"Verrückt muss er sein. Ein Besessener, ein Außenseiter", definierte Sepp Maier einst in der Süddeutschen Zeitung einen guten Torhüter. Doch in Zeiten, in denen zwischen den Pfosten die Manuel Neuers den Oliver Kahns den Rang abgelaufen haben, darf man sich vielleicht fragen, ob das Attribut "verrückt" nicht einen neuen Träger gefunden hat.
Verrückt. Besessen. Außenseiter. Das trifft mittlerweile weniger auf die Keeper dieser Fußballer-Generation als viel mehr auf die Trainer zu. Jürgen Klopp, Pep Guardiola, Jose Mourinho, Antonio Conte - die Premier League hat den wohl buntesten Strauß an Übungsleitern zusammengetragen.
Das Trainer-Duell Englands in diesem Jahr ist der vorläufige Höhepunkt einer Glorifizierung der Männer an den Seitenlinien dieser Welt. Es zieht sich weiter durch ganz Europa. Carlo Ancelotti vs. Thomas Tuchel in Deutschland dürfte das langweiligste Duell dieser Art sein. In Spanien ist man mit den glatt gestriegelten Luis Enrique sowie Zinedine Zidane genauso bestückt wie mit positiv Verrückten ihrer Art wie Diego Simeone, Paco Jemez oder seit neuestem Jorge Sampaoli.
Neue Marschroute mit Sampaoli
Letzterer ist ein echtes Prunkstück seiner Art - und seit Sommer 2016 Trainer des FC Sevilla. Unai Emery verließ den Klub Richtung Paris, Sportdirektor Monchi ergriff die ihm gebotene Chance beim Schopf und lotste den ehemaligen Nationaltrainer Chiles in die Primera Division.
Ein Raunen ist an dieser Stelle durchaus angebracht. Sampaoli. Endlich in Europa. Dieses Trainer-Genie, das aus Chile ein internationales Top-Team machte und mit seinen elf Kriegern auf dem Platz manche Schlacht überraschend für sich gewann. Man muss den 56-Jährigen eigentlich nicht mehr vorstellen, schließlich wurde er 2015 mit Guardiola und Enrique unter die drei besten Trainer der Welt gewählt.
Sevilla geht mit dem Argentinier einen neuen Schritt. Mit Emery stets der Underdog im Duell mit den Großen gewesen, der sich durch geschicktes Umschaltspiel und hohe Emotionalität in jede Partie biss und letztlich dreimal in Folge die Europa League gewann, will der Klub aus Andalusien doch mehr.
Von Reaktion zu Aktion
Die Europa League ist nicht genug, so der Anspruch, der mit der Verpflichtung von Sampaoli neuen Antrieb erhielt. Fünf essentielle Bausteine verließen im Sommer den Kader, bisher kamen neun neue Spieler hinzu. Mit dem Verlust derart wichtiger Säulen wie Gregorz Krychowiak oder Kevin Gameiro ergab sich gleichzeitig eine Chance für den neuen Trainer zum Umbruch.
Nicht nur personell, auch gedanklich findet in Sevilla derzeit ein groß angelegter Umbau statt. Während sich Emery bisweilen für die reaktionäre Handlung entschied, ist Sampaoli ein Freund des Handelns. Dominanz in jeder Phase der Partie gibt er als Ziel aus und ist damit auf den ersten Blick nichts besonderes mehr.
Diese Marschroute ist nicht so neu, nicht so ungewöhnlich, wie gerne getan wird. Der Typ Sampaoli ist es, der aus einem Ansatz, den viele verfolgen, einen so besonderen Fußball macht. "Verrückt muss er sein. Ein Besessener, ein Außenseiter."
Als Amateurtrainer brüllte er einst Anweisungen von einem Baum herab, da er vom Schiedsrichter des Feldes verwiesen worden war. Auf einem Roadtrip durch Europa lernte er sich neues Wissen an - ohne das Geld für Essen und Schlafplatz in jeder Nacht zu haben. In Chile behielt er Vidal trotz Sauftour mitsamt nächtlichem Unfall im Kader und stellte sich damit gegen ein ganzes Land.
Eine Spielidee aus Bielsa und Pep
Sampaoli vergötterte einst Marcelo Bielsa und dessen radikales Spielmodell, heute lässt er spielen wie viele und gibt das offen zu. Er hat Ideen gesammelt, Anregungen und Lösungen bei anderen Trainern gefunden. Zum kompromisslosen Pressing-Fußball von Bielsa kamen besonders Elemente von Guardiola. Spielaufbau und Positionsspiel senkten die Umschaltaktionen hin zu mehr Ballbesitzzeiten.
Es ist eine interessante Mischung, die dort in Sevilla ensteht. Einerseits ein kurzer Aufbau, heruntergebrochen auf die nötigsten Aspekte und relativ vertikal angelegt, gepaart mit hohem Angriffspressing und direktem Nachsetzen nach Ballverlust. Dazu kommt die alte Schule von Emery und damit ein hervorragendes Umschaltspiel.
Und doch hat er alldem eine persönliche Note verpasst. "Alles hat sich verändert. Der Trainer, die Philosophie, der Stil, die Methoden. Wir versuchen uns so schnell wie möglich anzupassen aber es nicht viel Zeit da", fasste Verteidiger Daniel Carrico zusammen.