Man mag es kaum glauben, aber auch der VfL Wolfsburg hatte seinen Bezug zu dem vielleicht epischsten Fußballspiel dieser Champions-League-Saison. Und wie es sich heutzutage gehört, wurde darauf natürlich auch in den sozialen Medien hingewiesen. "Eine Geschichte wie auf der Konsole. In zwölf Monaten von der Bundesliga-Relegation ins Champions-League-Finale", twitterte Wolfsburg also am späten Dienstagabend.
Es ist die Geschichte des Divock Origi. Vor ziemlich genau einem Jahr kämpfte er mit Wolfsburg im Holstein-Stadion zu Kiel gegen den Abstieg in eine Liga mit dem SV Sandhausen. Wolfsburg hat sich seitdem ein bisschen gemacht, kämpft jetzt mit Vereinen wie Hoffenheim oder Leverkusen um einen Europapokalstartplatz, aber Origi, der schoss seinen FC Liverpool gegen den FC Barcelona ins wichtigste Spiel des weltweiten Vereinsfußballs.
Es ist zweifelsohne eine schöne Geschichte, aber wohl keine, die Origi selbst auf der Konsole nachspielen wird - zumeist hat er nämlich Besseres zu tun. "Ich schaue gerne Dokumentationen, lese viel, spiele gerne Klavier. Und: Ich lerne gerne Sprachen und will schnell Deutsch lernen", sagte er vor zwei Jahren bei seiner Vorstellung in Wolfsburg. Der VfL hatte Origi gerade ausgeliehen und das war in gewisser Weise alarmierend für ihn.
Divock Origi: Liverpool, Wolfsburg und zurück
Origi galt mal als großes Talent, schoss als Teenager bei OSC Lille ein paar Tore und wurde dann von Liverpool verpflichtet. Dort kam er aber langfristig nicht über die Rolle des Einwechselspielers hinaus. Und dann passierte etwas mit ihm, was mit so vielen einst hoffnungsvollen Talenten passiert, die nicht restlos überzeugten und mit denen ihre Klubs nicht mehr ganz so viel anzufangen wissen: Origi wurde in eine Stadt wie Wolfsburg zu einem Verein wie diesem für Leibesübungen verliehen. 23 Jahre war er damals alt.
Die Stadt Wolfsburg sei natürlich der "perfekte Ort für mich", sagt er, und sein neuer Arbeitgeber VfL ein "wundervoller Klub". Die Erwartungen erfüllten aber weder der Klub noch der Spieler: Wolfsburg stieg wenig wundervoll fast ab, Origi erzielte in 33 Bundesligaspielen nur sieben Tore. Immerhin war eines davon besonders wichtig: das 1:0 im Relegationshinspiel gegen Holstein Kiel.
Wolfsburg hielt letztlich die Klasse und Origi ging zurück nach Liverpool. Im Sommer wurde er mal hier angeboten und mal dort, letztlich blieb er aber.
Die Vorboten: Kiel, Everton, Newcastle
Während sein neuer, alter Klub dann von Sieg zu Sieg eilte, eilte Origi von Tribünenplatz zu Bankplatz und wieder zurück. Erst am 2. Dezember wurde er in der Premier League erstmals eingewechselt, in der 84. Minute beim Stadtderby gegen den FC Everton. Es stand 0:0. In der Nachspielzeit machte Origi das entscheidende 1:0 und als Belohnung dafür musste er daraufhin nicht mehr ganz so viel auf der Tribüne sitzen und wurde hin und wieder sogar eingewechselt.
Unter anderem am vergangenen Premier-League-Spieltag, als sein Klub wieder in höchste Not geraten war. 2:2 stand es gegen Newcastle United. Um im Titelrennen zu bleiben, brauchte Liverpool unbedingt ein Tor. Origi wurde eingewechselt und machte in der 86. Minute das 3:2.
Kiel, Everton, Newcastle: Wenn es wichtig wurde und Origi seine Chance bekam, trat der Schattenmann stets ins Licht. Es waren die Vorboten seines Auftritts gegen Barcelona.
Divock Origis Leistungsdaten in der Saison 2018/19
Wettbewerb | Spiele | Minuten | Tore | Assists |
Premier League | 11 | 302 | 3 | 1 |
FA Cup | 1 | 90 | 1 | - |
League Cup | - | - | - | - |
Champions League | 7 | 185 | 2 | - |
Origis ersten beiden Tore in der Champions League
0:3 war das Hinspiel verloren gegangen und noch dazu fielen mit Mohamed Salah und Roberto Firmino zwei der besten Stürmer verletzt aus. Tragisch für Liverpool, gut für Origi. Trainer Jürgen Klopp hatte wenige andere Möglichkeiten, als Origi in die Startelf zu beordern. Mit seinem Abstauber in der 7. Minute brach er früh den Bann, mit seinem so listigen Treffer zum 4:0 ließ er spät alle Dämme brechen.
Was da genau passiert war, nachdem Trent Alexander-Arnold seine Ecke reaktionsschnell flach in die Mitte gespielt hatte, wusste Origi danach nicht einmal mehr selbst. "Es war purer Instinkt", sagte er erst und widersprach sich kurz darauf selbst: "Es war einstudiert." Ganz sicher war es aber das zweite Champions-League-Tor seiner Karriere, kurz nach dem ersten.
Divock Origi: "Ich habe die Präsenz Gottes gespürt"
Um diesen Doppelpack zu begründen, spielte Origi die ganze Klaviatur. Seine Familie habe ihm schon vor Anpfiff versichert, "dass das mein Spiel werden wird". Die Fans haben mit ihrem unaufhörlichen Anpeitschen "ihren Teil dazu beigetragen". Und vor allem, als gläubiger Christ muss man das ja sagen: "Ich habe die Präsenz Gottes gespürt."
Familie, Fans, Gott, Alexander-Arnold mit seiner listigen Ecke, das Wunder und das Weiterkommen. "Es ist einer der schönsten Momente meiner Karriere", sagte Origi. Für immer wird sein Gesicht samt heraushängender Jubel-Zunge mit diesem epischen Fußballspiel in Verbindung gebracht werden.
Viele Lebensaufgaben hat Origi jetzt nicht mehr, wie Klopp nach dem Spiel verkündete: "Ich habe Divock schon gesagt: 'Jetzt musst du nur noch dafür sorgen, dass du Kinder machst und die dann auch noch produktiv werden.'" Und zuvor vielleicht noch das meisterschaftsentscheidende Tor gegen die Wolverhampton Wanderers schießen.