Robert Lewandowski brachte das zuvor Geschehene zu später Stunde kurz und knackig auf den Punkt. "Für manche Momente gibt es einfach keine Worte (Lachsmiley)", schickte der Pole in den Twitter-Äther und erhielt reichlich Zustimmung von seinen 1,3 Millionen Followern. Verständlicherweise.
Tatsächlich konnte es den Zuschauern, ja offenbar selbst den unmittelbar involvierten Protagonisten angesichts dessen, was sich am Freitagabend im Stadion des Lichtes zu Lissabon abgespielt hatte, schon einmal die Sprache verschlagen.
Mit 8 (ACHT) zu 2 hatte der FC Bayern den FC Barcelona in einer denkwürdigen, einer aberwitzigen, schier unglaublichen Begegnung demontiert, nach allen Regeln der Kunst vorgeführt.
Es war die höchste Pleite, die es je in einem Champions-League-Viertelfinale gab sowie die höchste Niederlage seit knapp 70 Jahren (1951 setzte es ein 0:6 gegen Espanyol) für die stolzen Katalanen. Sie waren im Vorfeld der Partie aufgrund der vergangenen Monate zwar als Underdog eingestuft worden, galten aber mitnichten als Laufkundschaft. Natürlich nicht. Wer würde es denn auch wagen, eine Mannschaft mit solch hochdekorierten, erfahrenen Weltklassespielern zu unterschätzen?
Erste Halbzeit erinnert an Deutschlands Brasilien-Demütigung
Lionel Messi, Luis Suarez, Sergio Busquets und Co. sind normalerweise immer imstande, Großes zu vollbringen. Nicht an diesem Abend, nicht gegen diese Über-Bayern. Vor allem im ersten Durchgang, nachdem die Münchner das zwischenzeitliche 1:1 verkraftet hatten und anschließend eine gleichzeitig komfortable wie groteske 4:1-Führung herausschossen, sah man sich zwangsläufig an die legendären 45 Minuten zwischen der deutschen Nationalmannschaft und Brasilien im Sommer 2014 erinnert.
Auch damals, als das DFB-Team über die bemitleidenswerte Selecao hinwegfegte und mit 5:0 in die Pause ging, hatte zuvor selbstredend niemand damit gerechnet, dass derart Historisches passieren würde. Kollektives, ungläubiges Kopfschütteln stellte sich ein, schien doch alles viel zu surreal.
Thomas Müller: "Gegen Brasilien hatten wir es nicht so unter Kontrolle"
In etwa so surreal, wie nach einer Halbzeit vier Tore gegen Barcelona auf der Habenseite zu wissen. Thomas Müller wollte diesbezügliche Parallelen jedoch interessanterweise nicht ziehen. "Gegen Brasilien hatten wir es nicht so unter Kontrolle", sagte er, der sowohl beim Brasilien-Deutschland- als auch beim Bayern-Barca-Schützenfest den Torreigen eröffnet hatte, im Gespräch mit Sky.
Gegen Brasilien, so Müller, sei das einfach passiert, quasi positiv aus dem Ruder gelaufen. "Heute wollten wir den Gegner beherrschen wie wir es in den vergangenen Monaten immer getan haben." Eine Analyse, die tiefe Einblicke ins derzeitige Selbstverständnis des deutschen Rekordmeisters gab - und gleichzeitig den Vergleich mit dem Brasilien-Spiel einigermaßen widerlegte.
Der Unterschied zum WM-Halbfinale: Bei den Bayern war gleich zu erkennen, welche konkrete Marschroute Trainer Hansi Flick seinen Jungs mit an die Hand gegeben hatte. Kein Abwarten, welchen Schlachtplan der Gegner möglicherweise verfolgt, keine Ambition, sich langsam heranzutasten, was in K.o.-Spielen ja durchaus gang und gäbe ist.
Von Beginn an wurden die Blaugrana mit unbändigem Willen unter Druck gesetzt, das hohe Pressing, das sich in den vergangenen Monaten bewährt hat, zogen Flicks Schützlinge konsequent durch.
FC Bayern geht hohes Risiko - und hat zu Beginn Glück
So sehr, dass sich zugegebenermaßen anfangs noch vielversprechende Räume für Barca ergaben, die - aus Bayern-Sicht glücklicherweise - jedoch weitestgehend ungenutzt blieben. Weil Jerome Boateng kurz nach Anpfiff seinen Fuß dazwischen bekam (3.), weil Manuel Neuer den heranstürmenden Suarez abkochte (9.) und weil Messi (10.) nur den Pfosten traf.
"Es ist schwierig zu begreifen, aber wir haben von der ersten Minute an mit einem brutalen Fokus gespielt", sagte Joshua Kimmich und schob nach: "Wir haben extrem zielstrebig nach vorne gespielt und waren hinten sehr mutig. Am Ende war es ein unglaubliches Ergebnis." Flick erklärte: "Wir wussten, dass Fehler passieren können, wenn wir sie unter Druck setzen. Diese Fehler wollten wir ausnutzen. Das hat optimal geklappt."
Ob er, der neben Müller, Boateng und Neuer bekanntermaßen ebenfalls zu den Verantwortlichen beim WM-Coup zählte, denn wenigstens an das Brasilien-Spiel gedacht habe? "Ich bin niemand, der in der Vergangenheit lebt. Das Hier und Jetzt ist entscheidend." Und dieses Hier und Jetzt heißt maximale Kontrolle über das Geschehen, bedingungslose Gier nach Erfolgserlebnissen.
FC Bayern: Philippe Coutinho netzt doppelt
Anders als 2014 in Belo Horizonte, wo es die deutsche Auswahl nach dem Seitenwechsel weitaus gemächlicher anging, drückten die Bayern in Lissabon noch einmal mächtig aufs Gaspedal. Nicht mit dem vornehmlichen Ziel, den Gegner lächerlich zu machen, sondern schlicht, weil der Flick'sche Matchplan es so vorsieht, es gehört zum mittlerweile automatisierten Kontrollprogramm dazu.
Daran haben auch diejenigen einen erheblichen Anteil, die sich jüngst in der zweiten Reihe wiederfanden. Philippe Coutinho oder Kingsley Coman beispielsweise wollten sich vor dem Halbfinale noch einmal zeigen. Die beiden sprühten vor Spielfreude, reihten sich nahtlos ein in die perfekt geölte Angriffsmaschine. Coutinho traf binnen 15 Minuten zweimal, steuerte zudem eine Vorlage gegen seinen Stammklub bei.
Gegen ebenjenen Verein, der am Donnerstag noch von seinem Angestellten Arturo Vidal als "bester Klub der Welt" geadelt wurde. "Morgen spielen sie nicht gegen einen Bundesliga-Gegner, sondern gegen den FC Barcelona." Richtig, in der Bundesliga hat nämlich kein Team in der abgelaufenen Saison acht Tore gegen die Bayern gefangen.
Nicht nur Vidal wird erkannt haben, dass es derzeit völlig unerheblich ist, wie klangvoll der Name des jeweiligen Bayern-Kontrahenten anmutet. Die volle Kontrolle liegt in der Hand der Münchner.
Champions League: Halbfinale im Überblick
Datum | Uhrzeit | Mannschaft 1 | Mannschaft 2 |
18. August | 21 Uhr | RB Leipzig | Paris Saint-Germain |
19. August | 21 Uhr | FC Bayern | Manchester City / Olympique Lyon |