kampfgeist und Einsatz vorlebt, hat der Argentinier einen ernsthaften Titelkandidaten geschaffen.
3. Der Aufschwung altbekannter Spieler
Ein Nebeneffekt der Arbeit von Sampaoli ist das Aufblühen manch eines Spielers, der zuvor schon abgeschrieben war. Allen voran Samir Nasri, der auf Leihbasis von Manchester City kam: manchen Skandal konnte der Franzose zurücklassen, manchen brachte er auch mit.
Dennoch schaffte es der 29-Jährige, sich im System hervor zu tun und mit neu entdeckter Übersicht und Spielintelligenz für spektakuläre Szenen zu sorgen. Der Klub bemüht sich nun um eine feste Verpflichtung Nasris, der angab, dass Pep Guardiola ihn eigentlich nicht ziehen lassen wollte.
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Ähnliches spielte sich im Fall Steven N'Zonzi ab. Der defensive Mittelfeldspieler erlebt unter Sampaoli eine Renaissance und wurde dementsprechend im Winter bei mehreren Klubs gehandelt. Letztlich sagte er allen ab und verlängerte in Sevilla. Er ist mit 28 Jahren essentieller Bestandteil der Planungen Sampaolis. spox
Hinzu kommen Spieler wie Stefan Jovetic oder Wissam Ben Yedder, die sich aller Unkenrufe zum Trotz bei Sevilla einleben konnten. Ben Yedder gelangen bereits acht Treffer in La Liga, Jovetic kam erst im Winter per Leihe von Inter Mailand und traf direkt zum Sieg gegen Real Madrid.
Dennoch ist nicht jeder Spieler voll eingeschlagen. Hiroshi Kiyotake zog es nach einem halben Jahr in die Heimat, Brasilianer Ganso konnte seine Fähigkeiten bisher nur spärlich einbringen. Für ihn konnte der Trainer noch keine Rolle finden, er ist aber einer der wenigen.
Es überwiegen schlicht die positiven Auswirkungen des Trainers auf den Kader und seine Spieler. Die Verantwortlichen dürften sich jedoch darüber ärgern, viele der Spieler nur auszubilden, um sie anschließend wohl wieder zu verlieren. Matias Kranevitter etwas fasste bei Sevilla Fuß in Europa, wird aber zu Atletico Madrid zurückkehren.
4. Die beeindruckende Konstanz
Sevilla hat eine beeindruckende Nachhaltigkeit seiner Leistungen erreicht - zumindest, was die laufende Saison angeht.
Nicht nur, dass sich die Spieler sehr schnell zusammenfanden, sie haben sich auch in Windeseile weiterentwickelt. Das System steht und bringt Ergebnisse. Vier Unentschieden und vier Niederlagen stehen 14 Siegen in der Primera Division gegenüber, Sevilla hat damit 46 Punkte nach 22 Spieltagen gesammelt.
Das Team ist enorm stabil und verkraftete bisher auch verschiedenste Ausfälle ohne Einbrüche. Derzeit fehlen mehrere Abwehrspieler, Sampaoli fand dennoch eine Lösung und siegte auch am Wochenende gegen den SD Eibar. Es zeigt sich einmal mehr: Das System ist größer als seine Teile.
Fällt ein Spieler aus, kann dieser Ausfall aufgefangen werden. Selbst wenn es ein entscheidender Faktor wie Nasri ist. Der Franzose verpasste bisher fünf Ligaspiele, Sevilla sammelte dennoch zehn Punkte und kam auch in der Copa del Rey ohne Probleme weiter.
Die Andalusier zeigten sich obendrein stabil gegen jede Art von Mannschaft. So sammelten sie ebenso Punkte gegen das Bollwerk von Atletico Madrid als auch gegen das deutlich offensiver ausgerichtete Real Madrid. Das zeigt: Pressing wie Ballbesitzspiel sind auf hohem Niveau angekommen.
Mehrfach drehte das Team schon einen Rückstand und tat dies in aller Regelmäßigkeit ohne Brechstange. Sampaoli lässt sein Team vielmehr ruhig und überlegt mit Vertrauen in die eigene Spielweise agieren und glich so vermehrt aus. Auch im Verteidigen von Standards zeigt sich seine Mannschaft souverän.
5. Die Rolle als Underdog
Letztlich bleibt ein nicht zu unterschätzender, psychologischer Punkt: Sevilla hat in diesem Jahr nichts zu verlieren. Der Kader wurde umgebaut, der Trainer fing bei Null an. Wie viele eine stottrige Anfangsphase vermuteten, sammelten die Andalusier von Beginn an in Ruhe und ohnr Druck die Punkte.
Die Spieler legen auch jedes Prozent in ihre Spiele, sind sie doch hungrig und wollen sich beweisen - aus unterschiedlichen Gründen. Mancher spielt für eine Rückkehr zum Leihverein, mancher für den Sprung in die europäische Klasse. Vereint werden sie in einem Team, das in den letzten Jahren immer maximal Vierter werden konnte.
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Nun ist die Möglichkeit da, die Phalanx aus Atletico, Real und Barca aufzubrechen - und Sevilla ergreift diese aktuell mit beiden Händen. Bisher tun sie das als Underdog und eben dieser werden sie auch bleiben. Denn mit den finanziellen Möglichkeiten der Top-3 Spaniens können sie bei Weitem nicht mithalten. spox
Der Weg erinnert ein wenig an den, den Atletico vor einigen Jahren ging. Ein emotionaler Trainer, ein kurz vor dem Bankrott stehender Verein und die Restauration durch gute Arbeit bis hin in die Spitze des eigenen Landes.
Zumindest bis nächstes Jahr wird Sevilla die Rolle als Außenseiter gerne annehmen. Sie lässt das Team druckbefreit aufspielen und ermöglicht auch manchen Fehler. Groß wäre der Aufschrei gewesen, hätte eine andere Mannschaft aus der Tabellenspitze zuletzt mit 1:3 gegen RCD Espanyol verloren. In Sevilla blieb dagegen alles ruhig.
Diese Jetzt-oder-nie-Mentalität könnte noch zusätzlich durch den schon wieder drohenden Abgang des Trainers verstärkt werden. Bereits nach einem Jahr steht der Argentinier offenbar beim FC Barcelona auf dem Zettel. Ein Erreichen des Viertelfinals der Champions League wäre vielleicht ein Grund, doch weiter an der Mannschaft zu schrauben.