Den heute 57-Jährigen bringen viele nur mit dem AC Mailand in Verbindung, mit dem er zweimal den Europacup der Landesmeister und dreimal die italienische Meisterschaft gewann. Doch der Europameister von 1988 spielte auch für den FC Chelsea, der im Champions-League-Achtelfinale auf den FC Bayern trifft (ab 21 Uhr im LIVETICKER).
1995 wechselte Gullit zu den Blues, bei denen er sofort zum Publikumsliebling avancierte und in der ersten Saison von den Fans zum Spieler des Jahres gewählt wurde. Im Jahr darauf übernahm er als Spielertrainer bei den Londonern und gewann 1997 als damals jüngster Coach der Geschichte den FA-Cup.
Herr Gullit, Sie waren 2012 als Mitglied der Chelsea-Delegation beim Champions-League-Finale gegen den FC Bayern. Welche Erinnerungen haben Sie?
Ruud Gullit: Das war ein unglaubliches Spiel. Es war schwieriger für Bayern zu verlieren als zu gewinnen. Sie hatten ein Heimspiel im Finale und es war einfach unfassbar, wie viele Chancen sie vergeben haben. Chelsea hatte offenbar einen blauen Engel auf der Torlatte sitzen, soviel Glück hatten sie in dieser Partie. Natürlich ist es nicht nur Glück, wenn du ein Endspiel gewinnst, doch an dem Tag hatte Chelsea wahnsinnig viel davon. Aber Bayern hat es dann ja ein Jahr später gemacht.
Wem drücken Sie diesmal die Daumen?
Gullit: Ich habe keinen engen Kontakt mehr zu Chelsea, ich lebe ja inzwischen in Amsterdam. Aber natürlich halte ich zu den Blues und will, dass sie gewinnen. Trotzdem ist Bayern Favorit - ich habe schon vor der Saison gesagt, dass sie die Champions League gewinnen können.
Sehen Sie das immer noch so?
Gullit: Bayern hatte Probleme in dieser Saison, aber auch viele Verletzungen. Jetzt müssen sie die erste Hürde nehmen, aber sie haben eine gute Mannschaft und gehören weiter zu meinen Titelkandidaten. Wobei man sagen muss, dass es dieses Jahr mit Ausnahme von Liverpool keinen klaren Favoriten gibt. Fast alle Topteams schwächeln gerade, ob Barca, Real, Juventus oder Manchester City.
Ruud Gullit: "Bayern ist ten Hags Traumjob"
Stichwort City: Glauben Sie, dass Pep Guardiola den Klub nach der Sperre durch die UEFA im Sommer verlassen wird?
Gullit: Ich halte das für möglich. Pep will unbedingt die Champions League gewinnen, das ist sein heiliger Gral. Den hat er nach seiner Zeit bei Barca nicht mehr geholt. Er war nahe dran, aber aus verschiedenen Gründen ist ihm das nicht mehr gelungen.
Einige kritisieren ihn dafür ...
Gullit: Pep ist ein sehr guter Trainer. Ich mag ihn, weil er bei jedem Klub etwas hinterlassen hat. Er hat mit Bayern zwar nicht die Champions League gewonnen, aber er hat den Spielstil der Mannschaft so verändert, dass sie international Eindruck gemacht haben. Pep hat seinen eigenen Stil und jeder liebt seinen Fußball, auch bei Manchester City.
Als Guardiola in München war, arbeitete er dort zusammen mit dem aktuellen Ajax-Coach Erik ten Hag. Jetzt wird ten Hag wieder als Kandidat bei Bayern gehandelt. Wie realistisch ist das aus Ihrer Sicht?
Gullit: Wenn Bayern ihn fragt, wird er es auf jeden Fall machen. Ich denke, das ist sein Traumjob. Er kennt den Verein aus seiner Zeit als Trainer der zweiten Mannschaft, deshalb könnte ich verstehen, wenn er Ajax verlassen würde.
Hat er die Qualität, einen Verein wie Bayern zu trainieren?
Gullit: Er hat bei Ajax gut gearbeitet und sich wirklich gut entwickelt. Am Anfang waren viele skeptisch, weil er aus Ostholland kommt und einige ihn seltsam fanden. Aber dann hat er es wirklich sehr, sehr gut gemacht und im vergangenen Jahr das Double geholt.
Würde ten Hag auch Rechtsverteidiger Sergino Dest mitbringen?
Gullit: Möglich wäre es. Das Interesse von Bayern an Dest hat mich auch überrascht, zumal es sehr konkret sein soll. Aus seiner Sicht kann ich den Schritt nachvollziehen. Er kam eigentlich aus dem Nichts, weil er in der zweiten Mannschaft von Ajax gespielt hat und ihn keiner kannte. Aber er spielt für sein Alter schon sehr selbstbewusst, ist aggressiv im Zweikampfverhalten und hat wirklich Talent.
Ruud Gullit: Bayern sollte Zirkzee ausleihen
Aktuell ist Joshua Zirkzee der einzige Landsmann im Bayern-Kader. Wie gut kennen Sie ihn?
Gullit: Mein Sohn Maxim spielt mit ihm zusammen in der niederländischen U-19-Nationalmannschaft, deshalb habe ich ihn schon öfter gesehen. Es freut mich, wie er sich entwickelt hat. Joshua ist ein guter Stürmer, der seine Tore mit einer gewissen Leichtigkeit erzielt und großes Potenzial besitzt. Bei Bayern hat er natürlich Lewandowski vor sich, aber von ihm kann er eine Menge lernen.
Sollte er trotz der Reservistenrolle bei den Bayern bleiben?
Gullit: Ich habe gehört, dass Bayern ihn ausleihen will. Das wäre eine gute Lösung, damit er Spielpraxis und eine gewisse Wettkampfhärte bekommt. Er muss sich in bestimmten Bereichen noch verbessern, vor allem bei der Ballannahme. Manchmal springt ihm der Ball noch zu weit weg, er muss den Ball auch unter Druck behaupten können. Aber er hat schon jetzt einen guten Torriecher.
Erling Haaland ist nicht wesentlich älter und sorgt aktuell bei Borussia Dortmund für Furore. Wie sehen Sie ihn?
Gullit: Haaland ist einfach unglaublich. Er ist viel schneller als man denkt, wenn man ihn sieht. Es ist erst sein erstes Jahr auf dem Niveau, aber er trifft und trifft. Deshalb war es die richtige Entscheidung, zu einer technisch und spielerisch starken Mannschaft wie Dortmund zu gehen.