In Liverpool haben Sie Ihren Vertrag erfüllt. Ihr Vertrag in Turin läuft noch bis 2022. Dann wären Sie 29. Können Sie sich vorstellen, bei der Alten Dame alt zu werden?
Can: Ich bin glücklich und kann mir gut vorstellen, einige Jahre hier zu bleiben. Im Fußball weiß man aber nie, was passiert. Man kann nie sagen: "Jetzt bleibe ich bis zu meinem Karriereende hier." Das kann man selbst auch nicht immer beeinflussen.
Das haben Sie im vergangenen Herbst am eigenen Leib erfahren müssen, als eine seltene Schilddrüsenkrankheit bei Ihnen diagnostiziert wurde.
Can: Die Ärzte haben mir im Herbst plötzlich mitgeteilt, dass eine Operation an der Schilddrüse durchgeführt werden muss. Es war eine schwierige Phase für mich, die ich dank meiner Familie, Freunden und meinem Berater aber gut überstanden habe. In dieser Zeit bin ich zu einem stärkeren Menschen geworden, weil ich viel für das Leben gelernt habe. Wir vergessen manchmal, dankbar zu sein und vermeintlich selbstverständliche Dinge im Leben wie Gesundheit wertzuschätzen. Ich weiß seitdem: Fußball ist wichtig, das Leben ist aber wichtiger.
Sie haben Ihre Reha bewusst in Ihrer Heimatstadt Frankfurt absolviert, um bei Ihrer Familie zu sein.
Can: Ja, das war sehr wichtig für mich. Der Verein hat mir die nötige Zeit gegeben und mich unterstützt. Die Zeit nach meiner Rückkehr nach Turin war trotzdem hart. Ich bin kein guter Zuschauer und war einen Monat lang im Aufbautraining, musste viel allein und mehr als die Mannschaft trainieren. Das ist jetzt zum Glück vorbei.
Emre Can über Rassismus: "Mensch ist Mensch"
Welche Rolle hat Sami Khedira bei Ihrer Eingewöhnung gespielt?
Can: Sami ist ein super Junge. Er war vom ersten Tag an für mich da. Wenn ich etwas gebraucht habe, bin ich zu ihm hin, habe ihn gefragt und sofort Hilfe bekommen.
Bei Khedira wurden im Februar plötzlich Herzprobleme diagnostiziert. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie darüber informiert wurden?
Can: Es war für uns alle ein Schock. Wie gesagt: Manchmal vergessen wir, dass es Wichtigeres im Leben gibt als Fußball. Zum Glück geht es ihm wieder gut.
Mit Moise Kean stand ein anderer Teamkollege von Ihnen zuletzt immer wieder im Fokus. Gegnerische Fans beleidigten ihn wegen seiner Hautfarbe. Wie groß ist das Rassismus-Problem in Italien?
Can: Es passiert ja nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland, wie man erst kürzlich beim Länderspiel in Wolfsburg gesehen hat. Es passiert überall auf der Welt. Ich finde es einfach nur traurig und schade. Mensch ist Mensch, egal welche Hautfarbe. Wer das nicht respektiert, ist ein Idiot und hat weder im Fußballstadion noch in der Gesellschaft etwas zu suchen. Schade, dass man dieses Problem nicht in den Griff bekommt und ich denke, dass jeder von uns seinen Teil im Kampf gegen Rassismus beitragen muss.
Wurden Sie schon einmal in Deutschland rassistisch beleidigt?
Can: Nein, noch nie.
Emre Can: "Ich bin Fußballer, kein Politiker"
Wie groß ist als Sohn türkischer Einwanderer Ihre Identifikation mit Deutschland?
Can: Meine Identifikation mit Deutschland ist riesig, ich bin in diesem Land geboren und aufgewachsen. Auch wenn meine Eltern beide Türken sind, mich türkisch aufgezogen haben und ich ein bisschen mehr türkisch als deutsch aussehe, fühle ich mich genauso als Deutscher wie als Türke. Ich habe die deutsche Mentalität, die deutschen Tugenden in mir. Ich bin glücklich und stolz, von beidem etwas zu haben. Das ist ein guter Mix.
Hatten Sie in Ihrer Jugend die Möglichkeit, für die türkische Nationalmannschaft zu spielen?
Can: Der türkische Verband hat mich früher einmal kontaktiert, aber für mich stand immer fest, deutscher A-Nationalspieler werden zu wollen, weil ich auch in allen deutschen U-Nationalmannschaften gespielt habe.
Der umstrittene türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan lud neben Mesut Özil und Ilkay Gündogan auch Sie im Mai vergangenen Jahres nach London ein. Warum lehnten Sie ab?
Can: Ich bin Fußballer, kein Politiker. Deshalb wollte ich das nicht machen.
Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews mit Emre Can am kommenden Dienstag, den 16. April, warum ihn Straßfenfußball so geprägt hat, was er beim FC Bayern gelernt hat und warum er sich für Mode interessiert.