Robin Gosens von Atalanta Bergamo im Interview: "Ich habe noch für 8,50 Euro an der Tanke gejobbt"

Robin Gosens schaffte seinen Durchbruch als Profi beim FC Dordrecht - mit dem Aufstieg in die Eredivisie 2014.
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Robin Gosens wurde erst mit 18 entdeckt - nur wenige Stunden, nachdem er die Disko verlassen hatte. Heute spielt er mit Atalanta Bergamo in der Champions League. Im Interview mit SPOX und Goal spricht der Linksverteidiger über das Privileg, Fußballprofi zu sein, die Gelbe Wand in Dortmund und einen besonderen Moment mit Cristiano Ronaldo.

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Gosens weiß jedoch auch um die Schattenseiten des Fußball-Geschäfts, mit denen er noch immer "enorme Probleme" hat. Der 25-Jährige spricht offen über Rassismus, psychische Herausforderungen und fehlende Persönlichkeit im Fußball.

Herr Gosens, zum Start eine Schätzfrage: Wie viele Brudis haben Sie mittlerweile in Italien?

Robin Gosens: Wie viele Brudis? (lacht) Ich würde sagen, so zwischen 15 und 20 Brudis habe ich hier schon gesammelt.

Was hat es mit diesem "Brudi"-Insider auf sich?

Gosens: Für mich ist jeder ein Brudi, sobald ich ihn besser kenne. Die Italiener können das nicht so gut aussprechen. Sie sagen dann oft "Budi", da kann ich mich schlapplachen. So wurde das irgendwie mein Markenzeichen. Jetzt ist jeder mein Brudi.

Was haben Sie sonst noch von Deutschland nach Bergamo mitgebracht?

Gosens: Musik zum Beispiel. Ich habe ein paar Klassiker von Shindy (deutscher Rap-Künstler, Anm. d. Red.) in die Kabine integriert. Dann läuft eben ab und zu auch mal "Dreams". Manche Italiener fahren jetzt auch auf Deutschrap ab, andere schmeißen mir ihre Badelatschen hinterher.

Robin Gosens im Steckbrief

geboren5. Juli 1994 in Emmerich
Größe1,84 m
Gewicht76 kg
Positionlinker Verteidiger, linkes Mittelfeld
starker Fußlinks
StationenElten Jugend, Bocholt Jugend, Rhede Jugend, Vitesse, Dordrecht, Heracles Almelo, Atalanta
Spiele/Tore in der Serie A59/7

Was haben Sie im Gegenzug von Italien gelernt?

Gosens: Die unfassbare Ruhe, mit der die Leute hier durchs Leben gehen. Das ist eine Eigenschaft, die einen zwar zur Weißglut bringen kann, oft aber angebracht ist. Das Leben zu genießen und zu reflektieren, wie gut es einem geht. In Deutschland ist immer alles sehr gehetzt. Man sollte sich öfter mal ein paar Minuten Ruhe gönnen.

Wann treibt Sie diese Eigenschaft zur Weißglut?

Gosens: Wenn ich hier in Italien einen Termin vereinbare, brauche ich nicht zu erwarten, dass der andere pünktlich kommt. Gerade am Anfang hat mich das nervös gemacht. Letztes Jahr hat ein Mitspieler an seinem Geburtstag um 21 Uhr zum Abendessen eingeladen. Er selbst kam eine Stunde später.

Was hat sich seit Ihrem Wechsel 2017 von Heracles Almelo zu Atalanta Bergamo verändert?

Gosens: Ich kam als No-Name aus einer relativ kleinen Liga. Mittlerweile werde ich sehr wertgeschätzt. Ich will nicht sagen, dass ich ein Dio (italienisch für Gott, Anm. d. Red.) für unsere Fans bin, das sind dann schon eher Papu Gomez oder Josip Ilicic. Aber ich kriege wegen meiner Entwicklung in den vergangenen zwei Jahren schon mehr Anerkennung. Ich werde auf der Straße viel öfter angehalten - für ein Selfie oder sogar eine Umarmung.

Wie würden Sie die Fans in Italien beschreiben?

Gosens: Sie sind tausend Mal emotionaler. Hier wird alles dem Fußball untergeordnet, gerade seit den Erfolgen der letzten Jahre. Wenn wir gewinnen, wird auf den Straßen gefeiert. Wenn wir verlieren, wird geweint. Hier ist eine Niederlage wie ein Weltuntergang. Alles ist sehr extrem.

Robin Gosens über die Schattenseiten des Fußball-Geschäfts (Seite 2).
© SPOX / getty
Robin Gosens über die Schattenseiten des Fußball-Geschäfts (Seite 2).

Robin Gosens fordert radikales Vorgehen gegen Rassismus

Extrem ist nicht zwingend gut. Gerade in Italien kam es zuletzt wieder vermehrt zu rassistischen Zwischenfällen. Erst im September haben Atalanta-Fans den Rechtsverteidiger Dalbert von Florenz rassistisch beleidigt. Wie nahmen Sie das als Spieler auf dem Platz wahr?

Gosens: Man merkt, wie sehr den Spielern damit wehgetan wird. Dalbert war kurz davor zu weinen, er wollte den Platz verlassen. Für ein solches Verhalten auf den Rängen kann man diesen Leuten nur den Vogel zeigen.

In Frankreich sind die Schiedsrichter mittlerweile dazu angehalten, Spiele zu unterbrechen, sollte es zu Diskriminierungen kommen. Was halten Sie davon?

Gosens: Ich halte das für den richtigen Weg. Es wird oft gesagt: "Das geht so nicht, das geht so nicht." Aber es verändert sich nichts. Deswegen muss man zu drastischeren Mitteln greifen, damit wirklich jeder versteht, dass so etwas in Stadien nichts zu suchen hat. Meistens sind das einzelne "Fans". Wenn das Spiel unterbrochen wird, wird die Mehrheit, die wegen des Spiels gekommen ist, durch diese Idioten benachteiligt. Vielleicht entsteht dadurch eine größere Community, die Contra gibt, und mehr Zuschauer stehen gegen diese Leute auf.

Einige Spieler meinen, wenn man wegen jeder Provokation das Spiel unterbrechen würde, würden die Täter genau das bekommen, was sie wollten.

Gosens: Wenn man deutlich hört, dass Affengeräusche von der Tribüne kommen, sollte man das nicht akzeptieren in der Hoffnung, dass sie von selbst aufhören. Man muss radikal gegen diese Vollidioten vorgehen. Ansonsten ist keine Besserung in Sicht.

Wie sehr können Fans - sowohl im Positiven als auch im Negativen - Spieler oder die Dynamik des Spiels beeinflussen?

Gosens: Sehr. Wenn man als Spieler mental nicht stark genug ist, können zum Beispiel anhaltende Pfiffe die Leistung stark beeinflussen. Aber andersherum noch mehr: Wenn uns die Fans im Heimspiel nach vorne peitschen, wächst die Lunge auf die doppelte Größe an. Dann ballerst Du dich in jeden Zweikampf.

Es gibt diesen schönen Begriff "Hexenkessel". Sie haben beispielsweise schon im Dortmunder Signal Iduna Park gespielt. Beeindruckt?

Gosens: Sehr. Die Gelbe Wand kann Spieler schon einschüchtern. Ich selbst kann Nebengeräusche ganz gut ausschalten. Trotzdem sind das Erlebnisse, die einem im Gedächtnis bleiben. Ich würde liebend gern auch einmal in Anfield oder beim Superclasico zwischen den Boca Juniors und River Plate spielen. Papu Gomez sagt immer, das sei das Krasseste, was man als Spieler erleben kann.

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