Die Souveränität ist zurück in Dortmund, es herrscht wieder Ruhe rund um den BVB. Das war in den vergangenen zwölf Monaten so gut wie gar nicht mehr der Fall. Ziemlich untypisch kamen in dieser Zeit gleich mehrere Brände auf, die der Klub mal besser und mal schlechter zu löschen versuchte.
Dass es nun wieder ganz anders ist hat, wie so oft im Profifußball, in erster Linie mit den sportlichen Ergebnissen zu tun. Diese stimmen seit Saisonstart bei der Borussia, sechs der acht Pflichtspiele wurden gewonnen. So schnell kann es gehen.
Und so wird es dann auch locker als "ganz normal" und "unproblematisch" abgetan, dass Pierre-Emerick Aubameyang ein Interview in seiner Landessprache gab und mit dem französischen Radiosender RMC wie schon Anfang des Jahres offen über seine Abwanderungsgedanken sprach.
Euphorie beim BVB wie 2011 dank Boszs Fußball
Die Euphorie rund um den BVB ist aktuell berechtigt groß und erinnert in Teilen an die heute romantisierten Anfangsjahre unter Jürgen Klopp. Peter Boszs Arbeit fruchtet bislang und es ist der Mannschaft anzumerken, wie gut die Stimmung ist, dass sie Vertrauen in die neue Spielweise hat und ein riesiges Selbstbewusstsein. Auf den Rängen besingen die Fans sogar schon die Frage nach der Meisterschaft.
Auch das ist eine Folge der Resultate, Boszs Fußball jedoch lässt die Erinnerungen an die letzten Dortmunder Meisterjahre 2011 und 2012 scheinbar eher aufleben als der unter Thomas Tuchel, der in seinem ersten Jahr beim BVB mit derselben Punkteausbeute nach sechs Bundesligapartien dastand.
Die Borussen brachten Boszs Forderungen bisher erstaunlich gut aufs Spielfeld, die Souveränität der Punktgewinne ist beachtlich. Man setzt aber nicht einmal einen besonders strengen Maßstab an, würde man behaupten, der BVB habe im Grunde genommen in der Liga zwei Punkte zu wenig gesammelt. Es ist ja ungeachtet der Verletztenliste und der Anpassung an einen neuen Spielstil der Anspruch dieser mit viel Geld zusammengestellten Mannschaft, die bisherigen Gegner an den sechs Bundesligaspieltagen zu dominieren und zu schlagen.
Wie gut ist der BVB wirklich?
Bis auf die Partie in Freiburg gelang dies und das zudem mit dem nach sechs Runden besten Torverhältnis aller Zeiten. Bosz ist sich aber durchaus bewusst, dass die 515 Minuten ohne Gegentreffer auch aufgrund mangelnder Kaltschnäuzigkeit einiger Gegner zustande kamen: "Wir machen hoch Druck und spielen mit viel Räumen in unserem Rücken. Das ist für die Verteidiger und den Torwart nicht einfach. Es gab Spiele, in denen wir das noch nicht gut gemacht haben, aber trotzdem kein Gegentor kassiert haben."
Stattdessen kam Bosz bereits mehrere Male auf die einzig verlorene Partie bei Tottenham zurück, als die Spurs nur eine Viertelstunde benötigten, um der Borussia zwei Kontertore einzuschenken. Dem Niederländer wurde diese Pleite zu lapidar nach dem Motto abgetan: Gegner mit hoher Qualität können Boszs Spielweise einfach bestrafen. Stattdessen betonte er teils nicht zu Unrecht, dass der Dortmunder Stil die ansonsten hohen Spielanteile der Londoner gekonnt unterdrückte.
Dies ist jetzt der springende Punkt: Wie gut ist der BVB unter Bosz wirklich, sind die Hoffnungen auf einen spannenden Meisterschaftskampf in der Bundesliga berechtigt?
Real Madrid wird die bislang härteste Nuss
Bosz hat weder in Dortmund noch auf seinen vorherigen Stationen seine Spielidee jemals großartig an den Gegner angepasst. Auf die Frage vor dem Gladbach-Spiel, ob man die Partie angesichts der spielerischen Klasse der Fohlen anders angehen würde, antwortete Bosz unmissverständlich: "Nein, das ändert für uns nichts. Wir müssen gegen alle Gegner versuchen, unsere eigene Spielweise auf den Platz zu bekommen."
Bosz ist es egal, ob der Gegner Rielasingen-Arlen oder wie am Dienstagabend Real Madrid heißt: Sein Fußball kann nur so gespielt werden. Das verlorene Europa-League-Endspiel mit Ajax Amsterdam im Mai gegen Manchester United war ein guter Beweis für Boszs Festhalten an seinem Grundgedanken. Obwohl Ajax kaum Zugriff auf die Partie bekam und offensiv harmlos blieb, ließ Bosz seine Truppe auf dieselbe Weise weiterspielen.
Der doppelte Champions-League-Sieger aus Madrid wird nun die härteste Nuss, die der BVB unter Bosz bislang zu knacken hat. Während die Gladbacher am Samstag ihre Konter schwach ausspielten und schon deutlich früher zu einem Treffer hätten kommen können, sollte man bei Real davon ausgehen, dass sie diese Situationen besser lösen können.
Spannendes Meisterschaftsrennen? Verfrüht!
"Real Madrid ist eine andere Größe als Gladbach", sagt Bosz in seiner simplen Art. "Wir werden gegen Madrid sicher nach vorne spielen können und unsere Chancen haben", prognostiziert Sportdirektor Michael Zorc, "aber wir müssen sehr sorgfältig sein im eigenen Ballbesitz, denn Ballverluste wie vor den zwei, drei Kontersituationen gegen Gladbach wird Real anders bestrafen - das ist ganz klar."
Beide Aussagen stimmen, zumindest in der Theorie treffen diese Einschätzungen jedoch auch auf die kommenden Dortmunder Heimspielgegner zu. In der Bundesliga sind bald Leipzig, der FC Bayern und Erzrivale Schalke 04 zu Gast, in der Rückrunde gibt's diese Kombination entsprechend als direkt aufeinander folgende Auswärtsspiele. Apropos: Auch jetzt nach Real muss der BVB in fünf der nächsten sechs Pflichtspiele auf fremdem Terrain ran.
Des Rätsels Lösung naht also, die kommenden Partien dürften besser Auskunft über die wahre Dortmunder Stärke und Stabilität der Defensive geben als die bisherigen. Es ist noch reichlich verfrüht, nach dem tollen Beginn der Schwarzgelben einen Rückschluss auf den weiteren Verlauf der Saison zu ziehen.
Das sieht Bosz offenbar ähnlich. Es sprach auch hier die Souveränität aus ihm, als er die Frage beantwortete, was denn aktuell für ein spannendes Meisterschaftsrennen spräche: "Nichts", sagte der Trainer.