BVB - Zehn Jahre nach Polizeigewalt in Sevilla: Ein betroffener Dortmund-Fan im Interview

Beim BVB-Spiel in Sevilla kam es 2010 zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Dortmunder Fans.
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Wann wurde Ihnen mitgeteilt, wie der Vorwurf für die Festnahme lautete?

Bernd W.: Gar nicht, niemand hat mit uns gesprochen. Es wurde natürlich gefragt, was nun mit uns passieren wird, aber die Polizisten konnten oder wollten kein Englisch sprechen. So standen wir mindestens eineinhalb Stunden unter der Treppe mit dem Kopf an der Wand und jeweils einem Polizisten hinter uns. Wir mussten die Hände aus den Taschen halten und haben dann in der mittlerweile doch extremen Kälte einfach nur gewartet, bis irgendetwas passiert.

Wie sahen Ihre Gedanken in diesem Moment aus?

Bernd W.: Ich hatte einfach nur die Hoffnung, dass sie uns irgendwann ein paar Fragen stellen und wir dann wieder gehen können. Auch meine Kumpels standen irgendwo in Sicherheit vor dem Stadion und haben auf mich gewartet. Das habe ich mitbekommen, als wir schließlich an den Händen gefesselt zu zweit in einen Polizeiwagen verfrachtet worden sind. 'Wir warten auf dich, wir holen dich da raus', haben sie mir entgegengerufen. Da habe ich erstmals realisiert, dass die Sache wohl doch ernster wird als gedacht. Man fuhr uns dann mit Blaulicht zu einer Polizeiwache. Kommuniziert hat aber weiterhin niemand mit uns. Ich stand natürlich unter Schock, aber im Nachhinein kann ich mir kaum erklären, wie ich das alles durchgestanden habe.

Wie ist es auf der Wache weitergegangen?

Bernd W.: Wir wurden gefesselt nebeneinander in einem Gang aufgereiht und standen auch dort wieder sehr lange, ohne dass jemand mit uns gesprochen hat. Man nahm uns Handys und Kameras ab, ein Polizist löschte direkt vor meinen Augen alle Daten. Uns wurden auch Fingerabdrücke abgenommen. Da nirgends eine Uhr hing, hatte ich keine Ahnung, wie spät es war. Plötzlich tauchte für drei Minuten eine Dolmetscherin mit sehr schlechten Deutschkenntnissen auf. Sie meinte, dass uns allen derselbe Vorwurf gemacht wird, wir nun kurz in Untersuchungshaft kommen und dann wieder freigelassen werden. Ich habe gefragt, wie lange das dauern wird, da mein Rückflug am nächsten Tag um 12 Uhr ging. Es hieß, das werde ganz schnell gehen, den Flug bekäme ich auf jeden Fall.

Wie schnell wurde klar, dass das nicht eintreten wird?

Bernd W.: Nach und nach. Als alle Daten aufgenommen waren, ging es in einen dunklen Keller, wo wir wieder aufgereiht und uns alle weiteren Habseligkeiten abgenommen wurden. Also auch Gürtel und Schnürsenkel, damit wir bloß nichts mehr am Körper führten. Wir sind dann wie durch Ruinen über mehrere Räume hinweg zu komplett gefliesten Zellen ohne Fenster gebracht worden, in die man uns zu zweit steckte. Der Rest war gegenüber und neben uns untergebracht. Das war alles in Hörweite und man konnte miteinander reden, aber nichts sehen, da die Türen versetzt waren.

Bekamen Sie dort Verpflegung?

Bernd W.: Es gab stinkende, ungewaschene Decken und ein gammliges Sandwich, aber nichts zu trinken. Auch eine Sitzgelegenheit war nicht vorhanden. Spätestens da war klar, dass die Aussage der Dolmetscherin nicht eintreffen wird. Mittlerweile dürfte es auch zwei oder drei Uhr nachts gewesen sein. Ganz selten ist ein Polizist durch den Gang gelaufen. Wenn jedoch jemand eine Panik bekommen hätte, uns hätte niemand helfen können. Es gab keine Möglichkeit, um jemanden zu verständigen. Zwischendurch ist einer von uns zu einem Arzt abgeführt worden, weil er zuvor bereits verletzt wurde und starke Schmerzen hatte.

War es in dieser Nacht möglich, einmal ein Auge zuzudrücken?

Bernd W.: Nein, an Schlaf war nicht zu denken. Das ließen die Kälte und die Situation nicht zu. Hinzu kam: Wenn die Polizisten durch den Gang liefen, fielen allen Ernstes Worte wie "Hitler", "Nazi" oder "vergasen". Dazu wurden Zisch-Geräusche gemacht, die wohl an eine Gaskammer erinnern sollten.

Kein Schlaf, kaum Essen, keine Getränke - mussten Sie zumindest nicht irgendwann einmal auf die Toilette?

Bernd W.: Doch, aber die gab es nicht. Ich hatte auch sehr großen Durst. Es muss am Morgen gewesen sein, als eine Putzfrau und ein Polizist vorbeikamen und wir gefragt wurden, ob jemand auf die Toilette müsste. Dann bekam jeder nur eine Minute, der Polizist wartete vor der Tür. Man konnte also nicht viel verrichten. Bei der Gelegenheit habe ich nach Stunden ohne Flüssigkeit endlich mal einen Schluck Wasser aus dem Hahn nehmen können. Das war alles mehr als entwürdigend.

Wann sind Sie dort schließlich herausgekommen?

Bernd W.: Wohl gegen Mittag. Jeweils zu zweit aneinandergekettet holte man uns aus den Zellen. Mit der freien Hand musste man seine Hose festhalten, da die ohne Gürtel sonst zu Boden gerutscht wäre. Wir sind aus der Wache in einen großen Transporter geführt und mit Blaulicht quer durch die Stadt gefahren worden - weiter ohne zu wissen, was passieren wird. Bis dahin hatten wir alle immer noch nur dieses elende Sandwich und höchstens ein paar Schlucke Wasser intus. Wie sich herausstellen sollte, fuhren wir zum Strafgericht.

Dort kam es zur Verhandlung, allerdings in Abwesenheit der Betroffenen.

Bernd W.: Genau. Uns steckte man erneut in Zellen, diesmal waren sie größer und wir waren zu sechst. Es gab auch eine als Toilette getarnte Stahlschüssel, doch die war genau mittig platziert. Wenn man sie also benutzen wollte, hätten alle anderen zuschauen müssen. Dort haben wir rund fünf, sechs Stunden verbracht. Die Stimmung unter uns war da nun etwas lockerer. Wir waren freilich weiter stark gefrustet, aber irgendwie auch optimistisch, dass wir es nun bald überstanden haben.

War dem so?

Bernd W.: Letztlich schon. Zunächst kam erst wieder ein Dolmetscher vorbei, der auch besser Deutsch sprach. Seine Aussage war: Oben wird gerade verhandelt, das dauert noch ein, zwei Stunden und dann kommt ihr frei. Wir haben gefragt, ob die Urteile auch nach Deutschland übermittelt und uns dort angelastet werden. Es hieß, wir müssten nur etwas unterschreiben und würden dann nie wieder davon hören. Das käme in Deutschland nicht an und gelte nur in Spanien, wohin wir zudem zwei Jahre lang nicht reisen dürfen. Später verkündete der Dolmetscher, dass wir alle zwölf Monate auf Bewährung und eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen a sechs Euro bekommen. Der Tatvorwurf war weiter unklar, auch der Dolmetscher wusste von nichts. Wir hatten lediglich die Wahl: Entweder wir unterschreiben oder bleiben dort und bekommen eine richtige Verhandlung, die aber bis zu vier Wochen auf sich warten lassen kann.

Es hat also jeder ohne Umwege unterschrieben?

Bernd W.: Klar. Wir wurden einzeln aus der Zelle gebracht, bekamen all unsere Habseligkeiten wieder und sind in einen größeren Raum geführt worden. Dort stand ein Tisch, auf dem ein Blatt Papier lag. Erneut hieß es: Das musst du unterschreiben, danach kannst du gehen. Auf dem Blatt standen zwei spanische Sätze, sonst nichts. Alle mussten darauf unterschreiben, dieses Schuldeingeständnis sah letztlich aus wie eine Geburtstagskarte. Das klingt natürlich sehr abstrus und unseriös, aber es war schlichtweg alternativlos.

War Ihnen damals bewusst, dass die rechtlichen Versprechungen womöglich nicht in Deutschland Bestand haben werden?

Bernd W.: Darüber habe ich keinen Gedanken verloren. Ich wollte nur, dass es vorbei ist. Als wir irgendwann alle draußen waren, nahm uns der Fanbeauftragte des BVB in Empfang. Da war es auch schon wieder dunkel, ungefähr 19, 20 Uhr. Er meinte, der BVB habe 7000 Euro dagelassen. Er hatte für uns ein Hostel gebucht und sich um den gemeinsamen Rückflug nach Düsseldorf gekümmert. Das war die absolute Rettung für uns, ich war extrem erleichtert.

Beim BVB-Spiel 2010 in Sevilla war die spanische Polizei fortwährend im Gästeblock anwesend.
© IMAGO / Sven Simon
Beim BVB-Spiel 2010 in Sevilla war die spanische Polizei fortwährend im Gästeblock anwesend.

Wohin ging es unmittelbar nach der Freilassung weiter?

Bernd W.: Der Fanbeauftragte hatte sich um Taxis gekümmert, da ungefähr 200 Meter vom Gericht entfernt zahlreiche Sevilla-Fans standen und ganz offensichtlich auf uns gewartet haben - woher auch immer sie die Information hatten, dass wir dort sind und zu diesem Zeitpunkt freikommen würden. Wir stiegen daher sofort ein und sind zu einem Burger King gefahren. Ich hatte 24 Stunden lang nichts gegessen und quasi nichts getrunken, war körperlich komplett platt, aber nicht unbedingt müde, weil wohl noch immer genug Adrenalin in mir war. Im Burger King wurde alles weitere besprochen und dort auch der Rückflug gebucht.

Haben Sie dort auch erstmals wieder mit Ihren Eltern und den Kumpels telefoniert?

Bernd W.: Genau. Der Fanbeauftragte hatte im Tagesverlauf bereits mit unseren Angehörigen Kontakt aufgenommen und ihnen erklärt, was passiert ist. Als meine Mutter davon hörte, schaltete sie unverzüglich einen Anwalt ein. Das taten auch einige andere und wurde schließlich so koordiniert, dass uns der Fanbeauftragte vor Ort weiterhelfen konnte. Nach einer Nacht im Hostel und dem Rückflug haben mich meine Eltern um 21 Uhr am Flughafen abgeholt. Zum Glück war ich damals noch Student und musste mir in Sachen Arbeitgeber keine Sorgen machen.