Robin Gosens von Atalanta Bergamo im Interview: "Ich habe noch für 8,50 Euro an der Tanke gejobbt"

Stefan Zieglmayer
06. November 201913:20
Robin Gosens schaffte seinen Durchbruch als Profi beim FC Dordrecht - mit dem Aufstieg in die Eredivisie 2014.imago images
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Robin Gosens wurde erst mit 18 entdeckt - nur wenige Stunden, nachdem er die Disko verlassen hatte. Heute spielt er mit Atalanta Bergamo in der Champions League. Im Interview mit SPOX und Goal spricht der Linksverteidiger über das Privileg, Fußballprofi zu sein, die Gelbe Wand in Dortmund und einen besonderen Moment mit Cristiano Ronaldo.

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Gosens weiß jedoch auch um die Schattenseiten des Fußball-Geschäfts, mit denen er noch immer "enorme Probleme" hat. Der 25-Jährige spricht offen über Rassismus, psychische Herausforderungen und fehlende Persönlichkeit im Fußball.

Herr Gosens, zum Start eine Schätzfrage: Wie viele Brudis haben Sie mittlerweile in Italien?

Robin Gosens: Wie viele Brudis? (lacht) Ich würde sagen, so zwischen 15 und 20 Brudis habe ich hier schon gesammelt.

Was hat es mit diesem "Brudi"-Insider auf sich?

Gosens: Für mich ist jeder ein Brudi, sobald ich ihn besser kenne. Die Italiener können das nicht so gut aussprechen. Sie sagen dann oft "Budi", da kann ich mich schlapplachen. So wurde das irgendwie mein Markenzeichen. Jetzt ist jeder mein Brudi.

Was haben Sie sonst noch von Deutschland nach Bergamo mitgebracht?

Gosens: Musik zum Beispiel. Ich habe ein paar Klassiker von Shindy (deutscher Rap-Künstler, Anm. d. Red.) in die Kabine integriert. Dann läuft eben ab und zu auch mal "Dreams". Manche Italiener fahren jetzt auch auf Deutschrap ab, andere schmeißen mir ihre Badelatschen hinterher.

Robin Gosens im Steckbrief

geboren5. Juli 1994 in Emmerich
Größe1,84 m
Gewicht76 kg
Positionlinker Verteidiger, linkes Mittelfeld
starker Fußlinks
StationenElten Jugend, Bocholt Jugend, Rhede Jugend, Vitesse, Dordrecht, Heracles Almelo, Atalanta
Spiele/Tore in der Serie A59/7

Was haben Sie im Gegenzug von Italien gelernt?

Gosens: Die unfassbare Ruhe, mit der die Leute hier durchs Leben gehen. Das ist eine Eigenschaft, die einen zwar zur Weißglut bringen kann, oft aber angebracht ist. Das Leben zu genießen und zu reflektieren, wie gut es einem geht. In Deutschland ist immer alles sehr gehetzt. Man sollte sich öfter mal ein paar Minuten Ruhe gönnen.

Wann treibt Sie diese Eigenschaft zur Weißglut?

Gosens: Wenn ich hier in Italien einen Termin vereinbare, brauche ich nicht zu erwarten, dass der andere pünktlich kommt. Gerade am Anfang hat mich das nervös gemacht. Letztes Jahr hat ein Mitspieler an seinem Geburtstag um 21 Uhr zum Abendessen eingeladen. Er selbst kam eine Stunde später.

Was hat sich seit Ihrem Wechsel 2017 von Heracles Almelo zu Atalanta Bergamo verändert?

Gosens: Ich kam als No-Name aus einer relativ kleinen Liga. Mittlerweile werde ich sehr wertgeschätzt. Ich will nicht sagen, dass ich ein Dio (italienisch für Gott, Anm. d. Red.) für unsere Fans bin, das sind dann schon eher Papu Gomez oder Josip Ilicic. Aber ich kriege wegen meiner Entwicklung in den vergangenen zwei Jahren schon mehr Anerkennung. Ich werde auf der Straße viel öfter angehalten - für ein Selfie oder sogar eine Umarmung.

Wie würden Sie die Fans in Italien beschreiben?

Gosens: Sie sind tausend Mal emotionaler. Hier wird alles dem Fußball untergeordnet, gerade seit den Erfolgen der letzten Jahre. Wenn wir gewinnen, wird auf den Straßen gefeiert. Wenn wir verlieren, wird geweint. Hier ist eine Niederlage wie ein Weltuntergang. Alles ist sehr extrem.

Robin Gosens über die Schattenseiten des Fußball-Geschäfts (Seite 2).SPOX / getty

Robin Gosens fordert radikales Vorgehen gegen Rassismus

Extrem ist nicht zwingend gut. Gerade in Italien kam es zuletzt wieder vermehrt zu rassistischen Zwischenfällen. Erst im September haben Atalanta-Fans den Rechtsverteidiger Dalbert von Florenz rassistisch beleidigt. Wie nahmen Sie das als Spieler auf dem Platz wahr?

Gosens: Man merkt, wie sehr den Spielern damit wehgetan wird. Dalbert war kurz davor zu weinen, er wollte den Platz verlassen. Für ein solches Verhalten auf den Rängen kann man diesen Leuten nur den Vogel zeigen.

In Frankreich sind die Schiedsrichter mittlerweile dazu angehalten, Spiele zu unterbrechen, sollte es zu Diskriminierungen kommen. Was halten Sie davon?

Gosens: Ich halte das für den richtigen Weg. Es wird oft gesagt: "Das geht so nicht, das geht so nicht." Aber es verändert sich nichts. Deswegen muss man zu drastischeren Mitteln greifen, damit wirklich jeder versteht, dass so etwas in Stadien nichts zu suchen hat. Meistens sind das einzelne "Fans". Wenn das Spiel unterbrochen wird, wird die Mehrheit, die wegen des Spiels gekommen ist, durch diese Idioten benachteiligt. Vielleicht entsteht dadurch eine größere Community, die Contra gibt, und mehr Zuschauer stehen gegen diese Leute auf.

Einige Spieler meinen, wenn man wegen jeder Provokation das Spiel unterbrechen würde, würden die Täter genau das bekommen, was sie wollten.

Gosens: Wenn man deutlich hört, dass Affengeräusche von der Tribüne kommen, sollte man das nicht akzeptieren in der Hoffnung, dass sie von selbst aufhören. Man muss radikal gegen diese Vollidioten vorgehen. Ansonsten ist keine Besserung in Sicht.

Wie sehr können Fans - sowohl im Positiven als auch im Negativen - Spieler oder die Dynamik des Spiels beeinflussen?

Gosens: Sehr. Wenn man als Spieler mental nicht stark genug ist, können zum Beispiel anhaltende Pfiffe die Leistung stark beeinflussen. Aber andersherum noch mehr: Wenn uns die Fans im Heimspiel nach vorne peitschen, wächst die Lunge auf die doppelte Größe an. Dann ballerst Du dich in jeden Zweikampf.

Es gibt diesen schönen Begriff "Hexenkessel". Sie haben beispielsweise schon im Dortmunder Signal Iduna Park gespielt. Beeindruckt?

Gosens: Sehr. Die Gelbe Wand kann Spieler schon einschüchtern. Ich selbst kann Nebengeräusche ganz gut ausschalten. Trotzdem sind das Erlebnisse, die einem im Gedächtnis bleiben. Ich würde liebend gern auch einmal in Anfield oder beim Superclasico zwischen den Boca Juniors und River Plate spielen. Papu Gomez sagt immer, das sei das Krasseste, was man als Spieler erleben kann.

Sie studieren nebenbei Sportpsychologie im Bachelor. Hilft Ihnen das Studium in Ihrem Job?

Gosens: Ich denke schon. Ich habe zwar erst die Grundlagen hinter mir, aber ich kann besser relativieren. Ich lerne, Aussagen oder Gesten zu hinterfragen, in einen Kontext zu setzen und versuche, die Hintergründe zu verstehen. Viel Chaos ist vermeidbar, wenn man nicht alles auf die Goldwaage legt.

Welche Methoden wenden Sie abseits des Spiels für Sich an?

Gosens: Ich setze mir bewusst kurz-, mittel- und langfristige Ziele, damit ich einen klaren Weg vor Augen habe. Erreiche ich ein Ziel, gibt mir das einen Boost für die nächsten Aufgaben.

Wie sehen diese Ziele aktuell konkret aus?

Gosens: Mein langfristiges Ziel ist die Bundesliga, daraus habe ich noch nie einen Hehl gemacht. Dafür mache ich alles.

Gosens: "Will nicht den Stempel 'Schalke-Ultra' bekommen"

Im Sommer scheiterte ein Wechsel zum FC Schalke 04. Ein Klub, der Ihnen am Herzen liegt. Wäre das das Nonplusultra?

Gosens: Ich will nicht den Stempel "Schalke-Ultra" bekommen, aber ich würde mich schon als Sympathisant bezeichnen. Mein Onkel hat mich als kleinen Jungen mit ins Stadion genommen. Das war mein erstes Mal im Stadion, ich war hin und weg. Seitdem ist das mein Verein. Aber aktuell habe ich nur Atalanta im Kopf.

Ihr langfristiges Ziel ist klar. Was wollen Sie mittelfristig erreichen?

Gosens: Meine Statistiken aus der Vorsaison zu überbieten. Tore und Assists sind im Fußball durchaus wichtige Parameter, so kann ich auf mich aufmerksam machen.

Was wäre beispielsweise ein kurzfristiges Ziel?

Gosens: Das kann zum Beispiel die Rückkehr von einer kleineren Verletzung bis zum nächsten Spiel sein.

Sie wollen nach Ihrer aktiven Karriere als Sportpsychologe anderen Spielern helfen, arbeiten aktuell auch selbst mit einem Mentaltrainer zusammen. Wie akzeptiert sind Psychologen schon im Profi-Fußball?

Gosens: Das ist immer noch kein einfaches Thema. In der Bundesliga sind Sportpsychologen bei Profivereinen der Standard, in Italien ist das noch nicht der Fall.

Was könnte der Grund dafür sein?

Gosens: Im Fußball geht es noch immer um das Fernbleiben von Schwäche. Viele Spieler haben Angst, sich mit ihren Problemen an den Verein oder einen Psychologen zu wenden, weil sie befürchten, nicht mehr ernstgenommen zu werden. Aber das ist der falsche Ansatz. Es ist das Normalste der Welt, dass man Probleme hat.

Robin Gosens schaffte seinen Durchbruch als Profi beim FC Dordrecht - mit dem Aufstieg in die Eredivisie 2014.imago images

Robin Gosens erklärt seine Probleme mit dem Fußball-Business

Was sind typische Fußballer-Probleme?

Gosens: Druck, Kritik oder Beleidigungen im Internet. Wir leben nicht mehr in den 70er oder 80er Jahren, als es noch kein Internet gab. Deswegen werden solche Angebote immer wichtiger. Man muss von der Kultur wegkommen, dass man sich nicht öffnen darf. Das muss auch ein Anliegen des Vereins sein. Je mehr man in sich hineinfrisst, desto weniger ist man mental in Balance. Das wirkt sich wiederum auf die Leistung aus. Jeder träumt davon, Profi zu werden, in diesen Stadien aufzulaufen, zwei Stunden am Tag zu trainieren und einen Haufen Kohle zu verdienen. Aber es ist viel mehr als das.

Gewöhnt man sich daran?

Gosens: Ich habe immer noch enorme Probleme mit dieser Fußball-Welt, die von Geld bestimmt wird und sehr oberflächlich ist. Es wird wenig Wert auf den Menschen hinter dem Fußballer gelegt. Die Spieler werden immer mehr zu Objekten mit einem Preisschild dran, die maximalen Profit für den Verein herausholen sollen. Das ist für mich als sehr emotionale Person schwierig.

Kann man dagegen als Spieler etwas unternehmen?

Gosens: Das geht mit den kleinsten Gesten. Wenn wir verlieren und ein Mitspieler hat einen schweren Fehler gemacht, frage ich nach dem Spiel: "Und, wie geht's Dir? Kann ich irgendwas tun, damit Du den Abend vergisst? Sollen wir etwas trinken gehen oder eine Kleinigkeit essen?" Dafür werde ich auch mal schief angeguckt. Normalerweise sieht dich niemand auch nur mit dem Arsch an, weil Du mitverantwortlich für die Niederlage bist.

Sie haben einen etwas anderen Background als viele Ihrer Kollegen. Mit 17 haben Sie an der Grenze zu den Niederlanden an einer Tankstelle gearbeitet. Acht Jahre später spielen Sie in Manchester und stehen elf Spielern gegenüber, die gemeinsam 534,7 Millionen Euro Ablöse kosteten. Teilweise haben diese Spieler einen Stundenlohn von 2400 Euro. Wie klingt das?

Gosens: Das ist geisteskrank. Ich habe noch für 8,50 Euro an der Tanke gejobbt. (lacht) Aber im Ernst: Ich hatte trotzdem auch damals ein geiles Leben. Natürlich bin ich heute in ganz anderen Stratosphären unterwegs, aber ich kann das vernünftig einordnen und stehe mit beiden Beinen im Leben. Ich weiß, dass ich in einer privilegierten Lage bin und das alles andere als normal ist.

Robin Gosens im Zweikampf mit Kyle Walker von Manchester City.getty

Robin Gosens: "Man folgt einer Marke, keiner Persönlichkeit"

Fühlen Sie sich in diesem Fußball-Business manchmal fehl am Platz?

Gosens: So weit würde ich nicht gehen. Ich verabscheue das Fußballgeschäft nicht, ich verstehe es nur nicht und versuche, mich damit zu arrangieren. Ich kann auch die Absichten der Vereine nachvollziehen. Mir fehlen nur diese gewissen Aspekte. Ich liebe den Sport. Ich liebe es, in Stadien aufzulaufen. Ich liebe es, im Training alles zu geben. Das ist pure Leidenschaft. Umso krasser ist der Widerspruch, dass es im Profi-Fußball so sehr ums Geschäft geht. Selbst vermeintlich Persönliches ist oberflächlich.

Was meinen Sie damit?

Gosens: Beispiel Instagram: Mich juckt nicht die Bohne, wie viele Follower ich habe. Ich habe meinen Account, weil ich Bock habe, ein paar Späßchen zu machen. Aber Instagram ist für die meisten Profisportler eine Plattform, ihre Marke zu etablieren. Man folgt einer Marke, keiner Persönlichkeit. Das ist sehr bedenklich. Das kann dem Fußball auch irgendwann zum Verhängnis werden. Aber aktuell sehe ich das Ende noch nicht wirklich.

Bis die Blase platzt, wird die Welle geritten - auch von der UEFA oder FIFA. Größere Wettbewerbe, mehr Spiele, größerer Ertrag. Macht das am Ende nur die Spieler kaputt?

Gosens: Wir sind teilweise schon am Limit, das geht an die Substanz.

Sie befinden sich mit Atalanta inmitten eines Sieben-Spiele-Streaks innerhalb von 22 Tagen. Was macht das mit einem?

Gosens: Irgendwann kommen die kleinen Wehwehchen. Die werden mit der Zeit größer, aber unterdrückt - durch Schmerzmittel und intensive Therapien. Aber ob das alles so gesund ist, ist zu hinterfragen. Am Ende müssen die Spiele trotzdem gespielt werden.

Gosens erzählt von besonderem Moment mit Cristiano Ronaldo

Der nächste Gegner heißt Manchester City. Das Hinspiel im Etihad ging mit 5:1 an City - keine schöne Erinnerung.

Gosens: Das tut weh. Aber in so einem Stadion gegen solche Topstars auflaufen zu dürfen, ist schon das Geilste an meinem Job. Davon werde ich noch mit 95 Jahren jedem erzählen. Dann habe ich nicht mehr so viel zu tun, setze mich draußen auf einen Stuhl und reibe allen unter die Nase, dass ich früher Fußballprofi war. (lacht) Diese Momente bleiben für immer.

War das erste Duell mit Cristiano Ronaldo im Winter 2018 auch so ein Moment?

Gosens: Auf jeden Fall. Ich habe ihn immer für seine Ausstrahlung, seine Aura und seine Arbeitseinstellung gefeiert. Er war das Idol meiner Jugend. Gegen uns spielte er nicht von Beginn an - wie ich. Wir wurden dann gleichzeitig zum Warmlaufen geschickt. Wie er alle Blicke auf sich zieht, wie er sich gibt, das ist sehr besonders. Dieses Gefühl, derart in den Bann gezogen zu werden, hatte ich bisher bei keinem anderen Spieler.