Der FC Bayern München hat im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League beim FC Liverpool mit einer disziplinierten Teamleistung ein 0:0 erreicht. Trainer Niko Kovac bediente sich einiger interessanter und ungewöhnlicher taktischer Züge, um sich den Gegebenheiten anzupassen.
"Wir werden kein 0:0 sehen", hatte Kovac noch vor dem Spiel an der Anfield Road gesagt. Ein schelmisches Verhalten, muss er doch zu diesem Zeitpunkt bereits genau gewusst haben, wie die Bayern auftreten würden. Gegen Liverpool bemühte Kovac einige Tugenden, die seine Mannschaft bei Eintracht Frankfurt auszeichnete und lag damit durchaus richtig.
Wichtig zu verstehen ist vorrangig die Ausgangslage. Die Bayern fuhren geschwächt nach Liverpool: Kein Jerome Boateng, kein Arjen Robben und auch Leon Goretzka musste absagen. Die Mannschaft stellte sich praktisch von selbst auf. Großer Schwachpunkt bei den Reds dagegen: Die Innenverteidigung aus Fabinho und Joel Matip.
Tiefe Verteidigung mit Mats Hummels und Javi Martinez
Gegen den Ball zählte Kovac Eins und Eins zusammen: Mit den eher langsamen Javi Martinez und Mats Hummels in der Defensive wäre eine hohe Verteidigung unangebracht gewesen. Mit Sadio Mane und Mohamed Salah auf den Außen mussten sich die Außenverteidiger ohnehin zurückhalten.
Dafür fehlte aber Virgil van Dijk dem Gegner im Spielaufbau: Ein Grund, hoch anzulaufen. So formierte Bayern sich gegen den Ball in einem 4-4-2, in dem Robert Lewandowski und James Rodriguez vorne Druck aufbauten, während das Mittelfeld nachrückte, die Defensive aber nicht zu hoch stand, um Raum im Rücken freizumachen.
Aufgrund der Aufbauschwäche des Duos Matip/Fabinho gelang es, Liverpools Ballbesitzphasen trotz eher durchschnittlicher vertikaler Kompaktheit kurz zu halten. Erst im Laufe der ersten Halbzeit verstanden es die Reds, sich besser zu lösen und prompt fanden sie auch den Weg durch das Mittelfeld - Kovac reagierte, Bayern zog sich zurück, Liverpool wurde dominanter.
DAZNBild 1: Die Bayern bauten mit Unterstützung von Manuel Neuer, tiefen Außenverteidigern und zwei Sechsern auf.
Überzahl in erster Linie dank Manuel Neuer und zwei Sechsern
Mit dem Ball setzte Kovac auf eine Überzahl in erster Linie. Manuel Neuer baute mit den sehr tiefen Innenverteidigern Hummels und Niklas Süle auf, während die Außenverteidiger sich nicht hoch orientierten, sondern eher tief unterstützten. Während Javi Martinez zu Beginn noch einige Probleme dabei hatte, sich im Spielaufbau einzubringen, übernahm Thiago als zweiter Sechser eine wichtige Rolle.
Der Spanier holte sich Bälle nicht nur hinter der ersten Pressinglinie ab, sondern fiel auch mal links heraus, um dann David Alaba das Aufrücken zu ermöglichen und Kingsley Coman noch höher zu schicken. Durch den tiefen Aufbau lockten die Bayern Liverpool an, um dann mit langen Bällen in den Rücken der Abwehr zu spielen.
Alternativ stand der auf die Flügel ausweichende Robert Lewandowski bereit, verarbeitete hohe Anspiele nach Möglichkeit und brachte diese dann Richtung James Rodriguez oder Coman und Gnabry ins Spiel. Fast wie bei der Eintracht. Einziges Problem blieb die mit vier Mann recht spärlich ausgefallene Offensivabteilung.
DAZNBild 2: Die Bayern gingen bisweilen sehr hoch ins Pressing, ohne dabei aber sehr kompakt zu sein. Hinten wurde kein Risiko eingegangen.
FC Bayern überspielte Fallen von Liverpool mit hohen Bällen
Durch die langen Bälle entgingen die Bayern den gestellten Fallen im Liverpooler Mittelfeld und überspielten damit die große Stärke der Klopp-Mannschaft. Der tiefe Aufbau mit Neuer ließ die erste Angriffspressing-Welle verebben, ehe Liverpool ins Mittelfeldpressing zurückging und dann ohnehin etwas weniger Druck aufbaute.
Dass sich die Bayern in der zweiten Hälfte weiter zurückzogen, war wohl auch dem geschuldet, dass die Gegenangriffe immer kürzer wurden. Coman konnte sich mit Trent Alexander-Arnold im Rücken nicht aufdrehen, Lewandowski und der ohnehin etwas blasse James wurden aus dem Spiel genommen. Gnabry musste aufgrund geringer Unterstützung mehrfach abbrechen.
Kovacs Team bemühte somit noch mehr Eintracht-Tugenden: Aufopferungsvolles Verteidigen, stete Teamarbeit gegen das Offensiv-Trio der Reds und im Notfall eben auch mal ein langer Ball raus aus dem Strafraum. Keine Spielweise, die die Bayern langfristig strategisch umsetzen werden, wohl aber eine passende Reaktion auf die besonderen Bedingungen im Hinspiel.
Remis stellt Niko Kovac im Rückspiel vor neue Aufgaben
Fraglich nun, wie die Bayern im Rückspiel auftreten werden. Liverpool hatte an der Anfield Road zu viele Chancen, um angesichts der Auswärtstorregel ähnlich vorzugehen. Gleichwohl wäre eine höhere Abwehrkette ein enormes Risiko, zumal Joshua Kimmich gesperrt fehlen wird.
Mit der Rückkehr van Dijks wird der Liverpooler Ballvortrag stabiler werden und nicht mehr derart gut zu pressen sein. Vier Offensivspieler im Konter oder nach langen Bällen dürften zudem in der eigenen Arena zu wenig sein. Mit Goretzka stünde dann aber ein aus dem Mittelfeld nachstoßender Akteur zur Verfügung - eine Rolle, die Martinez nur wenig ausfüllen konnte.
Zudem wäre mit Boateng statt Hummels die Abwehrkette etwas schneller aufgestellt. Gleichwohl ist Rafinha nicht derart pressingresistent wie Kimmich, der gegen das Anlaufen der Reds einen wichtigen Faktor darstellte. Kovac steht - trotz gutem Hinspiel - vor einer nicht zu leichten Aufgabe im Rückspiel.